Zwei Wochen vor den Wahlen der Bezirksversammlungen in Hamburg hat das Bürgerbeteiligungsforum, bestehend aus Hamburger Stadtteilbeiräten und anderen Initiativen, alle Interessierten eingeladen über Bürgerbeteiligung zu sprechen. In einem regen Austausch wurde deutlich, dass es nicht nur bei den Stadtteilbeiräten Probleme gibt.
Rund 50 Quartiers- und Stadtteilbeiräte gibt es in Hamburg. Hier kommen Initiativen, Behörden, Vereine, Politiker und Interessierte eines Stadtteils oder Quartiers sechs bis zehn Mal im Jahr zusammen, um sich auszutauschen, zu informieren und ihren Stadtteil betreffende Politik mitzugestalten. So soll eine aktive Bürgerbeteiligung möglich sein und die Expertise der Bürger vor Ort für politische Entscheidungen genutzt werden. Entstanden sind sie vor allem durch städtische Förderprogramme, wodurch sie institutionellen Charakter haben und direkt an das nächst höheren Verwaltungsorgan, die Bezirksversammlungen, angeschlossen sind. Derzeit bekommen die Stadtteilbeiräte finanzielle Mittel aus dem Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE). Dieses läuft Ende des Jahres für viele Gebiete aus – rund die Hälfte der Stadtteilbeiräte Hamburgs muss deshalb ihre Arbeit massiv einschränken oder gar ganz ums Überleben kämpfen. Denn die Arbeit kostet neben ehrenamtlichem Engagement auch Geld, zum Beispiel für Plakate, Protokolle und Einladungen oder Räume.
Stadtteilbeiräte in Gefahr
So geht es auch dem Stadtteilbeirat St. Georg: Das Gremium gibt es seit über 30 Jahren. Mit rund 70 bis 80 Teilnehmern ist er gut besucht, das Interesse zur Mitwirkung der Bürger ist sichtbar vorhanden. Michael Joho vertritt dort den Einwohnerverein St. Georg und ist seit 20 Jahren dabei. Es sieht den Beirat vor allem als Anlauf- und Informationsstelle für die Belange vor Ort. Eine Alternative zum Stadtteilbeirat, beispielsweise in Form eines Fördervereins, wie es hin und wieder gefordert wird, hält er für problematisch, nicht nur wegen des Geldes. „Die Bezirksversammlung muss bei uns gesetzlich Rechenschaft ablegen. So haben wir wenigsten einen Fuß in der Tür“, erklärt er. Auch die Logik des Arguments, dass nach St. Georg nun andernorts gefördert werden müsste, findet Joho falsch: „Wunderbar, dass erkannt wird, dass auch andere Stadtteile das Recht auf Beteiligung haben sollen, nur muss auch erkannt werden, dass dafür bestehende Beteiligungsstrukturen nicht beschnitten werden dürfen“, meint er. 10 Millionen Euro fordern Vertreter der Beiräte beim Bürgerbeteiligungsforum für die Unterstützung von Bürgerbeteiligung in Hamburg – 2 Millionen sind für den Quartiersfond des Haushaltes 2015/2016 vom Senat vorgesehen, die nicht ausschließlich für Bürgerbeteiligung eingesetzt werden, sondern auch andere Projekte in den Stadtteilen finanzieren sollen.
Noch viel Potenzial
Der Bedarf für Kompetenz vor Ort ist jedoch da, denn Lokalpolitik ist kompliziert. Das zeigt sich auch beim Bürgerbeteiligungsforum. Marion Fischer sitzt für die Linken im Quartiersbeirat Osterbrook im Osten Hamburgs. Wertvoll an den Stadtteilbeiräten findet sie die Nähe zum Bürger. „Es ist das einzige Gremium, in dem vor einer Beschlussfassung ein Stimmungsbild aller anwesenden Personen eingeholt wird – egal ob Beiratsmitglied oder nur Bewohner des Stadtteils“. Sie sieht jedoch auch die Gefahr, dass kleine oder schwache Interessengruppen durch diese kleinteilige Politik zerrieben werden. „Migranten sind bei uns klar unterrepräsentiert“, berichtet sie. Dass deshalb ganz auf die Stadtteilbeiräte verzichtet werden sollte, finden weder Marion Fischer noch Michael Joho: „Da ist noch viel Potenzial. Doch manchmal kommen Migranten zum Stadtteilbeirat St. Georg und erzählen ausführlich von ihren Anliegen, das ist immer noch mehr, als auf höherer Ebene erreicht wird“, sagt Joho.
Ein weiterer Kritikpunkt an einer Stärkung der Beiräte ist das sogenannte „Not in my backyard-Argument“. Danach gibt es Angelegenheiten, die von gesamt-hamburgischen Interesse sind, für einzelne Stadtteile aber Nachteile bringen könnten. Diese dürften nicht dadurch gefährdet werden, dass zu ihrer Durchsetzung die Zustimmung jedes einzelnen Stadtteils eingeholt werden muss. Doch auch dieses Argument verliert im Einzelfall schnell an Schlagkraft, wenn man den Berichten betroffener Bürger lauscht: „Wir sind auf St Pauli dem Massentourismus hilflos ausgesetzt – Hafengeburtstag, Harley-Days, und der Eurovision Song Contest. Einige können kaum noch vor die Tür treten“, erzählt eine Bewohnerin des Stadtteils beim Bürgerbeteiligungsforum und betont: „Wir wissen wie wichtig der Tourismus für Hamburg ist, wir möchten als Betroffene nur bei den Entscheidungen etwas mehr Gewicht haben.“ Anders herum gesprochen: So wie es für höhere Gremien problematisch ist gesamtwirtschaftliche Themen für benachteiligte Stadtteile schmackhaft zu machen, sehen sich die Stadtteile vor der Herausforderung, ihre Interessen auf einer Ebene zu transportieren, auf der Entscheidungen gefällt werden.
Eine Frage des Vertrauens
Zu den klassischen Problemen lokaler Demokratie gesellen sich strukturelle Hürden. Teilweise sind die Kompetenzen nicht genau abgegrenzt. Wirtschaftliche Interessen drängen sich in den Prozess der Bürgerbeteiligung. Verschiedene Intitiativen beklagten so auf dem Bürgerforum, dass Ihnen trotz geltendem Transparenzgesetz der Zugang zu Informationen teilweise erschwert und erst durch Klagen gewährt wurde.
Sensibel in diesem Zusammenhang ist das Thema Vertrauen: Viele Bürger in Stadtteilbeiräten und Initiativen stecken viel Herzblut in ihre ehrenamtliche Arbeit, fühlen sich aber von der Bezirks- und Landespolitik nicht ernst genommen. Deutlich wurde das bei Projekten wie dem Umbau der Rindermarkthalle: Es gab Planungsworkshops und Baustellenbesichtigungen nachdem der Mietvertrag der Stadt mit dem neuen Mieter (EDEKA-Nord-Gruppe) geschlossen wurde. Die Ergebnisse der Workshops wurden kaum in die weitere Planung einbezogen. Der Einladung zum Vergabeverfahren für die Nutzungsflächen folgten einige Beiräte nicht – aus der Befürchtung heraus, es würde sich um eine „Alibi-Veranstaltung“ handeln, die Bürgerbeteiligung vorgaukelt, wo keine ist. Ähnliche Erfahrungen sammelten die Bürger in Wilhelmsburg mit der Verlegung der Reichsstraße. Hier wurde zur Bürgerbeteiligung das „Beratungsgremium Verkehr“ eingerichtet und stellte im Auftrag des Bezirks Hamburg-Mitte Empfehlungen auf Grundlage eines Gutachtens zusammen. Diese wurden vom Senat aber kaum beachtet. „Das war für uns ein traumatisches Erlebnis“, erzählt Liesel Amelingmeyer vom Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg.
Noch viele Baustellen
Gänzlich gegen den Weg über vorhandene politische Strukturen mit zu gestalten wendete sich beispielsweise die Initiativen aus dem Gängeviertel. Als die maroden Häuser beim Gänsemarkt zu verfallen drohten, besetzte eine Gruppe von Aktivisten diese im Jahr 2009. Von Anfang an legten Sie ihre Ideen und Prozesse offen dar – sowohl für die Bürger, als auch für die Politik. Um in Dialog mit der Stadt zu treten, wählten sie schließlich 2010 den „formellen“ Weg der Gründung einer Genossenschaft. „Wir haben immer versucht der Politik einen Schritt voraus zu sein“, erzählt Michael Ziel, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Gängeviertel Genossenschaft. Nun werden die ersten Altbauten saniert.
Probleme gibt es aber auch hier weiterhin, da es oft zu Diskussionen darüber kommt, wie groß der Einfluss der Bürger bei dem Projekt überhaupt sein kann. Das Bürgerbeteiligungsforum macht deutlich, dass es für die Stadt Hamburg noch viele Baustellen mit Blick auf Bürgerbeteiligung gibt, die Forderungen der Bürger nach mehr Mitspracherecht aber immer lauter werden.
Foto: Jonas Walzberg
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