Zwei Wochen nach dem offiziellen Abrissbeginn macht sich der Bagger an die Wohnblöcke auf dem Spielbudenplatz. In einem Monat wird nur noch ein Trümmerhaufen an ein Gebäude erinnern, das den Kiez 50 Jahre lang maßgeblich prägte. Wie gehen die alten Bewohner mit dem Abschied um?
Der tonnenschwere Arm des Baukrans durchbricht die Häuserwand wie ein morsches Stück Holz. Mühelos nagt sich die Zange ihren Weg durch einen Wohnblock der Esso-Häuser, die dünnen Wasserstrahlen des Krans versuchen vergeblich die riesige Staubwolke zu löschen. Steffen Jörg macht ein schnelles Foto und postet es sofort auf Twitter. Daraufhin schließen die Bauarbeiter das breite Zugangstor zur Baustelle, als ob sie eine Unfallstelle vor Schaulustigen abriegeln. Steffen Jörg, aktiv in der „Initiative Esso-Häuser“, wirft einen letzten Blick auf die Häuser, gegen deren Ende er sich in den letzten fünf Jahren gewehrt hat. Bedeutet der Abriss eine Niederlage für ihn? Nein, es schwingt eher Stolz mit, als Jörg feststellt: „Wir haben einen großen öffentlich Druck erzeugt. Der hat auch dazu geführt, dass die Mieter so schnell eine neue Wohnung bekommen haben“.
Für die Bewohner war die Evakuierung „traumatisch“
Schnell musste es auch gehen, als sich die Ereignisse im Dezember letzten Jahres überschlugen und die MieterInnen über Nacht wohnungslos wurden. Kurz vor Weihnachten mussten sie ihre Wohnungen räumen. MieterInnen hatten der Polizei am späten Abend des 15. Dezember von „wackelnden Wänden“ berichtet. „Traumatisch“ nennt eine ehemalige Bewohnerin diese Nacht, als die meisten nur eine Plastiktüte mit ein paar Habseligkeiten mitnehmen konnten. Über die Frage, wie es überhaupt soweit kommen konnte, dass das Haus unter den Augen der MieterInnen zerfiel, streiten sich die Initiative und der Eigentümer Bayerische Hausbau mittlerweile vor Gericht. Als das Münchner Immobilienunternehmen die Häuser 2009 kaufte, waren sie durch die jahrzehntelange Vernachlässigung vom Voreigentümer bereits in einem maroden Zustand. Die Schäden seien so groß, dass eine Sanierung im bewohnten Zustand unmöglich sei. Das besagten zumindest Gutachten des Eigentümers und des zuständigen Bezirksamts Hamburg-Mitte. Während Gutachten um Gegengutachten erstellt wurde, zerfiel das Haus immer weiter bis es schließlich zur nächtlichen Räumung kam. Die Bayerische Hausbau brachte die Evakuierten zunächst in Hotels unter. Inzwischen haben so gut wie alle MieterInnen eine neue Wohnung bekommen, die meisten von ihnen wieder auf St. Pauli. Monika Secka hatte Glück im Unglück, auch sie konnte auf St. Pauli bleiben. Zusammen mit sechs anderen ehemaligen Esso-Mietern ist sie in die Wohlwillstraße gezogen und freut sich über die wieder gefundene Nachbarschaft: „Es ist schön, so viele vertraute Gesichter um sich zu haben“.
Von St. Pauli nach Finkenwerder: „Wie auf dem Friedhof“
Dagegen lebt Günther Hesse von seinen alten Nachbarn weit entfernt – die neue Wohnung des 76-Jährigen liegt am anderen Elbufer in Finkenwerder. Der pensionierte LKW-Fahrer hat über 30 Jahre in den Esso-Häusern gewohnt, ist auf St. Pauli groß geworden. Er muss nicht lange überlegen als ich ihn frage, was ihm dort am meisten gefallen hat: „Die Internationalität! Wenn ich auf dem Balkon gesessen habe, sind Gerüche von den tollsten Gerichten hochgezogen. Und die Nachbarschaft“, fügt er nach einer Pause hinzu. Ganz oben bei ihm im siebten Stock haben sie zusammen Weihnachten gefeiert. Er hat einer Nachbarin Geld geliehen, dafür hat sie beim Kochen und Putzen geholfen. Seit drei Monaten wohnt Hesse in dem ruhig gelegenen Seniorenzentrum, seine Nachbarn hat er noch nicht kennen gelernt. „Wie auf dem Friedhof ist das hier. Kann man gleich ’n Sarg daneben stellen“.
Zurück auf den Spielbudenplatz? „Das pack ich nicht mehr!“
Zwei Angebote auf St. Pauli hat er abgelehnt, eine Wohnung im Karolinenviertel und eine in der Sternstraße, die ihm zu verfallen war: „Da wär’ ich lieber zelten gegangen“. Hesse zupft sich an den weißen Haaren, seine Augen zwinkern lebensfroh. Sieben Kneipen hätte er in Hamburg betrieben, er hat einiges miterlebt. Aber die plötzliche Räumung, sagt er wieder ernster werdend, die kam für ihn auch wie ein Schock. Mit einer Nachbarin zusammen haben sie einfach nur alle Sachen in Kartons geschmissen, zum sortieren war keine Zeit. Jetzt wohnt er noch immer in einem Provisorium zwischen Umzugskartons und losen Schrankplatten, ab und zu besucht ihn ein ehemaliger Esso-Nachbar und hilft mit dem Nötigsten aus. Welcher Rentner hat mit Ende 70 noch die Kraft, sich ein komplett neues Umfeld aufzubauen? Da kommt das Zwinkern wieder: „Ich will mir hier einen Kontakt aufbauen, auf einen Tanzabend mit den anderen Senioren gehen“. Noch einen Umzug traut sich der Rentner aber nicht mehr zu: „Wenn der Neubau irgendwann fertig ist, bin ich ja schon über 80! Das packe ich nicht mehr.“
kai
28. Mai 2014 at 16:03
Hi,
habt ihr auch recherchieren können, woher die ganzen freien wohnungen in „szene-lage“ herkamen? SAGA?