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Kolumne Wahnsinnsstadt: „Seelenlose Riesenklötze“

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Jan Freitag

Freier Journalist und Autor | Blog: http://freitagsmedien.com/ | Schreibt bei Mittendrin über die "Wahnsinnsstadt" Hamburg und den wöchentlichen TV-Dschungel

Hamburg galt immer als Stadt ohne Hochhäuser. Zumindest in den altbaudominierten Vierteln baute der Hanseat gründerzeitflach fünfgeschossig. Das ist lange vorbei. Die Stadt schießt in die Höhe. Mit der Perspektive verschwindet Hamburgs Seele noch mehr.

Öffentliche Fürsorge hat oft etwas Rührendes. Der Stadt Hamburg zum Beispiel, so scheint es, liegt das dermatologische Wohl seiner Bewohner ungeheuer am Herzen. Um besonders die Haut der Kleinsten vorm sommerlichen Sonnenlicht zu schützen, ersann man daher mehrere Möglichkeiten. Gratissonnenmilch für alle? Zu teuer! Kollektive Landverschickung? Zu bevormundend! Ausgangssperren zur lichtintensivsten Tageszeit? Gerade grünen Koalitionspartnern in spe schwer vermittelbar! Blieb nur eins: Breitflächige Verschattung.

Die Altbausubstanz schrumpft

Aus welchem Grund nämlich sollte ansonsten die Baugenehmigung für ein gefühlt 73-stöckiges Gebäude direkt im Einstrahlkorridor des großen Spielplatzes von Planten un Blomen erteilt worden sein. Vor bald 200 Jahren wurde das Naherholungsgebiet zwar als Ausgleich für die zunehmende Versteinerung der wachsenden Kaufmannsstadt errichtet und seither – entgegen ortsüblicher Gewohnheiten – stetig erweitert und so ein einzelner Wolkenkratzer stört ja nicht das Gesamtambiente. Im Gegenteil: er kühlt zugleich die glühenden Kindergesichter in den Sandkisten zwischen St. Petersburger und Marseiller Straße.

Bliebe nur ein winziges Problem: Das Messegebäude schattet das Terrain nicht zu jeder Tageszeit. Besonders gegen Mittag brennt das wehrhafte Zentralgestirn unverbaut auf die bunten Plastikberge herunter. Es könnte also weiter gebaut werden rund die Grünflächen. Womöglich strebt Hamburgs öffentliche Fürsorge die Totalverkesselung des Spielplatzes an. Wobei wir bei den Fakten wären, die mit staatlicher Obhut doch wenig zu tun haben: Die von Feuersbrünsten und Pfeffersackinteressen zerstörte Altstadtsubstanz schrumpft, während allerorten seelenlose Riesenklötze – vornehmlich mit debilen Bullaugenkonstruktionen oder lustigen Fassadenschiefständen – aus dem autogerechten Asphalt darunter aufwärts wachsen.

Größe zählt doch

Hamburg, das ist die Konsequenz, verliert sein Gesicht, sein Alleinstellungsmerkmal, mithin das, was diesen Ort noch immer vergleichsweise lebenswert macht. Früher galt die Stadt als Tiefstapelzone. In ihren gründerzeitdominierten Wohn- und Arbeitszentren ragten allenfalls Hochhäuser mit Vorsilben wie Grindel- oder Mundsburg Richtung Himmel. Zweistellige Geschosshöhen massierten sich eher in der Ölkonzernverseuchten City-Nord. Und das CCH in Schattenwurfweite zum neuen Messeklotz schien eine Ausnahme zu sein – unsagbar scheußlich, aber singulär. Bis jetzt. Und nicht nur dort.

Denn es geht ja weiter. Die Elbstraße runter Richtung Markenkern errichten selbstlose Bauherren an der Uferpromenade blockweise Sturm- und Wellenbrecher für die verbliebene Hafenarchitektur gegenüber. Gerade kriegt das Hafenklang einen gigantischen Kubus in die Sichtachse gesetzt, was der Kiez hinterm germaniahaften Empire Riverside oder den selbstgefälligen Tanzenden Türmen schon länger zu erdulden hat. Und es ist auch nicht so, dass sich Hafencity und Brauereiquartier sonderlich um die umliegenden Traufhöhen scheren würden. Größe zählt eben doch.

Über Jahrhunderte hinweg repräsentierte der Hamburger Hausherr seinen Wohlstand lieber durch reich verzierte als überdimensionale Fassaden. Sein grundsätzliches Umdenken führt heute zu grassierendem Riesenwuchs in der architektonisch einst so bezaubernden Bestandsstruktur. Besser jedoch hieße es: Umschichten. Die glasstählernen Ungetüme werden ja bestenfalls in den unattraktiveren Randbezirken mit Bewohnern gefüllt; im Bezirk Mitte und Umgebung sind es vorwiegend Touristen, Zweitwohnungsbesitzer, Highend-Bürovolk. Staatliche Fürsorge brauchen die eigentlich weniger.

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Foto: Tobias Johanning

Kommentare anzeigen (2)

2 Kommentare

  1. Reinhart

    10. Juli 2014 at 21:43

    Kein Wunder bei diesem Oberbaudirektor Jörn Walter, der seit Jahren aktiv zur Verschandelung der Stadt beiträgt. Man läßt ihn gewähren und es gibt keinen Aufstand in der Bevölkerung und bei den anderen Parteien. Weiß der Geier woran das liegt. Auch die Presse hält sich bedeckt. Von der Uni ist auch nichts zu hören. Großer Schiet.

  2. Ralf

    14. Juli 2014 at 09:18

    Sehr eindrucksvoll geschriebener Artikel. Bleibt als Fazit: die unmenschliche Bauweise ist der Spiegel der unsozialern und pathologischern Machtpolitik der politischen Akteure. Wir können nur eines dagegen unternehmen, diese verantwortungslosen PolitikerInnen, bei der nächsten Wahl kiel zu zu holen,damit sie die Stadt nicht gänzlich zerstören können.

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