Politik

Demo: „Mietenwahnsinn“ hat viele Gesichter

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Isabella David
@isabelladavid89

Chefredakteurin | Studentin der Politikwissenschaft an der Universität Hamburg | Kontakt: david@hh-mittendrin.de

Mehrere tausend Menschen gingen am Sonnabend im Rahmen des Aktionstages „Keine Profite mit der Miete – die Stadt gehört allen!“ bundesweit auf die Straße. Auch in Hamburg folgten rund 3000 DemonstrantInnen dem Aufruf des Bündnisses „Mietenwahnsinn stoppen“ und setzten ein Zeichen gegen Aufwertung, Verdrängung und Mietsteigerungen in der Hansestadt.

Die Demonstration startete am Nachmittag am Millerntorplatz auf St. Pauli und zog im Anschluss vorbei an den Hotspots der Gentrifizierung in Hamburg. Zum Auftakt heizte die Band „Caracho“ den DemonstrantInnen von einem alten Feuerwehrauto aus mit ihren Songs „Recht auf Stadt“ und „In Hamburg sagt man Jaja“ ein. Schon am vergangenen Wochenende hatte die Band bei einer „Tour le Mietenwahnsinn“ auf steigende Gewerbemieten im Schanzenviertel und auf St. Pauli aufmerksam gemacht.

Zeitgleich fanden im Rahmen des Aktionstages „Keine Profite mit der Miete – die Stadt gehört allen“ am Sonnabend auch in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Freiburg, Hanau, Köln und Maintal Demonstrationen statt.

Während die Veranstalter in Hamburg von 5.000 TeilnehmerInnen ausgingen, zählte die Polizei am Nachmittag 2.455 Protestierende. Rund 900 Polizeikräfte waren im Rahmen der Demonstration im Einsatz. Vom Millerntorplatz aus zog die Demonstration vorbei an den vom Abriss bedrohten Esso-Häusern. Der Investor, die Bayrische Hausbau, will den entstanden Sanierungsstau an dem Gebäudekomplex am Spielbudenplatz durch Abriss und Neubau, anstatt durch eine Sanierung beenden. „Die 23 Millionen Euro, die Bezirksamtsleiter Andy Grote als Sanierungskosten schätzt, sind eine unseriöse Zahl. In einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt sagt er außerdem, dass ein Neubau die Gentrifizierungsspirale auf St. Pauli hemmen würde. Das stimmt so nicht!“, kritisiert eine Aktivistin der Initiative Esso-Häuser. Aus Sicht der Initiative werden die Abrisspläne des Investors vom Bezirk durchgewunken – legitimiert durch den Anteil von Sozialwohnungen in einem Neubau. „Die Bayrische Hausbau pokert weiter und erpresst den Bezirk“, so die Aktivistin weiter. In der vergangenen Woche erreichte die Diskussion um die Zukunft der Esso-Häuser erneut besondere Brisanz. Die Bayrische Hausbau kündigte den MieterInnen des kompletten Gewerberiegels entlang des Spielbudenplatzes, darunter Kultclubs wie dem Molotow und dem Planet Pauli. „Der Erhalt des Gewerberiegels muss als Option diskutiert werden. Die Politik darf nicht vergessen, die Esso-Häuser haben gesamtstädtische Strahlkraft!“, so die Sprecherin der Initiative Esso-Häuser abschließend.

Nicht nur auf St. Pauli und im Schanzenviertel sind Aufwertungsprozesse, steigende Mieten und Verdrängung ein Problem. Auch in St. Georg sind die Konsequenzen der Gentrifizierung allgegenwärtig. „Seit den 1990er Jahren hat sich das Bahnhofsviertel zu einem der zehn teuersten Stadtteile Hamburgs entwickelt“, sagt Michael Joho, Vorsitzender der Einwohnervereins St. Georg und engagiert im Netzwerk „Recht auf Stadt“. Für den Senat heiße das Aufwertung, für die EinwohnerInnen von St. Georg bedeute dies Verdrängung. „Aufwertung muss bekämpft werden! Die Verdrängung von gesellschaftlichen Randgruppen, wie bettelnden Menschen, Prostituierten, Menschen die Alkohol konsumieren oder kein Dach über dem Kopf haben sei verwerflich. „So geht das nicht! Es gibt ein Recht auf Stadt für alle!“, appelliert Joho. Trotz der Notlagen vieler Menschen gebe es zu viel Leerstand in Hamburg. „Deshalb fordern wir am 16. Oktober das seit Jahren leerstehende Haus in der Koppel 95 ein. Leerstand gehört verboten und verfolgt“, so Joho weiter.

Mit den Konsequenzen des Mangels an bezahlbaren Wohnraum und der Verdrängung von Randgruppen befasst sich auch der Flüchtlingsrat Hamburg. „Wir müssen durchsetzen, dass Flüchtlinge  in Wohnungen und nicht in Flüchtlingsunterbringungen zwangsuntergebracht werden, die oftmals Massenunterkünfte sind und den Charakter von Lagern haben“, sagt Franz Forsmann vom Flüchtlingsrat Hamburg. Auch zwei Sprecher der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ machten bei der Demonstration erneut auf ihre Situation aufmerksam. „Seit dem Frühjahr sind wir hier in Hamburg und noch immer ist nicht klar, wie es mit uns weitergehen soll. Wir wissen nicht, wie lange wir noch die Möglichkeit haben werden in der St. Pauli Kirche zu übernachten. Es wird wieder Winter und das Ergebnis unser Flucht vor dem Krieg aus Lybien soll nicht sein, dass wir auf den Straßen Hamburgs erfrieren!“, erklärt einer der Flüchtlinge und verweist auf die wöchentlichen Demonstrationen der Gruppe (Mittwochs 16.30 bis 19 Uhr, Start am Protestzelt am Steindamm) und auf die geplante Großdemonstration am 2. November.

Durch Mieterhöhungen sind Wohnungen für die bisherigen MieterInnen oftmals nicht mehr bezahlbar, Zwangsräumungen immer wieder die Konsequenz. „Zwangsräumungen gehören zu den gewaltsamsten Formen der Vertreibung im Rahmen von Aufwertungsprozessen“, sagt eine Aktivistin vom Hamburger Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“. Besonders betroffen seien Geringverdiener, Arbeitslosengeld II Empfänger und MigrantInnen. Immer wieder werde versucht diese Zwangsräumungen im Stillen durchzuführen.  So auch bei dem Betroffenen Hans-Werner aus Harburg. Mit der Hilfe von Aktivisten konnte eine Räumung  der SAGA GWG Wohnung jedoch verhindert werden. „Die SAGA hält sich nicht an den Mietenspiegel. Die Miete sollte sich nahezu verdoppeln!“, erklärt Hans-Werner. Auch ein Aktivist des Bündnisses gegen Zwangsräumungen in Berlin meldet sich zu Wort: „Wir konnten bisher 20 Zwangsräumungen erfolgreich verhindern, allerdings am Verhandlungstisch und nicht durch Blockaden. Die Verwertungslogik muss durchbrochen werden, zwangsgeräumte Wohnungen sind nicht wiedervermietbar!“

Mit kreativen Protestformen entlang der Demonstration wurde immer wieder auf die Problemlagen von Gentrifizierung und dem profitablem Handel mit Wohnraum aufmerksam gemacht. So gab eine Pyro-Show auf Höhe des Jolly Roger. An Bäumen aufgehängte Zelte sollten auf die Situation von Wohnungslosen in Hamburg aufmerksam machen. „Zelten ist schön, wenn man die Wahl hat“, heißt es auf einem der Transparente. Gleich zwei Baulücken in der Weidenallee wurden für Aktionen genutzt. In einer der Baulücken wurde ein Transparent mit der Aufschrift „The future is still unwritten“ aufgehängt, während in einer anderen Mietenwahnsinn Zombies auftauchten. Die als Zombies geschminkten und mit Schlafanzügen bekleideten Aktivisten wollten insbesondere auf die Notlage vieler Studierender und Studienanfänger aufmerksam machen. In den vergangenen Jahren mussten gerade zu Semesterbeginn immer wieder Turnhallen, ausgestattet mit Feldbetten, zu Notunterkünften für Studierende, die keine Wohnung finden konnten, umfunktioniert werden.

„Wohnen ist ein elementares Grundrecht. Wohnraum darf keine Ware sein, die dem Gewinninteressse weniger dient!“, bringt ein Aktivist von Avanti bei einer Zwischenkundgebung an der S-Bahn Sternschanze die Forderung der DemonstrantInnen auf den Punkt. „Häuser und Wohnungen sind existenzielle Güter, deren Nutzung gesellschaftlich zum Wohle aller organisiert werden müsste. Das bedeutet, Wohnraum muss vergesellschaftet werden!“ Die Demonstration endet gegen 19 Uhr mit einer Abschlusskundgebung am Karolinenplatz. Laut Polizeiangaben verlief die Demonstration friedlich. Im Anschluss an die Demonstration wurde in der Lilienstraße 8 in der Hamburger Innenstadt ein leerstehendes Haus besetzt, kurz darauf jedoch durch die Polizei geräumt. Schon im Oktober wird es weitere Aktionen rund um das Thema „Mietenwahnsinn“ geben. Vom 7. bis 18. Oktober beginnen die Aktionswochen gegen Mietenwahnsinn, die am 18. Oktober mit einer großen Nachttanzdemo enden sollen.

Fotos: Jonas Walzberg

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5 Kommentare

  1. Stohaus

    5. Januar 2014 at 22:44

    Wir versuchen auch schon Neubau in Hamburg zu Mietpreisen zu realisieren aber die schönen Altbaugebäude aus Hamburg zu entfernen ist nicht Sinn der Sache. Das Stadtbild ist fast nicht mehr ursprünglich und das ist sehr schade. Das ständige Mieten erhöhen trägt auch nicht dazu bei Bruttosozialprodukt zu erhalten!

    • Neubau Hamburg

      5. Januar 2014 at 22:49

      Der Neubau in Hamburg müsste auf die Randbezirke beschränkt werden!

  2. Pingback: Bunte Demo, viele Themen | Mittendrin | Das Nachrichtenmagazin für Hamburg-Mitte

  3. Sabine

    27. Januar 2014 at 09:41

    Es macht wirklich keinen Sinn hier Altbauten abzureißen, die wunderschöne alte Bau – Strucktur sollte man erhalten und vor allem die Menschen die dort leben – dort wohnen lassen.

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