Mehr als 1.000 Menschen haben am Samstag für sexuelle Vielfalt und gegen Homophobie demonstriert. Damit wollten sie ein Zeichen gegen die Forderungen der sogenannten „Besorgten Eltern“ setzen, die sich gegen Sexualaufklärung an Schulen einsetzen. Die Polizei setzte Pfefferspray und Schlagstöcke gegen die Demonstranten des Vielfalt-Bündnisses ein.
„Hamburg demonstriert Vielfalt“: Unter diesem Motto rief das Aktionsbündnis „Vielfalt statt Einfalt“ am Samstagvormittag zu einer Kundgebung auf dem Hansaplatz in St. Georg auf. Das Bündnis – initiiert unter anderem von „Hamburg Pride“, dem Magnus Hirschfeldzentrum und dem Schulaufklärungsprojekt Soorum – wollte damit gegen die Demonstration der „Besorgten Eltern“ protestieren. „Der Regenbogen gehört uns“ lautete das Motto, unter dem die Gegner des Sexualkunde-Unterrichts an Grundschulen in der Innenstadt einen Protestzug abhalten wollten. „Menschen, die für Ausgrenzung stehen, für Rückschrittlichkeit und Homophobie, denen gehört der Regenbogen ganz gewiss nicht“, sagte Stefan Mielchen, Vorsitzender von Hamburg Pride, bei der Eröffnung der Kundgebung auf dem Hansaplatz.
„Braun ist keine Farbe des Regenbogens“
„Besorgte Eltern“ aus dem münsterländischen Sendenhorst protestieren gegen den „Sexualkundezwang“ an Grundschulen: In der Genderbewegung, die traditionelle Geschlechterrollen aufbricht, sehen sie eine Bedrohung. Nur die Familie garantiere der Gesellschaft das Überleben, schreibt die Initiative im Internet, Die „besorgten Eltern“ haben bereits in mehreren Bundesländern demonstriert – in Sachsen werden sie von der NPD unterstützt.
Im Vorfeld hätten die „Besorgten Eltern“ versucht, die am Bündnis beteiligten Personen einzuschüchtern, sagte Mielchen. In Emails soll die Rede davon gewesen sein, dass das Vielfalt-Bündnis gezielt mit „Kampfgruppen“ die Proteste der „Besorgten Eltern“ in anderen Städten angegriffen habe. Ein weiterer Vorwurf der „Besorgten Eltern“: Das Vielfalt-Bündnis versuche sie durch Verleumdung in einen rechtspopulistischen Zusammenhang zu stellen.
„Wir müssen die „Besorgten Eltern“ nicht in einen rechten Zusammenhang stellen, das erledigen sie schon selbst, indem sie Rechtspopulisten wie Jürgen Elsässer in ihren Kreisen hofieren“, sagte Mielchen weiter. Bei der Demonstration gehe es nicht allein um die „Besorgten Eltern“, sondern um den „Rollback der Diskussion“ über sexuelle Vielfalt, die in den vergangenen Monaten stattgefunden habe. Auch Pegida und Co. könne man dabei nicht ausblenden . „Überall wo gegen Minderheiten gehetzt wird, sind auch wir gemeint. Unsere Gesellschaft muss vielfältig und offen bleiben. Braun ist keine Farbe des Regenbogens.“
Sexualkunde an Schulen ist wichtig – das sagen Wissenschaftler des „Kompetenzzentrum Nord – Prävention sexueller Grenzverletzungen und sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“. „Kinder werden schon im Grundschulalter durch Freundschaftsgruppen, andere Erwachsene und Medien mit Erfahrungen und Fragen konfrontiert, die sie aus Scham oder Überforderung oft vor ihren Eltern geheim halten“, sagt Professor Arne Dekker vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Deshalb benötigten Kinder kompetente Ansprechpartner in sexuellen Fragen – wozu auch Lehrkräfte zählen.
Mit Konfetti gegen Homophobie
Nur wenige hundert Meter vom Hansaplatz entfernt trafen sich zeitgleich zur Kundgebung des Aktionsbündnisses die „Besorgten Eltern“ vor dem Hauptbahnhof. Empfangen wurde sie dort von zahlreichen Gegendemonstranten mit Regenbogenfahnen und Plakaten. Nach Abschluss der Kundgebung auf dem Hansaplatz strömten weitere Demonstranten in Richtung Hauptbahnhof.
Schon im Vorfeld war dazu aufgerufen worden, den Protest der „Besorgten Eltern“ möglichst kreativ zu stören und einen Demonstrationszug durch die Innenstadt zu verhindern. Dies gelang den Demonstranten des Vielfalt-Bündnisses auch über mehrere Stunden: Vor dem Ohnsorg-Thater und an der Kirchenallee wurde jeweils eine Gruppe „Besorgter Eltern“ von Gegendemonstranten eingekesselt – zwischen den Demonstranten beider Seiten die Polizei. Über die Polzeikette hinweg lieferten sich die beiden Gruppen Wortgefechte. Auch einige Schneebälle werden auf die eingekesselten Demonstranten geworfen, einige Feuerwerkskörper wurden gezündet. Vor allem traf die Demonstranten jedoch immer wieder Konfetti-Regen.
Demonstrationsrecht „mit aller Gewalt“ durchgesetzt
Gegen 14:30 Uhr führte die Polizei zunächst beide Gruppen der „Besorgten Eltern“ zusammen. Dabei gingen die Beamten mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen die Gegendemonstranten und auch Pressevertreter vor. Auch auf der Kirchenallee versuchten die Gegendemonstranten weiterhin den Protestzug zu verhindern, indem sie einfach den Weg für die „Besorgten Eltern“ nicht frei machen wollten. Die Polizei drängte die Gegendemonstranten schließlich vor dem Demonstrationszug über die Kirchenallee. Um mehr Raum zwischen dem Demonstrationszug und den Gegendemonstranten zu schaffen, setze die Bereitschaftspolizei immer wieder zu Sprints an. Einzelpersonen wurden geschubst, geschlagen und mit Pfefferspray außer Gefecht gesetzt. Auch eindeutig erkennbare Medienvertreter wurden von der Polizei aus dem Weg gedrängt oder mit Pfefferspray besprüht.
Erst als der Demonstrationszug den Rathausmarkt erreichte, entspannte sich die Situation. Die „Besorgten Eltern“ hielten schließlich ihre Kundgebung ab, an denen etwa 80 Menschen teilnahmen. Umringt wurde die Kundgebung von einer großen Polizeikette, dahinter zahlreiche Gegendemonstranten, die weiter versuchten mit Zwischenrufen und lauter Musik die Veranstaltung zu stören. Nach Abschluss der Kundgebung werden die „Besorgten Eltern“ unter Polizeischutz in die U-Bahnhaltestelle am Rathaus geleitet. Auf die Frage eines Demonstranten, warum man diese Kundgebung „mit aller Gewalt“ durchgesetzt habe, antwortet ein Polizeibeamter: „Wir haben nicht die einzelnen Demonstranten oder ihre Meinung verteidigt, sondern ihre Freiheit zu sagen, was sie wollen.“ Um kurz nach 16 Uhr löste sich nach Abreise der „Besorgten Eltern“ auch die Gegendemonstration auf.
Kritik an der Hamburger CDU
Das Aktionsbündnis „Vielfalt statt Einfalt“ wird unterstützt von zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Parteien und zahlreiche Einzelpersonen aus Wissenschaft, Kultur und Politik. Trotz mehrfacher Einladung beteiligt sich laut dem Aktionsbündnis jedoch eine Partei nicht an der Demonstration: „Von der CDU haben wir keine Reaktion erhalten, auch keine Absage“, so Mielchen.
Die Gründe für die Abwesenheit der CDU auf der Kundgebung sieht das Aktionsbündis in den aktuellen Aktivitäten der Partei im Bereich der Sexualpädagogik. Aufgrund einer Kleinen Anfrage der CDU-Bürgerschaftsfraktion an den Senat, die ein bestimmtes Buch „skandalisiere“, soll die Hamburger Schulbehörde die gesamte Fachliteratur für Sexualkunde aus dem Netz genommen haben. „Im Institut für Lehrerbildung gibt es nun keine öffentlich zugängliche Literaturliste der Sexualpädagogik mehr“, sagte Mielchen. Alle sexualkundlichen Fachbücher müssten nun auf ihre pädagogische Eignung überprüft werden. Für Mielchen steht fest, erst der Protest der „Besorgten Eltern“ habe in Verbindung mit den Aktivitäten der Hamburger CDU dafür gesorgt.
Suse
25. Januar 2015 at 01:37
Und das, obwohl die CDU mit einem schwulen Spitzenkandidaten in die Kommende Bürgerschaftswahl geht…
Dr.Dierk-Eckhard
25. Januar 2015 at 11:49
Tolle Reportage in Bild (Christian)und Text (Isabella) – das findet man nur bei MITTENDRIN
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