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St. Pauli: Ein Stadtteil wehrt sich

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Frederic Zauels
@fredericzauels

Redakteur für Politik und Kultur | B.A. Politikwissenschaften, M.A. Journalistik | Kontakt: zauels@hh-mittendrin.de

Unter dem Motto „St. Pauli selber machen“ luden verschiedene Initiativen aus St. Pauli am Sonnabend zu einer Stadtteilversammlung in den Ballsaal des Millerntor-Stadions.  Es ging um die Zukunft des Stadtteils und ein Mitspracherecht für die BewohnerInnen.

Normalerweise strömen die Menschen ans Millerntor, um den FC St. Pauli anzufeuern. Diesmal sind die rund 400 Gäste aus einem anderem Grund gekommen: „St. Pauli selber machen“ – ihr Anliegen und das Motto der Stadtteilversammlung. Dabei ging es nicht nur um Gentrifizierung oder die Kriminalisierung von Fußballfans und ganzen Stadtteilen im Zuge des Gefahrengebiets. Es ging auch um das Mitspracherecht der BewohnerInnen bei zukünftigen Bebauungsplänen und um die Aufnahme von Flüchtlingen.

Beschleunigt und zugespitzt habe sich die Entwicklung auf St. Pauli, sagen die Initiatoren der Initiative Esso-Häuser und von SOS St. Pauli. Deswegen sei es an der Zeit zu handeln. Nicht mehr lange wolle man einer Hamburger Politik zusehen, die weder mit den Menschen des Stadtteils kommuniziere noch auf deren Interessen eingehe. Vielmehr würden diese ausschließlich den Interessen des Kapitals, der Investoren und Lobbyisten unterliegen, heißt es aus dem Plenum. „So geht es nicht weiter“, waren sich die Initiatoren einig. Die Stadtteilversammlung fordert konkret mehr Bürgerbeteiligung im eigenen Stadtteil.

Unter anderem soll das Bleiberecht für Flüchtlinge in Hamburg vorangetrieben, möglichst schnell eine Lösung für die etwa 300 Lampedusa-Flüchtlinge gefunden werden, die seit einem Jahr für ein Aufenthaltsrecht kämpfen. Asuquo Udo, Sprecher der Gruppe Lampedusa in Hamburg, war auch auf der Versammlung anwesend. „Unsere Gruppe steht noch immer am Anfang ihrer Bemühungen. Ein Entgegenkommen des Senats sehen wir nicht“, sagt Udo. Das Ziel sei weiterhin, nach Paragraph 23 des Aufenthaltgesetzes ein Bleiberecht für alle zu erreichen. „Wir leiden unter der Situation, nicht zu wissen, wie es weitergeht“, sagt Udo weiter. Er sei zutiefst berührt über die Anteilnahme der BewohnerInnen auf St. Pauli. Eine endgültige Lösung stelle dies natürlich nicht dar. Am 1. März ruft Lampedusa in Hamburg deshalb zu einer erneuten Großdemonstration auf, die um 13 Uhr am Hauptbahnhof starten soll.

Esso-Häuser und der Business Improvement District bleiben Thema

Für weiteren Gesprächsstoff sorgte auch der sogenannte „Business Improvement District“ (BID) für den Großraum Reeperbahn. Dieser sieht die qualitative Aufwertung des öffentlichen Raums durch angrenzende Unternehmen vor. Im Stadtteil stößt das auf wenig Gegenliebe: Solche Projekte muteten an, als seien sie aus dem Katalog bestellt. „Hier noch ein bisschen maritimes Flair für St. Pauli installieren, ein paar Straßen weiter eine erotisierende Zone einrichten“, sagt der St. Paulianer Christoph Schäfer spöttisch.

Auch die Zukunft der Esso-Häuser wird auf St. Pauli mit Sorge betrachtet. So steht das Gerücht im Raum, ein möglicher Neubau nach dem Abriss der Gebäude am Spielbudenplatz solle aus einem sechsstöckigen Gewerbeobjekt bestehen. Der Eigentümer, die Bayerische Hausbau, hat diese Pläne bisher noch nicht bestätigt. Bisher war der Gewerbeanteil zweistöckig und beheimatete unter anderem den Unternehmer Zlatko Bahtijarevic,  Betreiber des Planet Pauli. Bahtijarevic nennt die möglichen Pläne für die Esso-Häuser und das Viertel „falsch, unmenschlich und gar nicht sozialdemokratisch.“ Die BewohnerInnen fühlen sich, als würde bei Ihnen ein großer Freizeitpark für Erwachsene eingerichtet. Sie fordern die Rückkehr der ehemaligen BewohnerInnen und Gewerbetreibenden zu den alten Konditionen. Ansonsten müsse der Bayerischen Hausbau das Eigentum entzogen werden.

Die Bezirksversammlung möchte fünfzig Prozent des Neubaus als Sozialwohnungen zur Verfügung stellen und knüpft die Genehmigung eines neuen Bebauungsplans an diese Bedingung. Mit dem Eigentümer hat man sich bisher hierüber nicht einigen können. Die St. PaulianerInnen wollen daher jetzt selbst aktiv werden und für Ihren Stadtteil kämpfen – zumal die Initiative Esso-Häuser auf 100 Pozent sozialem Wohnungsbau auf dem Grundstück der Esso-Häuser besteht.

Fünf-Punkte-Resolution verabschiedet

Mit weiteren Aktionen sollen die Forderungen des Stadtteils zukünftig durchgesetzt werden. Der erste Schritt ist die Verabschiedung einer Resolution durch die Stadtteilversammlung am Sonnabend. In fünf Punkten fassen die Anwesenden zusammen, was sie für ihren Stadtteil fordern: Ein Bleiberecht für die Gruppe Lampedusa in Hamburg und eine Arbeitserlaubnis für die Flüchtlinge, die Nichteinführung eines BID-Reeperbahn, den Erhalt der Roten Flora als Kulturzentrum und die Streichung des Gefahrengebietsparagraphen aus dem Gesetz. Darüber hinaus sollen die BewohnerInnen der Esso-Häuser zu den gleichen Konditionen wie bisher zurückkehren können und auch den Gewerbemietern ein langfristiges Mietverhältnis zu den bisherigen Bedingungen angeboten werden. Auch die Forderung nach 100 Prozent Sozialwohnungen und die Androhung einer Enteignung gegenüber der Bayerischen Hausbau finden ihren Platz in der Resolution. Darüber hinaus soll der Stadtteil an den Planungen beteiligt werden.

Schon in der nächsten Woche wird zu einem weiteren Treffen aufgerufen. Am Dienstag, den 18. Februar soll es im Kölibri (Hein-Köllisch-Platz 11) darum gehen, „weitere Pläne zu schmieden, Aktionen vorzubereiten und gemeinsam aktiv zu werden“. Am Vortag soll mit den ersten Abrissarbeiten an den Esso-Häusern begonnen werden. Bis April sollen die Gebäude endgültig verschwunden sein. Die Diskussionen im Stadtteil wird man jedoch nicht so schnell verschwinden lassen können.

Foto: Jonas Walzberg, Video: Anja-Katharina Riesterer

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