Im Sommer kam die Idee der Entwicklung eines Kulturkanals am Veringkanal in Wilhelmsburg auf. Beim Pegelstand Elbinsel diskutierten Akteure aus dem Stadtteil gemeinsam mit Stadtentwicklern nun über die Entwicklungsmöglichkeiten am Kanal.
Wohnen, Gewerbe, Kultur, Freizeit und Naherholung – zahlreiche Entwicklungsaspekte gilt es am Veringkanal zu berücksichtigen. Die Diskussionen um die Gestaltung des Kanals bewegen sich zwischen dem Erhalt und der Erweiterung bestehender gewerblicher und kreativer Strukturen und den Möglichkeiten des Wohnens am Wasser. „Arbeiten und Wohnen ist auf beiden Seiten des Kanals möglich“, sagt Manuel Humburg vom Verein Zukunft Elbinsel. Immer wieder hatte sich auch die Politik in der Vergangenheit bereits mit der möglichen Gestaltung des Veringkanals auseinandergesetzt. Schon 2005 zog der Senat in einem Memorandum die Verbindung von Wohnen und Arbeiten am Veringkanal in Betracht. Bei einer Ausstellung zeigten unterschiedlichste Akteure 2010, was aus ihrer Sicht am Veringkanal möglich sein könnte. Ebenso, wie die Planungen des hochpreisigen Wohnens am Wasser durch die Internationale Bauausstellung (IBA), blieben all dies jedoch bisher nur Visionen und Pläne.
Im Zentrum der möglichen Gestaltung des Veringkanals sieht Manuel Humburg den Bebauungsplan 88. Bisher handelt es sich auch hierbei jedoch nur um einen Entwurf, der eine Mischform von Gewerbe und Wohnen in guter Nachbarschaft am Kanal vorsieht. „Bisher ist dieser ehrgeizige Bebauungsplan wohl vor allem an der Dominanz der Industrie hier am Kanal gescheitert“, sagt Manuel Humburg und verweist auch auf die großen Stapel an alten Containern, die vor Ort am Kanal repariert werden. Die Emissionen der anliegenden Industrie, wie der Fettfabrik und der Ölwerke seien weitere Problemlagen, die es zu bewältigen gelte.
Abgesehen von der Schadstoffbelastung, die das Wohnen an vielen Stellen unmöglich macht, handelt es sich bei vielen Flächen bisher um Gewerbeflächen, die keine Wohnbebauung ermöglichen. „An diesen Stellen müssten Bebauungspläne für ein Mischgebiet angepasst werden“, so Humburg weiter. An der Sanitasstraße West wäre Wohnen hingegen durchaus möglich – die Flächen befinden sich jedoch in Privatbesitz. „Für eine gute Nachbarschaft von Wohnen, Arbeiten und Kultur am Veringkanal muss auch der politische Wille vorhanden sein“, so Humburg. Schließlich müssten nicht nur Bebauungspläne geändert, sondern auch Lösungen für bestehende kulturelle Einrichtungen, wie beispielweise die Soulkitchen-Halle gefunden werden.
Den großen Bedarf an günstigem Wohnraum, auch aber günstigen Gewerbeflächen für Kleinstunternehmer betont auch Stadtplaner Michael Ziehl. „All dies könnte am hier am Kanal umgesetzt werden. Auch müssen hier aber niedrigschwellige kulturelle Angebote eine Rolle spielen. Und damit meine ich keinen Opernfundus“, sagt Ziehl, der selbst in Wilhelmsburg lebt. Zum Teil gebe es diese Angebote in Form der Soulkitchen oder beispielsweise auch der Zinnwerke bereits. Auch Ziehl hält einen Ausbau der Durchmischung von Wohnen und Arbeiten am Veringkanal für erstrebenswert. Für besonders wichtig hält er es jedoch, dass mit dem vorhandenen Bestand an Baustruktur gearbeitet wird. „Gerade so können auch neue Zwischennutzungen entstehen, die prozesshafte Testnutzungen ermöglichen“, so Ziehl, der auch im Aufsichtsrat der Genossenschaft Gängeviertel tätig ist, weiter. Die Entwicklung am Kanal solle kleinteilig und nutzerbasiert von Statten gehen. „Was hier entsteht, muss den Bedürfnissen der Menschen entsprechen.“
Das Bedürfnis der Menschen in Wilhelmsburg ist für Christina Tursi von der Vericom Wilhelmsburg vor allem bezahlbarer Wohnraum. „Auch in Mischkonzepten am Veringhof muss sozialer Wohnungsbau eine Rolle spielen“, sagt Christiane Tursi. Es müsse gerade hier um eine gezielte Stadtentwicklungspolitik im Sinne der Schwächsten gehen. „Die IBA konnte in dieser Richtung leider keine Impulse setzen“, so Tursi weiter. Das bunte Image des Stadtteils wurde aus ihrer Sicht von der IBA nur für Werbezwecke genutzt. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum sei jetzt im Stadtteil schon deutlich spürbar und werde sich in den kommenden Jahren noch verstärken, da viele Wohnungen aus der Mietpreisbindung fallen werden. „Der hohe Bedarf und das geringe Angebot an bezahlbarem Wohnraum auf der Elbinsel macht die Menschen erpressbar. Es hat sich ein Helfer- und Ausbeuternetzwerk entwickelt“, erläutert Tursi. Zu hohe Mieten für untervermietete Einzelzimmer ohne einen Mietvertrag und unlautere Methoden von Vermietern wie der GAGFAH werden nur aufgrund der Wohnungsnot von den Betroffenen in Kauf genommen. Besonders kritisiert Tursi, das auch die SAGA GWG unter dem Argument der sozialen Durchmischung gezielt NiedrigverdienerInnen und MigrantInnen ausschließe. Gerade aus diesem Grund sei es besonders wichtig, dass bei der Entwicklung eines Wohn- und Lebensquartiers am Veringkanal auch an sozialen Wohnungsbau gedacht und die Betroffenen auch mit in diese Debatte einbezogen werden.
Die angestrebten Entwicklungsperspektiven werden nicht von allen TeilnehmerInnen der Podiumsdiskussion als positiv angesehen. „Hier im Stadtteil wurde der Prozess der Gentrifizierung angestoßen“ sagt der Bremer Stadtplaner Tom Lecke-Lopatta. Insbesondere das Konzept „Sprung über die Elbe“ sei auch über die Grenzen der Stadt hinaus bei den Stadtplanern bekannt. „Das Problem ist, dass Gentrifizierung fast immer auch diejenigen aus dem Stadtteil vertreibt, die sie angestoßen haben“, sagt Lecke-Lopatta. Gerade deshalb müsse generell in Wilhelmsburg und auch hier am Veringkanal darüber diskutiert werden, wie diese Dynamik in die richtige Richtung gelenkt werden kann. „Unter Umständen kann so ein höherer Integrationsprozess an Stelle von Verdrängung angestoßen werden“, so Lecke-Lopatta weiter. Über die Vorstellungen der WilhelburgerInnen über die mögliche Entwicklung am Veringkanal gab sich der Stadtplaner jedoch irritiert. „Man kann am Wasser toll wohnen, aber meinstens hochpreisig!“, warnt Lecke-Lopatta die WilhelmsburgerInnen. Bei der angestrebten Durchmischung von Wohnen und Arbeiten seien es zuerst die jungen Leute, die aus dem Stadtteil verdrängt werden würden. „Bei der Umwandlung in ein Mischgebiet gelten die jungen Leute plötzlich als zu laut“, so Lecke-Lopatta weiter. Der Stadtplaner macht stattdessen einen anderen Vorschlag: „Wohnungsbau ist wichtig und notwendig, aber muss das unbedingt hier am Kanal sein? Hier könnte eine Experimentierlandschaft entstehen, bei der es auch nachts mal laut sein darf.“ Besonders praktisch sei es dabei, dass die Kernzeiten von Freizeit und Gewerbe sich zeitlich nicht überschneiden würden. Dies sei bei einer Kombination von Wohnen und Freizeit deutlich problematischer. „Aus meiner Sicht sollte der Veringkanal ein öffentlicher Raum bleiben an dem es laut sein darf, und Freizeit und Arbeit sich ergänzen. Junge Leute gehören in die Mitte der Stadt, dafür bietet sich hier die Chance!“, appelliert Lecke-Lopatta.
Prof. Bernd Kniess von der HafenCity Universität Hamburg, der gemeinsam mit Michael Koch und Christopher Dell das Lehr- und Forschungsprojekt „Universität der Nachbarschaften“ initiiert hat, hat seine Studierenden im Studiengang Städtebau/Urban Design an der möglichen Gestaltung des Veringkanals arbeiten lassen. Aus den Ergebnissen einer Akteur-Netzwerk-Analyse haben sich für die Studierenden drei unterschiedliche Extrembeispiele für die mögliche Entwicklung am Veringkanal ergeben: „Vering Deluxe“, „Freie Republik Vering“ und „Las Vering“. Die Szenarien ergeben sich, wenn an unterschiedlichen Stellschrauben der Entwicklung gedreht werden würde. Das Planspiel zeigt, welche Konsequenzen eine Verbesserung der Wasserqualität am Veringkanal hätte – die Studierenden haben das dann womöglich entstehende hochpreisige Wohnquartier „Vering Deluxe“ getauft. Im Szenario „Freie Republik Vering“ wird am Veringhof eine unabhängige Republik ausgerufen und vom Rest des Stadtteils abgegrenzt. Dieses Beispiel soll provokativ hinterfragen, wie Behörden mit einer solchen Form des Freiraums umgehen würden. Im letzten angeführten Extrembeispiel „Las Vering“ wird der Veringkanal zur leuchtenden Vergnügungsmeile. Durch die eine gesteigerte Aufenthaltsqualität wird eine fortlaufende Transformation des gesamten Areals angestoßen. Bisher ansässige Akteure müssen sich anpassen oder verlieren den Kreativwettlauf im neuen Szenekiez.
Die Debatte über die Gestaltung des Veringkanals ist für die beteiligten Akteure und alle WilhelmsburgerInnen ebenso eine Richtungsentscheidung über die Fortentwicklung des Stadtteils nach dem Ende der Internationalen Gartenschau (igs) und der Internationalen Bauausstellung (IBA). Es bleibt offen, ob aus dem Quartier mit Industriecharme am Kanal, indem sich zur Zeit Gewerbetreibende und Kreative eine gemeinsame Infrastruktur aufgebaut haben, nach einer Boden- und Gewässerentgiftung und einer Anpassung des Bebauungsplans ein neues Vorzeigeprojekt des „Sprungs über die Elbe“ mit Stadtvillen am Wasser, eine bunte Amüsiermeile für Zugezogene und Touristen oder ein öffentliches Areal für Experimente, Zwischennutzungen und neue Perspektiven werden wird.
Titelbild: flamenc (Own work) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons
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