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Besetzer im Interview: „Wohnen ist ein Grundrecht“

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Es geht um Wohnungsnot, Verdrängung und Gentrifizierung: Ab Mittwoch kommen AktivistInnen aus ganz Europa zu den „Squatting Days“, um zu diskutieren und Aktionen zu planen. Im Interview erzählt einer der Veranstalter, wie die Besetzer-Szene heute aussieht – und warum eine Hausbesetzung oft erst das letzte Mittel ist. 

Mittendrin: Im Fokus der Squatting Days steht ein Thema: Hausbesetzungen. Die haben in Hamburg bereits lange Tradition – wie geht die Stadt derzeit mit BesetzerInnen um?

Peter P.: Schlecht – in Hamburg wird bereits seit einigen Jahren die so genannte „Berliner Linie“ gefahren – Hausbesetzungen werden meistens bereits nach wenigen Stunden beendet, Polizeieinheiten räumen okkupierte Gebäude oder Plätze dabei teilweise auf sehr rabiate Weise. Ausnahmen gibt es zwar – zu nennen wären etwa das Gängeviertel in der Neustadt oder der Wagenplatz Zomia an der Max-Brauer-Allee. Diese Projekte konnten allerdings nur mit sehr viel Stress und Verhandlungsgeschick durchgesetzt werden.

War das denn jemals anders – schließlich gab es schon in den 80er-Jahren Straßenschlachten mit der Polizei?

Unser Eindruck ist, dass die Stadt heute in der Regel weniger auf Dialogbereitschaft setzt. Besetzte, leerstehende Räume werden sofort geräumt. Dabei wird der jeweilige Hausbesitzer oft nicht einmal vorab kontaktiert, um ein Einverständnis für die Räumung einzuholen – obwohl dazu eigentlich die Pflicht besteht. Doch heute geht es eben um deutlich mehr Geld als früher, Immobilien sind wertvolle Spekulationsobjekte geworden. Auch die Kriminalisierung der Besetzer-Szene hat vor diesem Hintergrund zugenommen – AktivistInnen drohen meistens langwierige Verfahren wegen Hausfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Sachbeschädigung.

Welchen Sinn macht es denn noch, zu besetzen – wenn die Polizei ohnehin sofort räumt?

Natürlich geht es bei öffentlichen Besetzungsaktionen darum, Aufmerksamkeit zu erregen und Bilder mit Symbolwert zu erzeugen. Die vielen Besetzungen und Proteste rund um das Thema Wohnen haben schließlich gezeigt, dass das Thema vermehrt in die Öffentlichkeit drängt. Im Fall der im Juli besetzten Gehörlosenschule in Hammerbrook war vielen BesetzerInnen schon im Vorfeld klar, dass dieses Gebäude nicht militant verteidigt werden kann – ein Fünkchen Hoffnung ist allerdings doch immer dabei.

Ein Haus zu besetzen, ist ein radikaler Akt – warum geht ihr nicht den bürokratischen Weg und setzt auf Verhandlungen?

Weil dieser Weg leider oft scheitert, wie unsere Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt haben. Die leer stehende Schule im Münzviertel ist dafür ein gutes Beispiel: Zwei Jahre lang haben AktivistInnen und Stadtteilinitiativen dort versucht, eine Lösung in Form einer Zwischnnutzung zu erreichen – so hätte das Gebäude, auf legalem Weg, temporär als Stadtteilkulturzentrum genutzt werden können . Doch die Verhandlungen gerieten immer wieder ins Stocken, aus unserer Meinung nach fadenscheinigen Gründen wurde ein Nutzung untersagt – die Hausbesetzung war am Ende ein letztes Mittel, um auf diesen Misstand aufmerksam zu machen.

Hausbesetzung – mit dieser Aktionsform werden in der Öffentlichkeit längst nicht mehr nur militante Straßenkämpfe, sondern auch Konfetti und knallende Sektkorken verbunden. Wie steht ihr zu dieser Entwicklung?

Diese Entwicklung zum Hedonismus ist da, keine Frage – es gibt eben verschiedene Herangehensweisen an eine Hausbesetzung, die vom partymäßigen, bunten Protest im Stil der „Fette Mieten“-Parties bis hin zur militanten Verteidigung reicht, die auch Gewalt beinhalten kann. Wir halten beide Ausdrucksformen für legitim – so lange sich Gewalt nicht gegen Menschen richtet. Die Wahl der Aktionsform ist immer ein Abwägungssache und muss dem Kontext angemessen sein – so wäre es etwa schlimm gewesen, wenn die Eröffnung des Refugee Welcome Centers im Karolinenviertel am 1. Mai von gewalt-betonten Aktionen begleitet gewesen sei. Damit hätten die BesetzerInnen ein falsches Zeichen gesetzt. Stattdessen wurden die Menschen mit Blumen, bunten Transparenten, Luftballons und Konfetti empfangen und haben auch die NachbarInnen so zum Mitmachen eingeladen.

Ist die Hausbesetzer-Szene heute eine andere?

In den letzten Jahren hat es Veränderungen in der Zusammensetzung gegeben: Inzwischen machen etwa verstärkt auch Künstlerbewegungen mobil – durch die Urbanisierung und Verteuerung des Wohnraums gerade in den Großstädten betrifft die Thematik „Wohnungsnot“ heute weite Teile der Bevölkerung. Auch bisher wenig politisierte Menschen, die nicht in der linken Szene sozialisiert sind, interessieren sich für das Thema und sind immer mehr bereit, ihr Grundrecht auf Wohnen einzufordern – etwa Arbeitslose und Studierende.

Zu den Squatting Days kommen BesetzerInnen aus ganz Europa: welche Parallelen und Unterschiede gibt es denn zwischen der Lage in Hamburg und der in anderen europäischen Ländern?

In Südeuropa hat die Finanzkrise Spuren hinterlassen – in Spanien oder Italien etwa besteht eine ganz andere Notwendigkeit, sich Wohnraum anzueignen als hier. Die Protest- und Aktionsformen sind dort aber ähnlich heterogen: Militanz und Hedonismus treten auch dort parallel zueinander auf. Allerdings wird etwa in Spanien inzwischen deutlich brutaler und repressiver gegen BesetzerInnen vorgegangen: Dort wird häufig bereits nicht durch die Polizei, sondern durch private Sicherheitsdienste geräumt, die nationalistisch oder rassistisch auftreten und ihre Abneigung gegenüber bestimmten Gruppen wie Sinti und Roma offen zeigen. Das hat System – diese Entwicklung sehen wir so in Deutschland noch nicht.

Wo liegen die Schwerpunkte im Programm der „Squatting Days“?

Wissen und Vernetzung stehen bei den Tagen im Fokus – wir wollen das Netzwerk vergrößern und uns gegenseitig auf den neuesten Stand bringen. Wir erwarten AktivistInnen aus Wien, Prag, Rom, Kopenhagen, aus Saragossa und Barcelona reisen VertreterInnen von „Squatting Büros“ an, das sind Anlaufstellen für alle, die das Thema Hausbesetzung interessiert. Auch praktische Skills wollen wir vermitteln: wo finde ich den Wasseranschluss im Gebäude, wie kann ich Strom erzeugen, wie Regenwasser aufbereiten? Und natürlich wird auch der politische Hintergrund und speziell die Stadtpolitik in Hamburg thematisiert werden.

Die Planung der Aktionstage war nicht einfach – woran lag’s?

Die Verhandlungen mit dem Bezirk Altona waren beispielhaft für die Kommunikation mit den städtischen Behörden – in einem ersten Gespräch wurden uns weitere Gespräche zur Findung einer Fläche zugesagt und drei potentielle Flächen besprochen, dann ist monatelang gar nichts passiert. Erst nachdem der öffentliche Druck auch durch die Medienberichterstattung immer größer wurde, hat der Bezirk eingewilligt. Wir haben stets auf einem Platz in Altona beharrt, weil wir nicht an den Stadtrand gedrängt werden wollen. Ständig finden in Hamburg diverse Großveranstaltungen wie die „Harley Days“ oder die Kirchentage statt – dann muss auch Platz für ein politisches Bildungscamp in der Stadt sein.

Bei einem Gipfeltreffen der Hausbesetzer-Szene fürchtet die Stadt vermutlich Aktionen …

Tatsächlich wurde uns in Nebensätzen vorgeworfen, dass wir zu Straftaten aufrufen würden – weil es in einem Aufruf hieß: „Lasst uns Aktionen starten und um die Häuser ziehen“. Doch wir organisieren in erster Linie ein Bildungscamp – was drumherum in der Stadt passiert, können wir nicht vorhersagen.

Der Aktivist Peter P. ist Mitglied im Organisationskreis der „Squatting Days“. Die Aktionstage finden vom 27. bis 31. August im August-Lütgens-Park am Haus Drei in der Hospitalstraße 107 in Altona statt. Weitere Infos zum Programm findet ihr hier.

Szenen vergangener Besetzungen sind in einem Mobilisierungs-Video zu den Aktionstagen zu sehen:

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