Flüchtlingshilfe in den Messehallen: Solidarität im Überfluss

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Im Herzen Hamburgs zeigen Ehrenamtliche, wie solidarische Flüchtlingshilfe funktioniert. Unterstützung von der Stadt gibt es für die Helfer in den Messehallen bisher kaum. Ein „Forum Flüchtlinge“ soll das nun ändern.

Von Nadia Hafez

Wer der Messe in Hamburg schon einmal einen Besuch abgestattet hat, wäre in diesen Tagen erstaunt. Nicht wiederzuerkennen sind die Hallen, in denen sonst Firmen ihre neuesten Produkte vorstellen und Geschäfte abgeschlossen werden. Jetzt tummeln sich im Südflügel tausende Menschen, die gemeinsam organisieren, sortieren, Kaffee trinken. Seit mehr als zwei Wochen wohnen auf dem Messegelände 1.200 Flüchtlinge. In der Halle B6 drängen sie sich auf 13.000 Quadratmetern zusammen, Feldbett steht an Feldbett.

Da im Moment täglich etwa dreihundert Flüchtlinge nach Hamburg kommen, hat die Stadtteilinitiative des Karoviertels das Projekt in die Wege geleitet, getragen wird es von der „RefugeesWelcome“– Gruppe im Karolinenviertel. Auf die Anfrage, ob man ihre Räumlichkeiten für die Unterbringung der Flüchtlinge nutzen dürfe, erhielt die Initiative eine prompte Zusage der Messe. Allerdings unter einer Bedingung: Ende September ist Schluss. Dann startet hier die Messe „Hanse-Boot“.

Bei einer ersten Stadtteilverammlung werden Anwohner und Interessierte dazu aufgerufen wurden, sich zu organisieren und das Projekt zu unterstützen. Der Andrang der hilfsbereiten Menschen im Karolinenviertel ist von Beginn an groß. Erste Arbeitsgruppen werden gebildet. Menschen, die sich um Übersetzungsarbeiten kümmern, die das Kinderprogramm organisieren, Karten zur Orientierung auf dem Gelände basteln oder in der Kleiderkammer helfen, finden sich zusammen.

Wieviel Zentimeter Absatz braucht es für einen High Heel?

Besonders Auffangstation für Kleidung und Hygienebedarf sprengt die Erwartungen an die Hilfsbereitschaft der Menschen. „Ich habe auf Facebook von der Aktion erfahren und bin nach der Arbeit gleich hierher gefahren, um zu helfen“, berichtet eine strahlende Helferin, im Begriff, einen Schuh ins richtige Regal zu sortieren. Jeder helfenden Hand wird eine Aufgabe zugesprochen, es entsteht kollektives Arbeiten mit einer selten gesehenen Eigendynamik. „Der Fluss an hilfsfreudigen Menschen reißt einfach nicht mehr ab“, sagt Dominik, der den Überblick über alles behält.

Die Atmosphäre ist geprägt von „positivem Stress“, das Sortiersystem ist dank toller Ideen ausgeklügelt. Den Helfenden wird Essen zur Verfügung gestellt, es ergeben sich Gespräche – zum Beispiel über die Frage, welche Höhe denn genau einen High Heel definiert. Mittlerweile sind solche „Klamottenmassen“ angekommen, dass sie an alle Flüchtlingscamps Hamburgs weitervermittelt werden können.

Flüchtlinge Messehallen, Foto: Nadia Hafez

Dankbarkeit hinter Mauern aus Schuhen und Kleidung

Ursprünglich standen den Organisatoren für die Aufbewahrung der Spenden drei Regale zur Verfügung – mittlerweile umfassen die Massen an gespendeter Kleidung fast eine große Halle. Um zu der Ausgabestelle zu gelangen, an der die Flüchtlinge auf ihre benötigte Kleidung warten, schlängelt man sich durch Mauern aus Schuhen, Krücken und Kuscheltieren. Dort angelangt, stößt man auf große Dankbarkeit.

Probleme gibt es in der Kleiderkammer selten: Nur einmal habe sich eine Frau aus der Flüchtlingsunterkunft unerlaubterweise in die Kleiderkammer geschlichen, um eine Decke für ihre Tochter zu holen berichtet Ole aus dem Orga-Team. Gewähre man ihr diesen Wunsch, denken die anderen Flüchtlinge, dass die Frau besser als andere behandelt wird und werden neidisch. „Beschissene Situation, was macht man da?“, fragt sich auch Ole.

Doch die Flüchtlinge sind abhängig von der Hilfsbereitschaft der ehrenamtlich arbeitenden Menschen. Das Gelingen des Projektes wird vom Senat nicht mit finanziellen Mitteln unterstützt. Die Linke kritisiert den engen Raum, bemängelt aber auch den fehlenden Einsatz bei der Bereitstellung von Flüchtlingsunterkünften der Behörden.

Hindernisse? Gibt’s nicht.

Damit sich möglichst viele Menschen an der Hilfe für die Geflüchteten beteiligen können, findet Ende August eine Stadtteilversammlung im Ballsaal des Millerntor Stadions statt. Pünktlich zur Eröffnung der Veranstaltung gibt es kein Reinkommen mehr, es bildeten sich wartende Pulks vor dem kleinen Eingang. Irgendwann ist dann tatsächlich Einlassstopp. Dreizehn Arbeitsgruppen stellen sich vor, erklären, wo noch Hilfe gebraut wird. Die Gruppe der Telekommunikation bittet um die Spende von Handys und SIM-Karten, die Deutschlehrer rufen zur Finanzierung der Lehrbücher auf. Die Interessierten im Ballsaal erfahren, dass die Flüchtlinge auch selber beitragen, was immer sie können. Hat jemand Kenntnisse als Friseur, schneidet er von nun an die Haare seiner Mitbewohner.

Viele Menschen zücken ihre Geldbörse, werfen direkt etwas in den Spendentopf, der durch die Reihen gereicht wird. Unverständlich bleibt für viele, warum sich die Stadt nicht an das Projekt anbindet. „Der Senat würde uns zum jetzigen Zeitpunkt bereits 150.000 Euro schulden“, stellt ein Redner fest. Die Stadt habe nach wie vor die Pflicht und die Kapazität, Flüchtlingen zu helfen. Man dürfe sich jetzt nicht darauf ausruhen, dass dieses Projekt so gut laufe. Euphorisch verlassen die 900 Leute nach der zweistündigen Veranstaltung den Raum. Alle mit der Motivation, dem Projekt etwas beizusteuern. Es scheint, als könne mit der vorhandenen Energie jedes Hindernis überwunden werden. Das Projekt ist nicht nur geprägt von Kreativität und ehrenamtlichem Engagement, es schweißt die Menschen auch zusammen.

Hilfe soll nun auch von der Stadt kommen. Der rot-grüne Senat will ein Forum Flüchtlingshilfe gründen, um die Arbeit von haupt- und ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern besser zu koordinieren. Insgesamt sollen dafür noch in diesem Jahr 1,7 Millionen Euro ausgegeben werden.

 

Fotos: Nadia Hafez
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