Wie hat sich St. Pauli in den vergangenen Jahrzehnten verändert? Dieser Frage ging die Initiative „PlanBude St. Pauli“ am Wochenende nach und lud ins Molotow: Dort erwartete die Besucher von „Sex, Musik, Vergnügen“ eine Reise in die Vergangenheit des vielseitigen Stadtteils.
von Robert Gerardi
Das Molotow gilt als Urgestein auf dem Kiez: Beliebter Auftrittsort unentdeckter Bands, Raum des Austauschs vieler Subkulturen. Nach dem Abriss der Esso-Häuser musste das Molotow umziehen: Mit drei Ebenen ist die Spielstätte nun wesentlich größer – doch die Betreiber fürchten den Verlust des intimen Charakters. Unter dem Motto „Sex, Musik, Vergnügen“ lud die Initiative PlanBude am Samstag, den 14. Februar, zu einer Diskussionsrunde über die Neugestaltung des Areals der ehemaligen Esso-Häuser in die „Sky-Bar“ des neuen Molotows ein. Gekommen waren Anwohner, einige interessierte Bürger, Mitglieder der PlanBude und des St. Pauli-Archivs. Auch Clubbetreiber, Labelinhaber, Bandmitglieder und ein Hochschulprofessor gehörten zu dem illustren Publikum.
Gunna vom St. Pauli Archiv führte das Publikum in die kulturelle Vergangenheit St. Paulis ein. Sie erzählte von den ersten großen Publikumsmagneten, wie dem „St. Pauli Theater“ und dem „Ballhaus Trichter“, und offenbarte damit, dass das Vergnügen für die Massen schon seit 200 Jahren rund um den Spielbudenplatz existiert. Als Beispiel für die kulturelle Vielfalt rund um den Kiez berichtete Gunna von legendären Tanzlokalen am Anfang des 20. Jahrhunderts wie dem Cafe Heinze, aber auch von Varietévorführungen in Knopfs Lichtspiel-Theater und den ersten bewegten Bildern im Oase-Kino.
Für exotisches Flair in St. Pauli sorgten indes zahlreiche ausländische Restaurants, die verruchten Hafenkneipen und in den 30er Jahren das Chinesenviertel rund um die Schmuckstraße. Kleinkünstler und Artisten nutzten Freiflächen wie den Spielbudenplatz und boten Unterhaltung im öffentlichen Raum umsonst und draußen.
„Eine Kultur des Glotzens“
Den Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart schlug Christoph Schäfer, einer der Initiatoren der PlanBude, in einem kurzen Vortrag über die „Eventisierung der Reeperbahn“, welche sich zu Beginn der 80er Jahre zu einem städteplanerischen Paradigma entwickelte. Er kritisierte die Architektur für Großevents, wie die Bühnen auf dem Spielbudenplatz, und zentral gesteuerte Massenattraktionen wie den „Schlager-Move.“ „Es ist eine Kultur des Glotzens, das Reale wird aufgefressen“, kommentierte Schäfer die Szenerie.
Zuletzt warfen Professor Volker Kirchberg und Robin Kuchar eine wissenschaftliche Perspektive auf die Thematik: Es geht um Wirkung und Ziele der Stadtentwicklung, Kuchar kritisierte dabei den stadtökonomischen Aspekt – städtische Steuerungsprozesse machten sich oftmals in Form von Interventionen in Richtung profitorientierter Interessen bemerkbar, sagt Kurchar: „Weder Inhalte, noch Bedürfnisse und Belange der lokalen Kulturschaffenden spielen dabei eine Rolle.“
„Die Profitinteressen der Investoren müssen zweitrangig bleiben“
Als Anwohner Tim vor 20 Jahren nach St. Pauli zog, waren das Flair des Stadtteils noch anders. Heute verspüre er ein „Gefühl des Drucks“, sagt Tim: Sein Vermieter will das Mietshaus in der Erichstraße in Eigentumswohnungen umwandeln. Deshalb hat er vor einem halben Jahr die Nachbarschaftsinitiative „Kämpf Erich“ gegründet. „Ich bin überzeugt, dass das Areal der Essohäuser nach den Wünschen und Ideen der BürgerInnen gestaltet werden kann, allerdings nur, wenn dabei die Profitinteressen der Investoren zweitrangig bleiben“, sagt Tim.
Um nicht nur die Wünsche der Konsumenten, sondern auch die der Produzenten auf St. Pauli zu berücksichtigen, bildete den Abschluss der Veranstaltung eine kleine Diskussionsrunde mit Paul Pöttsch, dem Sänger der Band „Trümmer“, Heiko Gogolin, dem Mitinhaber des Labels „Pingipung“ und Viktor Marek als Stimme des Clubs „Golden Pudel.“ Es stellt sich heraus, dass es besonders an bezahlbaren Arbeits- und Proberäumen mangelt, aber auch kleine Konzerträume, in denen Platz für Neues und Unbekanntes ist, sind selten geworden rund um die Reeperbahn. Es sind gerade diese Nischen und Freiräume, welche von Künstlern und dem Publikum in zunehmendem Maße vermisst werden.
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