Am Sonntag, 21. September, feiert die „Wilde 13“ als Theaterstück Premiere im Thalia Theater in der Gaußstraße. Wir haben mir Regisseur Jan Gehler darüber gesprochen, wie die Wilhelmsburger Buslinie auf die Bühne kommt.
Mittendrin: Wie kommt man dazu sich mit der Wilden 13 aus Wilhelmsburg zu beschäftigen, wenn man gar nicht aus Hamburg kommt?
Jan Gehler: Ich stand auch vor der Wilden 13 schon mit dem Thalia Theater in Kontakt. Vor etwa einem Jahr hat mich die Chefdramaturgin angerufen und gefragt: „Kennst du Wilhelmsburg? Es gibt hier ein Buch und einen Film über die Wilde 13“. Ehrlich gesagt hatte ich vorher noch nicht so viel über Wilhelmsburg gehört. Es gab bereits die Idee, die Wilde 13 dann auch für das Theater zu gewinnen. Olivia Wenzel, die ich wiederrum aus Hildesheim kenne, sollte den Text für das Stück schreiben. Im Dezember haben wir uns dann gemeinsam mit Kerstin Schaefer und Marco Antonio Reyes Loredo zusammengesetzt. Wir waren uns alle so sympathisch, dass wir dachten – komm wir machen das. Ich habe auch überlegt, warum führt jetzt einer aus Dresden Regie, sollte das nicht ein Wilhelmsburger machen? Aber ich denke jetzt, es ist auch gut, wenn man nicht nur in der eigenen Suppe schwimmt.
Also ist die Wilde 13 nicht nur eine Geschichte für Wilhelmsburger, sondern für uns alle und über uns alle?
Im Stück sind schon auch Insider, die glaube ich nur Wilhelmsburger kapieren. Vom Energieberg bis hin zur IBA, das würden jetzt Dresdner, Leipziger und Berliner nicht direkt verstehen. Olivia Wenzel hat das Stück auch in Wilhelmsburg geschrieben, hat dort zwei Monate gelebt und hat auch ganz viel mit den Menschen im Stadtteil gesprochen. Kerstin Schaefer und Marco Antonio Reyes Loredo haben uns auch schon gleich am Anfang in Wilhelmsburg rumgeführt. Gentrifizierung und Stadtteilentwicklung sind nicht nur ein Hamburger Thema, das gibt es auch in Dresden und anderswo. Ich habe aber schon den Eindruck, dass es in Wilhelmsburg gerade so eine Turbo-Dynamik gibt. Alles mögliche entsteht parallel und wird gehyped, viele Lebenswelten existieren nebeneinander. So existiert am Stübenplatz beispielsweise der Arbeitsstrich neben dem neuen Latte-Macchiato Café.
Die große Frage: Wie kommt der Bus nun auf die Bühne?
Zug oder Busfahrten sind ja meist eher Unorte, Zwangsgemeinschaften, da man sich ja nicht die Leute aussucht mit denen man fährt. Ich habe aber selbst schon erlebt, dass sich das auch ändern kann. Wenn beispielsweise eine Durchsage kommt„Wem gehört der verwaiste Koffer vor dem Abteil so und so“ sehen sich die Menschen in einem Abteil plötzlich auch gegenseitig in die Augen und tippen SMS, weil es die Angst gibt, dass es sich um eine Bombe handeln könnte.
Und so ist es auch in dem Stück: Zuerst ist es nur eine ganz normale Busfahrt. Man kennt natürlich seine Pappenheimer, die schrägen Figuren, wenn man eine Linie öfter fährt, aber dass man wirklich etwas von den anderen mitbekommt, ist ja eher selten der Fall. Genau das passiert jedoch in dem Stück. Als eine Figur von außen in den Bus kommt wird aus den einzelnen Fahrgästen eine Art Gemeinschaft, die ein bisschen mehr durchblicken lässt.
Und wie wir das Busfahren an sich auf die Bühne kriegen – wir haben jedenfalls keinen Bus auf der Bühne. Das Tolle an dem Stück ist, dass man einen Einblick in die Gedankenwelten der einzelnen Fahrgäste bekommt. Im Bus hat man ja viel Zeit nachzudenken. Das Stück ist ein wenig der Versuch zu zeigen, was wäre wenn man diese Gedanken plötzlich hören könnte. Vom Einkaufszettel runterbeten bis hin zur große Trennung von der Freundin. All das prallt dann in der Wilden 13 aufeinander.
Die 13 ist nicht nur ein Verkehrsmittel, sondern auch ein Spiegel des Stadtteils. Wie kann dieses Lebensgefühl auf die Bühne gebracht werden?
Ich hab die Schauspieler auch mit ihren Figuren nach Wilhelmsburg geschickt. Die Schauspieler hatten Aufgaben, beispielsweise Gesprächsfetzen im Bus und an den Haltestellen aufzuschnappen und Gedichte dazu zu verfassen. Sie sollten das Geschehen einfach genau beobachten. Das ist denke ich auch das, was der Film schafft, er lenkt das Bewusstsein auf den Bus. Sonst steigt man ein um von A nach B zu kommen. Im Film schaut man in den Bus hinein und lernt die Leute kennen. Wir haben nicht den Anspruch zu sagen, dass wir das Lebensgefühl der Wilhelmsburger abbilden, das können wir glaube ich gar nicht. Ich denke, das wäre auch anmaßend. Wilhelmsburg ist wie die Eintrittskarte zu Themen, die uns alle beschäftigen. Dabei geht es auch um Gentrifizierung, aber das steckt eher subtil in allen Figuren drin, deren Sichtweise auf die Veränderungen ganz unterschiedlich ist.
Ich würde mir wünschen, dass nicht nur Wilhelmsburger sich wiederfinden, sondern auch alle anderen. Jeder kommt irgendwo her. Es wäre schön, wenn sich das auch im Publikum durchmischt. Es ist ja auch ein wenig absurd, dass wir das Stück hier in Altona in der Gaußstraße zeigen, anstatt in Wilhelmsburg. Aber zur Premiere gibt es ja auch einen Bushuttle. Ich würde mich freuen, wenn nicht nur viele Leute zur Premiere kommen, sondern auch öfter noch ein Bus aus Wilhelmsburg hier ankommt oder die Leute mit dem Fahrrad hier her kommen, natürlich auch aus der ganzen Stadt.
Welche Verbindung haben Sie zu Wilhelmsburg beziehungsweise dem Inselleben?
Ich wurde noch nie so oft gefragt, ob ich aus diesem Stadtteil komme, wie in Wilhelmsburg. Jeder trägt das dort sehr gerne mit sich rum, das macht schon etwas vom Inselcharakter aus. Vielleicht ist es auch mein verkitschter Blick darauf: Aber ich glaube, es gibt schon ein Zusammengehörigkeitsgefühl, oder zumindest wünscht man sich das. Eine Figur im Stück hat ihre Mutter auch bei der großen Sturmflut verloren. Das symbolisiert natürlich schon die Gefahr der Abgeschnittenheit einer Insel und dass man sich dann eben selber helfen muss.
Was ist so wild an der 13 und wie wild wird sie auf der Bühne?
Bei dem Begriff „wild“ hat sich bei mir ein riesen Luftschloss aufgebaut, als ich zum ersten Mal davon gehört habe. Als ich dann selbst mit dem Bus gefahren bin, hatte ich erst mal die Erwartungshaltung, dass wirklich etwas Krasses passiert und dann, … bin ich halt mit dem Bus gefahren. Bei uns wird es jedenfalls wild, weil es ein bisschen absurd wird. Es ist kein normales psychologisches Kammerspiel, wo Figur A auf Figur B trifft, sich streitet und wieder versöhnt. Es wird viel absurder: Der Bus verunglückt und plötzlich sind sie in einer ganz anderen Welt. Ein Fantasy-Roman wird lebendig.
Was? Theaterstück „Wilde 13“
Wann?
Freitag, 7. November, 20 bis 21:30 Uhr
Donnerstag, 20. November, 20 bis 21:30 Uhr
Wo? Thalia Gaußstraße, Gaußstraße 190, 22765 Hamburg
Eintritt? Karten gibt es für 20 Euro über die Homepage des Thalia Theaters.
Titelfoto: Armin Smailovic, Gravelottestrasse 3, D- 81667 München, armin@smailovic.com
Foto „Wilde 13“: Dominik Brück
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