In der Nacht zum Sonntag wurden die Esso-Häuser auf St. Pauli evakuiert. Die Initiative Esso-Häuser macht am Mittwoch in einer Pressekonferenz auf die belastende Situation für die ausquartierten Bewohner aufmerksam und fordert von Bezirk und Eigentümer – sozialer Wohnungbau oder Enteignung.
Text: Morten Luchtmann, Bild und Video: Enno Heidtmann, Titelbild Frank Nocke
Die Initiative Esso-Häuser fordert schnelle praktische Hilfe und ein Rückkehrrecht für die betroffenen Mieter, die ihre Wohnungen nach der nächtlichen Evakuierung am vergangenen Wochenende nur noch kurzzeitig betreten dürfen. So beklagt Sabine Strövesand, Professorin für Soziale Arbeit an der HAW, die große psychosoziale Belastung, der die Bewohner durch den plötzlichen Auszug gegenüber stehen: „Gerade die Schwächeren brauchen jetzt Unterstützung. Alles was deren Leben ausgemacht hat, bricht jetzt auf einen Schlag weg. Viele stehen kurz vor einem Nervenzusammenbruch.“ Sie fordert deshalb schnelle professionelle soziale Unterstützung von Seiten des Bezirksamts und der Bayerischen Hausbau.
„Wie ein schlechter Scherz“
Alltägliche Dinge sind für die Mieter zum Problem geworden: Wo kommt die Post an? Wie kommt man zur Arbeit? Und kann man seine Möbel retten? Die Tage zwischen Hotelbett und der Ungewissheit, wo man in der nächsten Zeit unterkommt, sei für die meisten Betroffenen sehr aufreibend. „Die Leute sind am Ende, Hilfe ist dringend erforderlich!“, mahnt auch Christiane Hollander vom Verein Mieter helfen Mietern. Sie stand in den vergangenen Tagen eng mit den betroffenen Mietern in Kontakt und sprach besonders der GWA St. Pauli großen Dank für deren Unterstützung aus.
Denn die GWA habe sich in der Not um das gekümmert, was Bezirksamt und Bayerische Hausbau versäumt hätten. „Die Bayerische Hausbau hat zwar eine Ansprechperson eingeschaltet, doch deren Nummer hat nur gekriegt, wer explizit danach gefragt hat“, erklärte Christina Röthig von der GWA St. Pauli. Sämtliche Flyer und Informationen rund um die Evakuierung seien von der Initiative Esso-Häuser ausgegangen. Eine Bewohnerin erzählt von einem Anruf, einer besorgten Nachbarin, die verzweifelt versucht an die Medikamente für ihren Ehemann zu gelangen. Ein anderer Anwohner kann es immer noch nicht so richtig fassen, dass er womöglich nie mehr in sein Zuhause zurückkehren kann, in dem er 25 Jahre lang gewohnt hat: „Das ist für mich immer noch wie ein schlechter Scherz. Monatelang wird uns Angst gemacht und dann werden wir nachts um elf rausgeschmissen. Aber für eine riesige Videowand ist am Haus noch Platz!“
Existenzen vor dem Aus
Noch härter als die Mieter trifft es womöglich die Gewerbetreibenden, die in den Häusern Geschäfte betreiben. Zlatko Bahtijarevic, Betreiber des Club Planet Pauli ist „sprachlos“, wie er selbst sagt: „Wir sind in den letzten Tagen von einem sehr erfolgreichen Unternehmen zu einem fast Sozialfall geworden.“ Alles was er dort aufgebaut habe, stehe jetzt kurz vor dem Ruin. Deshalb sei eine finanzielle Entschädigung gerade für die Gewerbetreibenden wichtig. „Das Molotow und andere vergleichbare Live-Clubs besitzen nicht die Substanz, solche finanziellen Ausfälle auch nur annähernd kompensieren zu können“, sagt Terry Krug, Vorsitzende des Clubkombinats Hamburg. Der Zusammenschluss der Hamburger Clubbetreiber kritisierte am Dienstag in einer Pressemitteilung die Berichterstattung der Hamburger Morgenpost, die in einem Bericht die Schallemissionen der Konzerte in den Clubs mit der Evakuierung in Verbindung brachte. Solche Berichterstattung sei kontraproduktiv für die Suche nach neuen Standorten für die Clubs. „Anstatt die Not und das Leiden der betroffenen Bewohner in den Fokus der Esso-Räumung zu rücken, wird nun die Schuldfrage der Live-Musik öffentlich debattiert“, kritisiert das Clubkombinat.
Eine finanzielle Entschädigung für die Gewerbetreibenden ist weiter völlig ungewiss. Zurzeit wolle niemand die Verantwortung übernehmen, meint Steffen Jörg von der GWA St. Pauli: „Die Politik sagt, sie hätten nicht genug Ressourcen und die Bayerische Hausbau sagt, der Voreigentümer hätte Schuld, weil die heutigen Schäden schon unter ihm entstanden sind.“ Dem stellte sich Bernd Vetter, Rechtsanwalt mit Tätigkeitsschwerpunkt Miet- und Immobilienrecht, vehement entgegen: „Die Bayerische Hausbau ist als Verfügungsberechtigter für den jetzigen Zustand des Gebäudes verantwortlich. Dieser Zustand enthält auch die Mängel, die beim Kauf damals übernommen wurden.“ Er hatte bereits im Oktober Anzeige gegen die Bayerische Hausbau beim Bezirksamt Hamburg-Mitte eingereicht, wegen Verstößen gegen das Hamburgische Wohnraumschutzgesetz. Die Anzeige wurde jedoch zurückgewiesen. „Als dritter Beteiligter kann ich das Bezirksamt nur auf seine Pflichten hinweisen, Notständen nachzugehen. Rechtlich gesehen ist das ein Konflikt zwischen Eigentümer und Behörden“, erklärte Vetter. Die Behörden hätten bisher jedoch kein Fehlverhalten festgestellt.
Sozialer Wohnungsbau oder Enteignung
Neben der sozialen Unterstützung fordert die Initiative ein Umdenken in der Planung für die weitere Verwendung des Geländes. Steffen Jörg fordert anstatt geplanter Eigentumswohnungen: „Hundert Prozent sozialen Wohnraum und sonst nichts. Die Bayerische Hausbau kann sich noch umentscheiden und als sozialer Akteur betätigen. Tut sie das nicht, muss die Stadt sie vom Gelände der Esso Häuser enteignen.“ Weiter fordert die Initiative eine transparente Offenlegung der statischen Untersuchungen und ihrer Ergebnisse. „Ich habe bis heute keine offiziellen Informationen darüber, wie der Zustand der Häuser ist“, klagt Hollander: „Wir wollen endlich Fakten sehen. Es kann doch nicht sein, dass wir nur aus den Medien erfahren was los ist!“ Auch von der Politik gibt es Kritik am Agieren des Eigentümers: „Die Bayerische Hausbau hat keinen Anspruch auf einen Bebauungsplan, der ihren Gewinnvorstellungen entspricht oder auch nur entgegen kommt. Dass in Hamburg viele Wohnungen fehlen, darf nicht dazu führen, dass den InvestorInnen alles in den Rachen geschmissen wird“, sagt Heike Sudmann, stadtentwicklungspolitische Sprecherin Fraktion der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft.
Der Prostest geht weiter
Schon am Sonntagabend demonstrierten mehrere hundert Menschen anlässlich der Evakuierung vor den Esso-Häusern und forderten, dass die Bayerische Hausbau Verantwortung für den Zustand der Häuser übernimmt. Am kommenden Sonnabend stehen gleich drei Großdemonstrationen in Hamburg an: Unter anderem wird auch für einen Erhalt der Esso-Häuser, beziehungsweise ein verbindliches Rückkehrrecht für deren Bewohner demonstriert. Es haben sich über 3.000 Demonstranten allein von außerhalb Hamburgs angekündigt. Insgesamt rechnet die Polizei mit über 6.000 Teilnehmern.
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