Am Montag lud der Verein „Mehr Demokratie“ zu einer Podiumsdiskussion über die Rolle der Bezirke in Hamburg ein. Obwohl sich alle Politiker einig sind, dass die Bezirke zukünftig gestärkt werden sollen, fehlt es an Konzepten für die Umsetzung. Bei den BürgerInnen sorgen derweil das Durchregieren des Senats und die als unzureichend empfundene BürgerInnenbeteiligung für Frustration.
Gleich zu Beginn der Veranstaltung ist das Kernproblem der Bezirkspolitik in ganz Hamburg schnell erklärt. „Das Hamburgische Verfassungsgericht hat einige unschöne Sachen über den Stellenwert der Bezirke geäußert“, sagt Andreas Dressel, Fraktionsvorsitzender der SPD in der Bürgerschaft. Dressel bezieht sich dabei auf das Urteil des Verfassungsgerichtes über die Zulässigkeit einer 3 Prozent Hürde, die Anfang des Jahres durch die Richter verneint wurde. Das Gericht stellt darin fest, dass es sich bei den Bezirksversammlungen nicht um vollwertige politische Vertretungen handelt, sondern um Organe der städtischen Verwaltung. Die Bezirke haben daher in der Hamburger Einheitsgemeinde nicht die gleichen kommunalen Selbstverwaltungsrechte, wie dies in den meisten anderen Bundesländern der Fall ist. Die Folgen dieser Konstruktion für Bezirksverwaltung und Bezirkspolitik wiegen schwer.
„Der Senat kann jederzeit direkt mittels einer Evokation in die Bezirke eingreifen. Das ist das Problem“, sagt Christiane Schneider, Bürgerschaftsabgeordnete der Linken. Begründet wird das Recht des Senats, jederzeit in die Angelegenheiten der Bezirke eingreifen zu können mit der Berücksichtigung gesamtstädtischer Interessen. Dies ist in Einzelfällen, wie bei der hamburgweiten Regelung des Nahverkehrs, auch sinnvoll. Kritisch gesehen wird jedoch, dass der Senat meist ohne Legitimation der Bürgerschaft Entscheidungen über Angelegenheiten der Bezirke treffen kann. „Evokationen des Senats sollten von der Bürgerschaft beschlossen werden. Dann ist die Legitimation durch direkt von den BürgerInnen gewählte VertreterInnen gegeben“, sagt Claus-Joachim Dickow, Fraktionsvorsitzender der FDP in Hamburg-Nord. Aber auch ohne die Eingriffe des Senats sind den Bezirken derzeit enge Grenzen gesetzt. „Die Bezirke sind im Würgegriff des Senats und haben kaum Handlungsspielräume“, sagt Susanne Zechendorf, Fraktionsvorsitzende der Grünen in Wandsbek. Besonders die Schuldenbremse treffe die Bezirke besonders hart, da die Möglichkeiten vor Ort Einsparungen vorzunehmen oft sehr gering seien. Aus diesem Grund fordern Grüne und Linke ein eigenes Haushaltsrecht für die Bezirke. Dieses müsse jedoch dann auch eine entsprechende finanzielle Ausstattung beinhalten. „Wenn die Bezirke stark sind und mit ausreichenden Mitteln ausgestattet werden, kann man bürgernahe Politik machen“, sagt Sven Nötzel, Fraktionsvorsitzender der CDU Bergedorf. Bürgernahe Politik ist es, die anwesende BürgerInnen derzeit vermissen. Sie fühlen sich durch die Politik nicht ausreichend ernstgenommen und sind frustriert über die Art und Weise, wie mit der Kommunalpolitik und dem Willen der BürgerInnen umgegangen wird. „Beteiligung heißt nicht, die BürgerInnen entscheiden und dann greift der Senat ein und macht was er will“, sagt ein Bürger. Aber auch gegenüber der Bezirkspolitik gibt es Vorbehalte. Die Mehrheit der anwesenden BürgerInnen wünscht sich eine direkte Beteiligung der BürgerInnen an kommunalen Entscheidungen. „Die repräsentative Demokratie ist ein Auslaufmodell. Die Repräsentanten haben das nur noch nicht gemerkt“, sagt ein Bürger. Aus einer selbst erstellten Statistik eines Anwesenden wird ersichtlich, dass in den vergangenen 15 Jahren für kein Bürgerbegehren mit dem eine gemeinnützige Einrichtung verhindert werden sollte genügend Stimmen zusammengekommen sind. Desweiteren seien 60 Prozent aller Bürgerbegehren mit dem Ziel gestartet worden etwas zu erhalten. „Man kann den BürgerInnen also durchaus vernünftige Entscheidungen zutrauen“, sagt der Statistiker.
Voraussetzung sowohl für bürgernahe Politik in den Bezirken, als auch für die direkte Beteiligung der BürgerInnen ist jedoch Transparenz und Offenheit für alle. Auch hier sehen die Anwesenden trotz des neuen Hamburger Transparenzgesetzes noch Defizite. „Viele wundern sich immer, dass die BürgerInnen auf die Barrikaden gehen, wenn die Bagger kommen. Aber was sollen sie denn sonst tun? Sie wissen es ja meistens nicht rechtzeitig und dürfen dann nicht mitentscheiden“, sagt Andreas Gerhold, Fraktionsvorsitzender der Piraten in Hamburg-Mitte, die als einzige Fraktion nicht auf dem Podium vertreten ist.
Gerade in Hamburg-Mitte werden jedoch die Beschränkungen der Bezirkspolitik durch die enge Verknüpfung von Stadt und Bezirk immer wieder deutlich. So müssen demnächst Kundenzentren des Bezirksamtes geschlossen werden, um die Sparpolitik des Senats umzusetzen. Eine Finanzierung der für die bürgernähe der Verwaltung wichtigen Zentren aus anderen Budgets ist aufgrund des nicht vorhandenen eigenen Haushalts nicht möglich. Das Beispiel Opernfundus in Wilhelmsburg zeigt, wie leicht der Senat an BürgerInnen und der Bezirkspolitik vorbei regieren kann. „Es darf nicht immer darum gehen, was der Senat sagt, sondern die Bezirksversammlung muss in der Lage sein eigene Schwerpunkte zu setzen“, sagt Sven Nötzel über seine Erfahrungen aus Bergedorf. In Hamburg-Mitte fehlt die Korrekturfunktion der Bezirksversammlung. Die regierende SPD ist in der Regel bemüht die Politik des Senats zu unterstützen. Dies nicht immer aus Überzeugung, sondern aufgrund des Einflusses, die der Senat weit in den Bezirk hat.
Letztlich sind sich alle anwesenden Politiker einig, dass die Bezirke gestärkt werden müssen, um bürgernahe Politik zu gewährleisten. Ein konkretes Konzept für dieses Vorhaben gibt es jedoch bisher in keiner Partei. Auch die Beteiligung der BürgerInnen wird derzeit noch durch politische Vorgaben und das Evokationsrecht des Senats eingeschränkt. Zukünftig werden jedoch die Rolle der Bezirke und der BürgerInnen für den politischen Prozess in Hamburg bedeutender werden. „Schließlich ist der beste BürgerInnenentscheid der, den man verhindert hat, weil man sich vorher verständigen konnte“, sagt Andreas Dressel. Es bleibt abzuwarten, wann die Fraktionen der Bürgerschaft zu diesem Thema einen Konsens finden. Für eine echte Stärkung der Rechte von Bezirken und BürgerInnen wird es in jedem Fall eine Änderung der Hamburger Verfassung geben müssen.
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