Aufstehen, helfen, solidarisch sein: „Einfach machen“ war für viele Hamburgerinnen und Hamburger das Motto des Jahres 2015 – vor allem bei der Hilfe für Geflüchtete.
Kurz vor dem Jahreswechsel schauen wir zurück auf die vergangenen zwölf Monate in Hamburg-Mitte: Welche Themen haben den Bezirk 2015 besonders bewegt? Wo haben Menschen aus Mitte angepackt und sich engagiert? Was hat besonders überrascht?
„Keinen Fuß breit“: Hamburg steht auf gegen Rechts
Gegen „besorgte Bürger“, für eine Stadtentwicklung von unten und die Rechte von geflüchteten Menschen in der Stadt – 2015 sind die Hamburgerinnen und Hamburg für ihre Überzeugungen auf die Straße gegangen.
Bereits zu Jahresbeginn wurde es laut in der Stadt: Mit „Tegida“ – den „Toleranten Europäern gegen die Idiotisierung des Abendlandes“ – stellten die Hamburger eine Gegenbewegung zu Pegida auf die Beine. Tausende Demonstranten erteilen den fremdenfeindlichen Vorstellungen von Pegida in Hamburg eine Absage.
Ausgerechnet in St. Georg wollten im Januar die sogenannten „Besorgten Eltern“ gegen Sexualaufklärung an Schulen demonstrieren. Lautstark und kreativ hat ein breites Bündnis für sexuelle Vielfalt und gegen Homophobie mehr als tausend Menschen auf die Straße gebracht. Nach einer Kundgebung auf dem Hansaplatz verhinderten die Demonstranten, dass die „Besorgten Eltern“ ihre Thesen und Vorstellungen in St. Georg und der Innenstadt verbreiten. Um die Demonstration doch noch zu ermöglichen, setzte die Polizei Pfefferspray und Schlagstöcke gegen die friedlichen Demonstranten des Vielfalt-Büdnisses ein. Besonders für Aufsehen sorgte, dass dabei auch ein Pressefotograf angegriffen und verletzt worden ist.
Es bleibt nicht die Demonstration von Rechten, die die Hamburger 2015 verhindern. Keinen Meter gehen im Herbst auch sogenannte Nazi-Hooligans und die AfD.
„Ein Recht auf Stadt gilt für alle“ – auch für Geflüchtete
Kein Thema hat auch die Hamburger in 2015 so sehr bewegt, wie das Schicksal geflüchteter Menschen an den europäischen Außengrenzen, aber auch vor unserer eigenen Haustür, hier in Hamburg. Mit Demonstrationen des Bündnisses „Never mind the papers“ knüpft die „Recht auf Stadt“-Bewegung 2015 an den Protest für Geflüchtete, zum Beispiel für ein Bleiberecht der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“, an.
Eines wird 2015 jedoch deutlich: Die Kämpfe für bezahlbaren Wohnraum, gegen Leerstände und für eine breite Partizipation an Stadtentwicklung sind eng verknüpft mit der Forderung nach gleichen Rechten für Geflüchtete überall in der Stadt – und werden nun auch gemeinsam auf die Straße getragen.
Kleinteilige, nachbarschaftliche Unterbringungen statt Massenunterkünfte in alten Baumärkten oder Zelten, eine Arbeitserlaubnis für Geflüchtete und leerstehenden Wohnraum nutzen, um Geflüchtete und Wohnungslose unterzubringen, sind nur einige der Forderungen, für die das Bündnis sich einsetzt.
Olympia in Hamburg? Nein, danke!
In diesem Jahr ist das Prinzip „Plan Bude“ für viele Hamburgerinnen und Hamburger zum Musterbeispiel gelungener Stadtentwicklung von unten geworden. Nach einem umfassenden Beteiligungskonzept soll nach dem Abriss der Esso-Häuser am Spielbudenplatz ein neues Stück St. Pauli entstehen. Nach den jahrelangen Protesten für einen Erhalt der Esso-Häuser und Konflikten mit dem Eigentümer, der Bayerischen Hausbau, war es eigentlich undenkbar, dass 2015 alle Beteiligten zufrieden auf die ersten Entwürfe für den Neubau blicken.
Entsprechend hoch ist die Messelatte für Bürgerbeteiligung bei Stadtententwicklung in Hamburg-Mitte, wie zum Beispiel beim geplanten Dachgarten auf dem Bunker an der Feldstraße – oder eben auch bei der Bewerbung um Olympische Spiele.
Die Bewerbung sah nicht nur die Ausrichtung der Spiele 2024 in Hamburg vor, sondern verknüpfte diese auch mit der Entwicklung des Kleinen Grasbrook. Trotz einer monatelangen Werbekampagne des rot-grünen Senats und der Initiative „Feuer und Flamme“ entschied sich mehr als die Hälfte der Hamburger gegen eine Bewerbung. Vor allem die Unklarheiten über die Finanzierung der Spiele dürfte viele Wahlberechtigte dazu bewogen haben, ihr Kreuz bei „Nein“ zu setzen. Welche Argumente Befürworter und Gegner der Spiele hatten, könnt ihr hier noch einmal ansehen.
„Einfach machen“: Ehrenamtliche helfen Geflüchteten
Die hohen Ausgaben für ein Projekt wie Olympia erschienen vielen Hamburgern wohl auch deshalb als Luftschloss und Prestige-Kampagne für die Stadt, weil sich Tausende zum Teil Tag und Nacht für Geflüchtete engagiert haben. In den Einrichtungen fehlt es oft an den grundlegendsten Dingen: Hygieneartikel, Babynahrung, Windeln, Winterkleidung. Von Wilhelmsburg bis ins Karolinenviertel, von der Berzeliusstraße bis nach Bergedorf, versuchen ehrenamtliche Helfer einzuspringen, wo die Stadt die Versorgung nicht gewährleisten kann.
In den Messehallen entsteht die größte Kleiderkammer für Geflüchtete in ganz Deutschland, Deutschkurse und Begleiter für Behördengänge werden organisiert, in umfunktionierten Baumärkten versuchen Helfer durch Sichtschutz ein wenig Privatsphäre für die Menschen zu schaffen, gemeinsame Freizeitaktivitäten werden auf die Beine gestellt. Um die Hilfe für Geflüchtete in der Stadt zu stemmen packen zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure, Organisationen und Einzelpersonen mit an, zum Teil bis an das Ende ihrer Belastungsgrenzen.
Wie weit darf ehrenamtliche Hilfe gehen?
Was die Ehrenamtlichen in der Stadt 2015 auf die Beine gestellt haben ist beeindruckend. Man mag sich nicht vorstellen, wie es vielen Menschen nach ihrer langen Flucht ohne die tausenden anpackenden Hände ergangen wäre. Trotzdem bleibt die Lage in den Großunterkünften weiterhin prekär, die Flüchtlingspolitik des rot-grünen Senats, der vor allem auf Massenunterkünfte setzt, gerät in der zweiten Jahreshälfte 2015 mehr und mehr in die Kritik.
„Ich weiß nicht, ob es von offizieller Seite die Erwartung gibt, das, was wir bisher leisten, weiter zu betreiben“, sagt Anja Stagge, Helferin aus der Kleiderkammer in Messehallen im Dezember und spricht damit zentrale Fragen an, die Hamburg 2016 beschäftigen werden. Wie viel kann und darf weiterhin von Ehrenamtlichen geleistet werden? Wo muss die Stadt selbst stärker anpacken? Und vor allem – wie vollen wir in Zukunft miteinander in Hamburg leben?
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