Amorphis sind schwer in Metal-Schubladen zu stecken. Dennoch verfügen die Finnen über eine große Fangemeinde, wie Justus Ledig erneut feststellte.
Stilistische Wandel, Balance-Akte zwischen verschiedensten Stilen und reichlich Genre-fremde Einflüsse: Das sind Amorphis. Seit einem Vierteljahrhundert fasziniert die finnische Band die Metalszene und darüber hinaus. Mit Songs aus dem neuen Album “Under the Red Cloud” und zahlreichen weiteren Nummern ihrer langen Schaffenszeit will man an diesem Dienstagabend das Gruenspan beglücken.
Es ist bereits einiges los, als mit Poem die erste Vorband auf der Bühne loslegt. Progressiver Metal mit Alternative-Anleihen und durchaus Härte, irgendwo zwischen Opeth, System of a Down und vielleicht ein bisschen Sólstafir ist das, was die Griechen da spielen. Auffällig ist einerseits sehr ambitionierter Sänger/Gitarrist, der sich mächtig ins Zeug legt und ein wirklich durchdringendes Organ aufweist. Dazu kommen mitunter vertrackte Rhythmen, die ein zweites Ohr verdienen. Zwar könnte man hier und da mit mehr Gradlinigkeit eher einen Blumentopf gewinnen, gerade als Live-Band – so richtig zum Abgehen knallt es dann doch zu wenig. Doch auf das Hamburger Publikum machen Poem offenbar einen guten Eindruck, es kommen mir keinerlei Klagen an die Ohren.
Nehmt euch ein Zimmer!
Schnell geht es weiter mit Omnium Gatherum. Die Landsleute des Haupt-Acts können eigentlich eine Wohnung in Hamburg beziehen, waren sie doch binnen zwölf Monaten nun drei mal in der Hansestadt. Und tatsächlich fühlt sich der Auftritt hier im Gruenspan ziemlich wie eine Blaupause der “Finnvasion” vom vergangenen Jahr an. Mit mal zügigem, mal bedächtigerem Melodic-Death-Metal und einem brillant aufgelegten Frontmann ziehen Omnium Gatherum erneut Hamburg in ihren Bann. Dem eifrigen Sänger Jukka frisst das Publikum aus der Hand, die sich mehr als einmal zur doppelten Quer-Pommesgabel, dem Markenzeichen der Band, formt. Haare wehen durch den vollen Saal, es wird eifrig geklatscht: Die Stimmung ist ausgezeichnet. Und das merken Omnium Gatherum ebenfalls, zeigen sich angetan von den Reaktionen. Ob es gerade alte Songs oder Nummern vom brandneuen Album “Grey Heavens” sind, spielt eine untergeordnete Rolle. Ein schöner Auftritt!
Langer Auftritt fordert seinen Tribut
Auch der Headliner lässt sich nicht lange bitten. Von Beginn an glänzen Amorphis durch eine durchkomponierte Bühnenshow, bestehend aus stilvollen Outfits, einem ästhetischen Backdrop zum “Under the Red Cloud”, fantasievoller Bühnen-Deko und einem bewegungsfreudigen Frontmann, der sich inzwischen seiner Dreadlocks entledigt hat. Nur eine Nuance, aber wie Tomi Joutsen sein steampunkiges Mikrofon hält, ist schon irgendwie cool.
Kommen wir aber zur Musik: Amorphis haben einen feinen Tag erwischt und profitieren vom differenzierten Sound im Gruenspan, der die außergewöhnliche Musik der Band gut trägt. Rhythmische Riffs, tiefe Growls, filigrane Klargesänge, Gitarrensoli und das Keyboard erklingen allesamt gut ausbalanciert. Auf das aktuelle Album sind die Finnen überhaupt nicht festgelegt und spielen sich durch weite Teile der progressiv-folkig-melancholischen Bandhistorie, auch wenn nicht jedes der zwölf Alben berücksichtigt wird. Auch der frühere Sänger und Nach-wie-vor-Gitarrist Tomi Koivusaari darf bei alten Nummern noch mal seine Vocals zum besten geben.
Es ist ein ganz schön langer Auftritt, der zum Ende hin ein wenig seinen Tribut fordert. Nicht nur, dass auf einen Dienstag um halb zwölf allmählich die Luft beim Publikum schwindet – ohnehin scheint mir Hamburg heute nicht in größter Sangesfreude. Auch Tomi Joutsen singt zum Schluss des Sets nichts mehr ganz so treffsicher und voluminös. Bis dahin haben Amorphis allerdings auch rund anderthalb Stunden abgeliefert, sodass sich kaum jemand zu beklagen muss.
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