Petition an die Sozialbehörde: „Das Winternotprogramm tagsüber öffnen!“

Politik
Isabella David
@isabelladavid89

Chefredakteurin | Studentin der Politikwissenschaft an der Universität Hamburg | Kontakt: david@hh-mittendrin.de

Das Winternotprogramm soll Obdachlose in Hamburg vor Kälte schützen – zumindest in der Nacht. Eine Petition der „Hinz&Kunzt“ soll die Sozialbehörde dazu bringen, das Angebot auch tagsüber zu öffnen. Mehr als 28.000 Menschen haben bereits unterzeichnet.

Trotz warmem Wintermantel, Schal und Mütze ist bei Minusgraden in Hamburg jeder froh, sobald er wieder im beheizten Zuhause angekommen ist. Schwierig wird es bei diesen Temperaturen vor allem für alle Menschen, die einen solchen Ort nicht haben. Etwa 2.000 Menschen in Hamburg sind laut Angaben der Diakonie ohne Obdach.

Von Anfang November bis Ende März soll das Winternotprogramm diese Menschen von der Straße holen. Wer einen der begehrten Plätze bekommen hat, kann in den fünf Monaten in einem Wohncontainer übernachten. Das Problem: Das Winternotprogramm ist nur von 17 bis 9 Uhr geöffnet. Tagsüber müssen die Menschen die beheizten Unterkünfte verlassen, auch bei Minusgraden. 

„Das ist fahrlässig“

Für Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter beim Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“, ist dieser Zustand nicht tragbar: „Für uns bei Hinz&Kunzt ist das fahrlässig.“ Mit einer Petition an Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD), will er erreichen, dass das Winternotprogramm auch tagsüber öffnet. Schon nach 24 Stunden haben mehr als 25.000 Menschen seine Petition bei Change.org unterzeichnet.

Immer wieder erlebe Karrenbauer in der Beratung erschöpfte und kranke Menschen, die nicht zur Ruhe kommen. „Sie müssen sich den ganzen Tag über irgendwo herumdrücken, bis sie abends wieder zurück dürfen“, sagt der Diplom-Sozialpädagoge. Wenn die Menschen am Morgen das Winternotprogramm verlassen, suchen sie Schutz an anderen Orten: Überfüllten Tagesaufenthaltsstätten, Beratungsstellen, U- und S-Bahn, Einkaufszentren. Oft bleibt auch bei -5 Grad nur die Straße. Die klare Forderung von Stephan Karrenbauer: Das Winternotpgrogramm muss auch tagsüber geöffnet werden.

Das Winternotprogramm
Vom 1. November 2015 bis zum 31. März 2016 stellt Hamburg für obdachlose Frauen und Männer zusätzliche Schlafplätze in Gemeinschaftsunterkünften und Wohncontainern zur Verfügung. Die Übernachtung ist kostenlos. In den Gemeinschaftsunterkünften erfolgt die Unterbringung in Räumen mit mehreren Betten. In den Wohncontainern können zwei bis vier Menschen übernachten. 400 Schlafplätze befinden sich in einem Gebäude und in Wohncontainern auf dem Gelände der ehemaligen Schule Münzstraße 6-9. Hier ist auch die zentrale Vermittlung der Schlafplätze. 350 Schlafplätze befinden sich in einem ehemaligen Verlagsgebäude am Schaarsteinweg 14. Weitere 140 Schlafplätze sind wie in den vergangenen Jahren in Wohncontainern über das ganze Stadtgebiet verteilt: Bei Kirchengemeinden, bei der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in der Alexanderstraße und bei der Evangelischen Hochschule für Sozialpädagogik beim Rauhen Haus.

Eine „nutzungspolitische Notwendigkeit“

Tagsüber müsse die Bettwäsche gewechselt und die Unterkünfte gereinigt werden, heißt es von der Sozialbehörde. „Außerdem möchten wir, dass Anlaufstellen in Anspruch genommen werden und die Menschen nicht über den Winter in ihrer Lebenssituation verharren“, sagt Marcel Schweitzer, Sprecher der Sozialbehörde gegenüber „Hinz&Kunzt“. Die Bewohner des Winternotprogramms sollen tagsüber Beratungsangebote wahrnehmen.

Für Stephan Karrenbauer sind diese sogenannten „nutzungspolitischen Notwendigkeiten“ keine schlagkräftigen Argumente: „Die zwei Gründe, mit denen die Behörde diese Maßnahme begründet, hören sich für uns unglaubwürdig und zynisch an.“ Die Reinigung der Standorte dauere nicht den ganzen Tag und niemand müsse „sieben Tage die Woche acht Stunden lang beraten werden“.

Die Tagesaufenthaltsstätten seien außerdem oftmals überlastet. So habe beispielsweise das Herz As im Münzviertel bereits Menschen abweisen müssen. Die meisten dieser Einrichtungen haben an den Wochenenden ganz geschlossen. Auch an den Wochenende müssen die Menschen um 9 Uhr raus auf die Straße.

„Auch tagsüber kann man erfrieren“

Bereits zum Start des Winternotprogramms im November haben Experten gefordert, das Winternotprogramm ganztägig zu öffnen. „Auch tagsüber kann man erfrieren. Die Plätze in Tageseinrichtungen wie dem Herz As sind begrenzt“, sagt Dr. Eva Lindemann von der Stiftung „hoffnungsorte Hamburg“, die unter anderem das Herz As, die Bahnhofsmission und das Haus Jona betreibt.

Im Münzviertel gibt es zwischen 80 und 120 Plätze in den Tageseinrichtungen. Dort versucht man die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen: Eine Mahlzeit, eine warme Dusche, einen beheizten Aufenthaltsraum. „Diese Stellen können dem Andrang aber nicht gerecht werden, die Ressourcen und das Personal reichen nicht aus“, kritisiert Dr. Dirk Hauer vom Diakonischen Werk. Statt eines Notprogramms für den Winter fordert Hauer die Stadt auf, Wohnraum für die Menschen zu schaffen. Bis dahin müsse das Notprogramm aber auch tagsüber geöffnet sein.

Mit seiner Petition richtet sich Stephan Karrenbauer direkt an die Sozialsenatorin Leonhard und fordert sie zum Handeln auf: „Gönnen Sie den Obdachlosen Ruhe und Wärme. Sie brauchen das genauso wie wir alle – und Sie sicher auch.“ Bereits am Donnerstagabend kann ein erster Erfolg der Petition vermeldet werden: Die Sozialbehörde hat sich bei Hinz&Kunzt gemeldet und einen Gesprächstermin Mitte nächster Woche angeboten.

Kommentare anzeigen (1)

1 Kommentar

  1. Erich Heeder

    13. Januar 2016 at 19:14

    Noch in diesem Monat sollten sich alle Krank schreiben lassen, das währe mal ein politisches Zeichen !!

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