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Die Bürgerschaft und das Gefahrengebiet: Eine Analyse in drei Akten

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Dominik Brück
@dobrueck

| M.A. Politikwissenschaft | E-Mail: brueck@hh-mittendrin.de

Politiker aller Fraktionen haben sich am Donnerstag in der Bürgerschaft einen langen Schlagabtausch zum Thema Gefahrengebiete geliefert. Unser Autor hat die Debatte analysiert – und ein bühnenreifes Theaterstück entdeckt.

„Die ganze Welt ist eine Bühne“ – besonders die Welt der Politik. Die Zuschauer der Bürgerschaftsdebatte am vergangenen Donnerstag bekamen bei der Diskussion über das Thema Gefahrengebiete eine ganz besondere Vorstellung geliefert. Wir haben uns das Stück einmal näher angeschaut und sagen, wer seine Rolle am besten gespielt hat.

Erster Akt: „Das Haupt liegt übel, das eine Krone trägt“

Lange vor der Aufführung hatte man gerätselt, wer denn nun die Hauptrolle in dem komplexen Stück spielen würde. Zur Überraschung des Publikums war es nicht Bürgermeister Olaf Scholz, sondern Innensenator Michael Neumann, der seinen großen Auftritt bekam. Scholz wurde von der Regie auf die Rolle des Erzählers, der Stimme aus dem Off reduziert. Mit schönen Worten beschreibt Scholz für das Publikum die Szenerie des Stückes: „In den vergangenen Wochen ist ein völlig falsches Bild von Hamburg gezeichnet worden. Die Möglichkeit, dass hier ein Nebeneinander von verschiedenen Lebensentwürfen besteht, macht die Attraktivität der Hoffnungs- und Zukunftsstadt Hamburg aus“, sagt Scholz. „Dieses Bild der Stadt werden wir verteidigen“, so Scholz weiter – das Thema des Stückes ist gesetzt, es gilt das Bild des schönen Hamburg gerade zu rücken.

Das ist die Rolle von Innensenator Michael Neumann. Doch statt das Publikum mit seinem Auftritt für sich einzunehmen, wiederholt er gebetsmühlenartig den gleichen Text, den man schon von früheren Aufführungen kennt. Nur wenigen dürfte dabei aufgefallen sein, dass extra für dieses Stück ein wenig am Text des Innensenators gefeilt wurde: So spricht Neumann jetzt nicht mehr davon, dass es in Hamburg keine politischen Probleme gebe, sondern korrigiert seine frühere Aussage: „Es gibt in unserer Stadt keine politische Frage, die es auch nur im Ansatz rechtfertigen würde Gewalt anzuwenden“, sagt Neumann, obwohl das in der politischen Debatte niemand behauptet hat.

Eine besonders trickreiche Metapher hat der Autor des Stücks für Neumann bei einer Szene parat, in der es um den 28. Dezember geht. Der Hauptdarsteller spricht jetzt nicht mehr wie früher von einem Angriff auf die Davidwache, sondern umschreibt den Vorfall als „Angriff auf Beamte im Zusammenhang mit dem Polizeikommissariat 15.“ Dafür, dass Neumann an diesen Stellen einen wesentlich schwächeren Auftritt als zuvor bekommt, darf er jedoch später das Scheinwerferlicht voll auskosten: „Ich habe diese Entscheidung getroffen und bin politisch für die Einrichtung des Gefahrengebietes verantwortlich, niemand anders“, sagt Neumann. Ob ihm dieser Auftritt aber zu einem Engagement in der kommenden Spielzeit verhelfen wird, wie er sich wahrscheinlich erhofft, bleibt fraglich.

Zweiter Akt: „Gut gebrüllt, Löwe!“

Auch wenn das Ende der Aufführung schon zu Beginn klar ist, lohnt es sich den gesamten Plot anzuschauen. Die Antagonistin von Innensenator Neumann ist die Bürgerschaftsabgeordnete Christiane Schneider von der Linken. Der Antrag ihrer Fraktion – die rechtliche Grundlage für Gefahrengebiete aus dem Gesetz zu streichen – wird natürlich von der Regierungsmehrheit der SPD abgelehnt. Trotzdem greift Schneider den Innensenator scharf an: „Die Ignoranz gegenüber Problemen, die viele Menschen bewegen, führt dazu, dass sich politische Konflikte aufladen. Das war in den letzten Wochen mit den Händen zu greifen“, sagt Schneider. Das alles rechtfertige keine Gewalt, jedoch trage der Senat einen großen Anteil an der Eskalation der letzten Wochen. „Bei all den Konflikten geht es darum, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen. Das entscheiden weder Polizei, noch Senat oder Bürgerschaft“, so Schneider weiter. Schneider spielt ihre Rolle dabei sehr überzeugend. Die Linke ist schon seit langem gegen das Instrument der Gefahrengebiete, der Antrag die folgerichtige Konsequenz der politischen Forderungen der Linken.

Anders verhält es sich bei den Auftritten der übrigen Oppositionsparteien: Auch Dietrich Wersich, Fraktionsvorsitzender der CDU geht mit Neumann hart ins Gericht. „Das sind die schwersten politischen Krawalle die Hamburg seit 20 Jahren erlebt hat. Der überforderte Innensenator heizt diese mit seinem Verhalten auch noch an“, sagt Wersich, der selbst in der nächsten Spielzeit gerne die Hauptrolle übernehmen würde. Das gerade die CDU, die 2005 das Gesetz zur Einrichtung der Gefahrengebiete eingeführt hatte, plötzlich den Senat für seine konservative Politik angreift, ist für das Publikum aber mehr als unverständlich.

Dritter Akt: „Der Rest ist Schweigen“

Vielen Zuschauern wird nicht aufgefallen sein, dass Regisseur Andreas Dressel, Fraktionsvorsitzender der SPD, einige Stellen des Originalskriptes gestrichen hat. „Gefahrengebiete sind Eingriffe in Grundrechte, das Verwaltungsgericht Hamburg hat aber bestätigt, dass diese verfassungskonform sind“, erläutert Dressel. Während des Stücks in der Bürgerschaft wird jedoch nicht erklärt, dass die Entscheidung des Gerichts im Kontext eines Gefahrengebietes in der Sternschanze  gefällt wurde. Das Gericht bezieht sich somit auf ein räumlich wesentlich kleineres Gebiet für die polizeiliche Maßnahme, als dies zu Beginn des Jahres der Fall war. Die Gerichtsentscheidung bezieht sich nur auf diesen konkreten Fall. Eine abstrakte Normenkontrolle, also eine Überprüfung ob das Gesetz generell für alle Fälle verfassungskonform ist, kann nur das Verfassungsgericht durchführen.

Der Schluss der Aufführung lässt in jedem Fall darauf schließen, dass es eine Fortsetzung des Stückes geben wird. Ein Antrag der SPD wird beschlossen, nach dem die Polizei der Bürgerschaft im Rahmen der jährlichen Unterrichtung besonders über die Einrichtung von Gefahrengebieten berichten soll. Eine genaue Untersuchung der Maßnahmen im Gefahrengebiet, das Anfang Januar ausgerufen wurde, wird es also nicht geben. Das birgt in jedem Fall Stoff für weitere Aufführungen zu dieser Thematik.

Die Grünen weisen jedoch darauf hin, dass es auch eine Vorgeschichte zu der Aufführung in der Bürgerschaft gibt. In verschiedenen Gastspielen an unterschiedlichen Orten der Stadt wird diese immer wieder erzählt. Nach dem letzten Auftritt von „Recht auf Stadt“ zum Thema Mietenwahnsinn und Gentrifizierung, wird auch die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ in den kommenden Monaten diese Geschichte weitererzählen. Es ist wahrscheinlich, dass auch die Darsteller in der Bürgerschaft diese Themen zukünftig bei ihren Darbietungen aufgreifen werden.

Foto: Andreas Praefcke (Own work (own photograph)) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

Kommentare anzeigen (1)

1 Kommentar

  1. Michael

    25. Januar 2014 at 18:35

    Sehr schöner Artikel; auf den Punkt gebracht!

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