Politik

Flora-Bleibt-Demo: Ein Tag im Dezember

Politik
Dominik Brück
@dobrueck

| M.A. Politikwissenschaft | E-Mail: brueck@hh-mittendrin.de

Am Sonnabend kommt es im Zuge einer Demonstration für den Erhalt des Stadtteilkulturzentrums Rote Flora zu schweren Ausschreitungen. Unser Redakteur Dominik Brück war vor Ort und fasst den Tag zusammen.

Am Sonnabend sind die Augen der Medien auf Hamburg gerichtet. Überregional berichten Zeitungen und Fernsehen detailliert über die schweren Ausschreitungen im Zuge einer Demonstration für den Erhalt des Stadtteilkulturzentrums Rote Flora. Die Zustände während der Demo sind chaotisch – es ist nahezu unmöglich alle Ereignisse des Tages im Blick zu haben. Einzig das Ergebnis zeugt von den Dimensionen der Straßenschlachten: 120 verletzte PolizistInnen, eine unbekannte Anzahl an verletzten DemonstrantInnen und schwere Verwüstungen im Schanzenviertel und an der Reeperbahn. Um einen Teil zu dem Gesamtbild des Tages beizutragen, hat unser Redakteur Dominik Brück seine Eindrücke vom 21. Dezember 2013 zusammengefasst (Lest auch unseren Liveticker über die Ereignisse des Tages).

12:00 Uhr: Am Steindamm ist statt der Adventsdemo eine Kundgebung der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ angekündigt. Sofort fällt die starke Präsenz der Polizei auf. Mindestens 20 Einsatzwagen parken in der Nähe des Infozelts an der Internationalen Apotheke. Immer wieder bringen sich kleine Trupps der Beamten um den Kundgebungsort in Position, greifen aber nicht ein. Dazu gibt es auch keinen Anlass: Der Protest der Flüchtlinge ist laut, aber bunt und friedlich. Mehrere Flüchtlingsgruppen aus ganz Deutschland halten Ansprachen und kritisieren die deutsche Asylpolitik. Musik wird gespielt, Menschen tanzen und halten Transparente hoch. Die Veranstalter distanzieren sich von jeder Form der Gewalt, solidarisieren sich aber mit anderen Formen des Protestes. Im Gespräch mit Anwesenden zeigen sich gemischte Gefühle in Bezug auf die später angekündigte Flora-Demo. Aufgrund der Wortwahl des Demonstrationsaufrufes wollen einige der Demo fernbleiben. Andere werden hingehen, hoffen aber, dass es friedlich bleibt.

14:30 Uhr: Ankunft im Schanzenviertel. Etwa 5000 DemonstrantInnen sind bereits vor der Roten Flora versammelt – darunter auch Familien mit Kindern. Es sieht nach einer ganz normalen Demo aus. Transparente fordern ein Bleiberecht für die Lampedusa-Flüchtlinge sowie einen Erhalt der Esso-Häuser und der Flora. Einige DemonstrantInnen haben Tüten dabei, in denen eindeutig Farbbeutel zu erkennen sind. Polizei ist rund um die Piazza kaum zu sehen. Nur an der Spitze des Demozuges hält sich eine Hundertschaft bereit.

Kurz nach 15 Uhr: Die Demo setzt sich in Bewegung. Vorneweg marschieren schwarz gekleidete Protestler mit aufgesetzten Kauputzen und Sonnenbrillen hinter einem Transparent mit der Aufschrift „Refugees, Esso-Häuser und Rote Flora bleiben. Die Stadt gehört allen“. Musik schallt vom Lautsprecherwagen. Unter der Sternbrücke schreit der Einsatzleiter plötzlich „Zurück!“ in Richtung seiner Kollegen, die sich etwa 20 Meter vor ihm und 50 Meter vor der Spitze der Demo befinden. Aus allen Richtungen stürzen BeamtInnen in Schutzkleidung mit gezogenen Schlagstöcken unter die Brücke und stoppen die DemonstrantInnen. Der Demonstrationszug ist zu diesem Zeitpunkt keine 20 Meter weit gelaufen. Es kommt zu Rangeleien zwischen BeamtInnen und ProtestlerInnen, Böller und brennende Fackeln werden auf die Polizisten geworfen. Diese bringen zwei Wasserwerfer in Stellung und fordern die DemonstrantInnen mehrfach auf sich zur Flora zurückzuziehen. Als Antwort regnen weiter Böller und erstmals auch Flaschen auf die BeamtInnen nieder. Nach einer erneuten Warnung schießt Wasser auf die DemonstrantInnen. Die Polizei rückt vor und drängt die ProtestlerInnen zurück. Erstmals fliegen jetzt auch faustgroße Steine.

Zwischen 15:30 Uhr und 16 Uhr: Die Polizei drängt die DemonstrantInnen mit Wasserwerfern und Schlagstöcken zurück. Diese werfen weiter Steine, Böller, Farbbeutel und brennende Objekte auf die BeamtInnen. Es gibt erste Verletzte auf beiden Seiten. Szenen wie aus einem Kriegsgebiet: Sanitäter tragen schreiende, blutüberströmte Menschen – DemonstrantInnen und PolizistInnen – auf Tragen aus der Gefahrenzone. Einige scheint es nicht zu kümmern, dass die Sanitäter helfen wollen – Steine und Leuchtgeschosse fliegen auf die Retter. Zu diesem Zeitpunkt sind auch noch nicht alle Kinder in Sicherheit. Zwei Polizisten stellen sich schützend vor einen Vater mit seinem Sohn. Ein Stein trifft den Helm des Beamten „Bring endlich das Kind hier weg“, schreit er. Der Vater gehorcht und rennt mit seinem Sohn auf dem Arm davon. Die Situation bleibt chaotisch: In der Juliusstraße und dem Schulterblatt sind rund 8000 DemonstrantInnen eingekesselt. Doch auch auf der Piazza bewegen sich noch Menschen zwischen den Polizeiketten. Blanker Hass schlägt den BeamtInnen entgegen – sie werden bespuckt und angeschrien.

16:15 Uhr: Die Lage beruhigt sich etwas. PolizsitInnen und DemonstrantInnen stehen sich gegenüber. Einige Reden erinnern an den politischen Hintergrund der Demo, die inzwischen von der Polizei für aufgelöst erklärt wurde. Im Gespräch mit einem Polizeisprecher wird als Grund für das Eingreifen angegeben, die Demo wäre zu früh losgelaufen, ohne auf die Genehmigung der Polizei zu warten. Später berichtet die Pressestelle der Polizei eine andere Version: Die BeamtInnen seien mit Steinen beworfen worden und hätten daher eingegriffen. Von einem Lautsprecherwagen fordern die ProtestlerInnen die Polizei zum Rückzug auf. Diese bleiben jedoch und halten die Kessel aufrecht.

Gegen 17 Uhr: Auf dem Weg zum Pferdemarkt sind vereinzelt brennende Barrikaden auf der Straße zu sehen. Überall liegen Pflastersteine, herausgerissene Verkehrszeichen und Müll auf den Straßen. An der Kreuzung Schulterblatt und Schanzenstraße herrscht die gleiche Situation wie vor der Flora. Die Polizei hält die DemonstrantInnen eingekesselt. Doch auch hier bewegen sich hinter den Polizeilinien viele Menschen, die die BeamtInnen bepöbeln. Diese reagieren jedoch ebenfalls sehr aggressiv: „Verpiss dich doch und geht einfach nach Hause“, brüllt ein Polizist eine junge Frau an. Irgendwann wird der Kessel aufgelöst und die DemonstrantInnen in Kleingruppen herausgelassen. Viele ziehen in Richtung der Esso-Häuser, wo bereits seit etwa einer Stunde rund 200 Menschen demonstrieren.

18 Uhr: Auch die Reeperbahn sieht aus wie ein Schlachtfeld: Brennende Barrikaden, Steine und andere Gegenständen liegen auf der Partymeile. Die meisten Clubs und Läden sind geschlossen. Einige Vermummte zerbrechen Gehwegplatten und legen die Bruchstücke bereit – es scheint als bereiten sie sich auf den Sturm gegen die Polizei vor, die überall auf der Reeperbahn versucht DemonstrantInnen abzuschneiden und einzukesseln. Immer wieder wird per Lautsprecher zum Verlassen der Reeperbahn aufgerufen. „An alle Unbeteiligten: Verlassen sie diesen Bereich. Hier findet ein Polizeieinsatz statt. Wenn sie dieser Aufforderung nicht Folge leisten, kann die Polizei nicht für ihre Sicherheit garantieren“, heißt es aus dem Lautsprecher.

18:30 Uhr: Vor den Esso-Häusern kommt es erneut zu Prügeleien zwischen PolizistInnen und DemonstrantInnen. Die Polizei setzt Reizgas ein. Rund 2000 Menschen stehen verteilt um den Spielbudenplatz, wo Besucher des Weihnachtsmarktes das Schauspiel beobachten. Der Bauzaun um die gesperrten Esso-Häuser ist eingerissen. Rund um die Gebäude stehen sich Gruppen von DemonstrantInnen und der Polizei gegenüber. Immer wieder preschen die BeamtInnen vor und machen Jagd auf einzelne ProtestlerInnen, immer wieder werden die PolizistInnen mit Flaschen und Steinen beworfen.

19 Uhr: Unser Redakteur übergibt die weitere Berichterstattung an Kollegen. Nach und nach verteilt sich der Protest auf kleine Aktionen in der gesamten Stadt. Die Nacht hindurch kommt es immer wieder zu spontanen Demonstrationen, bei denen es weiter gewalttätig zugeht. Die Polizei kontrolliert in der Innenstadt verstärkt Personen mit schwarzer Kleidung.

Die Ausschreitungen des 21. Dezember haben bereits jetzt politische Konsequenzen. Die Grünen fordern eine Sondersitzung des Innenausschusses, um zu klären warum die Demo so früh gestoppt wurde, berichtet die MoPo. Kritik am Vorgehen der Polizei gibt es von der Linken in der Bürgerschaft: „Die Polizei hat die Demonstration nach 20 Metern gestoppt, nicht weil sie angegriffen wurde, sondern weil die Demonstration zu früh losgegangen sein soll“, erklärt Bürgerschaftsabgeordnete Christiane Schneider, die das Geschehen aus nächster Nähe beobachtet hat. „Ich habe den Eindruck, dass es die politische Absicht war, die Demonstration nicht stattfinden zu lassen“, so Schneider weiter. Die Polizei habe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Insbesondere der Einsatz von Reizgas und das Bilden von Kesseln werden auch von Juristen immer wieder kritisiert. Jedoch wird auch die Gewalt, die von den DemonstrantInnen ausging von der Politik verurteilt.  „Die politischen Konflikte in dieser Stadt können nur politisch ausgetragen werden. Der gestrige Tag hat die Gräben vertieft und die Spaltung in dieser Stadt verschärft“, sagt Schneider.

Kommentare anzeigen (11)

11 Kommentare

  1. Pingback: Krieg in den Straßen von Hamburg | Journalistenwatch.com

  2. babra

    22. Dezember 2013 at 20:12

    So, das nenne ich mal gute Berichterstattung, dankeschön!!!
    Ich war dort, ohne Angst und Hass und werde auch weiterhin zu Demonstrationen für friedliches , gerechtes und soziales Miteinander gehen. Auf gewaltbereite Uniformierte, ob schwarz gekleidete (wahlweise grün) mit Visieren und Schlagstöcken oder schwarzgekleidet mit Sonnenbrillen und Steinen stehe ich so gar nicht. Es ist aus meiner Sicht schon so, dass alles daran gesetzt wurde, dass die Demo gar nicht erst starten konnte, im Vorwege verbieten ging ja nun mal nicht. Die Staatsmacht der Stadt hat das geschickt gesteuert, die Polizei als (hier wieder einmal) häßlich agressives ausführendes Organ…fürs nächste Mal wünsche ich mir, dass die Menschen aus dem „schwarzen Block“ sich nicht provozieren lassen, die Ruhe bewahren und einfach demonstrieren gehen, gemeinsam mit uns!
    Und ich wünsche mir, dass die Medien, die immer wieder nur plakativ polarisierend agieren, sich ein Beispiel an euch nehmen!!!

  3. Pingback: #Adventskalender – Türchen 21: Flora/Essohäuser/LampedusaHH-Soli Demo in HH – PM & Pressespiegel | Wir bleiben alle!

  4. Max

    23. Dezember 2013 at 01:37

    Jetzt mal ganz ehrlich….. Die Schmuddelkinder wollten doch von Anfang an Stress machen. Wer bringt denn sonst Wurfgeschosse mit auf eine Demo, weil bald Silvester ist? Nein, um Krawall zu machen und um Fremdes Eigentum zu zerstören. Natürlich ist die Polizei auch nicht ganz unschuldig aber mal Butter bei die Fische… wer Demonstrieren will brauch sich nicht vermummen und bringt auch keine Wurfgeschosse mit. Ich sage Selber schuld wenn die Schmuddelkinder aufgerieben wurden. Und wenn ich als Demonstrant dabei gewesen wäre und ich hätte gesehen das jemand solche Sachen dabei hat, würde ich ihn sofort melden so das er entfernt wird. Den meisten ging es doch gar nicht um die Demo sonst nur um Krawall zu machen.

  5. Pingback: Eskalation durch Greiftrupps - PHSBLOG.AT – Philipp Sonderegger's politischer Blog.

  6. thomas

    1. Januar 2014 at 21:11

    der linke mop ist kein stück besser als der ganze braune mop… feige kinder die sich hinter ihren schwarzen klamotten verstecken…

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