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Um uns herum nur nichts: Theater über den Alltag auf See

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Wo könnte man besser vom Leben auf See erzählen als im Hamburger Hafen? Das Ensemble „Das letzte Kleinod“ nimmt die Zuschauer mit auf große Fahrt.

Eine einfache Holztribüne, am Ende der Welt möchte man meinen. Das Bühnenbild: Die Elbphilharmonie, der Kreuzfahrtterminal, die AIDAsol, davor noch ein paar Kräne, ein Kanal, durch den am Samstagabend das eine oder andere Partyboot fährt. Hamburg, Leben, Michel, Hafencity: Ganz nahe und doch so weit weg. Hier am Schuppen 52 im Freihafen. Die nächste S-Bahn-Station ist 20 Minuten weit. Der einzige Orientierungspunkt auf dem Weg zu dieser verlassenen Stelle ist das Hafenmuseum. Abends tut sich da nicht mehr viel.

Und doch haben rund 70 Menschen den Weg hierher gefunden und sitzen leicht fröstelnd auf den Holzstühlen. Ein frischer Wind weht den Duft von Hafen und Meer in die Gesichter. Damit es nicht zu kühl wird, werden Schlafsäcke an die Zuschauer verteilt. Auf der freien Fläche davor liegt ein altes, wettergegerbtes Tau, riesengroß und schwer scheint es. Dann: ein Telefonklingeln, ein Mann springt auf und spricht: Jaja, er komme sofort. Ein weiterer Mann springt hinterher. Schon verwandelt sich die graue, steinige Fläche vor der Tribüne zur Bühne. Die beiden Männer erklären dem Publikum, dass sie nun sofort an Bord müssten. Die Company hat angerufen, es ist Freitagabend, aber sie haben keine Zeit zum Überlegen, am Montag geht es los. Dann sind sie auf ihrem Schiff.

Die Sehnsucht fährt mit

Wie das dort so ist, erzählen sie in den nächsten 80 Minuten. In schneller Reihenfolge nehmen sie das Publikum mit auf Große Fahrt, erzählen von der Sehnsucht nach der Familie: Eine Schleife des Taus wird zum Baby, das der Matrose im Arm wiegt. Der Kapitän, ein Russe (Andreas Heinrich Kerbs), gibt mit rollendem R seine Anweisungen. Das Tau verwandelt sich in einen Presslufthammer, einen Esstisch in der Messe, wohl unterschieden zwischen Mannschaft und Offizieren, ein Rettungsboot in schwerer See. Ja, Langeweile kommt nicht auf, wenn der philippinische Koch (Dan Thy Nguyen), der Bootsmann (Barry Edmond), der griechische Ingenieur (Christos Anastasopoulos) und der Kapitän ihre Erfahrungen auf See in Szene setzen.

Auch von der Langeweile an Bord erzählen die Männer. Tage auf See und nur kurze Liegezeiten in den Häfen, von denen sie kaum etwas sehen. Denn manchmal bekommen sie gar kein Visum. Alkohol an Bord ist nur in Form von Bier und Wein erlaubt. Welch eine Krise, wenn der Koch krank wird! Kein Essen, dann ist die Mannschaft sauer. Da beisst der Koch die Zähne zusammen und kocht, auch wenn er sich gerade mit heißem Öl verbrüht hat. Die langen Stunden, in denen nichts passiert, kann man sich heute an Bord mit Computerspielen oder auch einem Internet-Chat mit der Frau zuhause vertreiben. Die Sehnsucht fährt mit.

Zum Schluss verwandelt sich das Tau in Koffer. Mit einem glücklichen Schimmer in den Augen ziehen die Männer ab, nach Hause für ein paar Wochen oder Monate, bis wieder das Telefon klingelt. Brausender Applaus begleitet sie.

Unbedingt ansehen 

Das Theater „Das letzte Kleinod“ wurde 1991 in Amsterdam gegründet. Sein Thema sind die Geschichten rund um Häfen, Seefahrt und die regionalen Kulturen. Für das Stück „Um uns herum nur nichts“ wurden zahlreiche Interviews mit Seeleuten geführt, die zum Teil wörtlich zitiert werden. Umgesetzt werden die Szenen unter der Regie von Jens-Erwin Siemssen und von großartigen Schauspielern, die wunderbar sprechen und den Zuschauer mit ausdrucksstarken Worten und Gesten mitreißen.

Ihre Stücke werden vor den Kulissen der norddeutschen Hafenstädte einzigartig inszeniert. Wo könnte man das Leben auf See, den Alltag der Seeleute so eindrucksvoll schildern wie eben im Hafen?

Fazit: Unbedingt ansehen! Die nächsten Vorstellungen finden in Stade, Emden, Wilhelmshaven, Bremerhaven und Cuxhaven statt.

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