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PUA Yagmur: Jugendhilfe braucht einen „langen Atem“

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Dominik Brück
@dobrueck

| M.A. Politikwissenschaft | E-Mail: brueck@hh-mittendrin.de

Die Befragung des Jugendamtsleiters in Hamburg-Mitte durch den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zum Tod des Mädchens Yagmur macht vor allem eins deutlich: schnelle Lösungen für eine Verbesserung des Kinderschutzes kann es nicht geben.

Veröffentlicht am 18. Juni 2014

Peter Marquard, der Leiter des Jugendamtes im Bezirk Mitte, ist zu Beginn seiner Befragung durch den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zunächst sehr zurückhaltend. Er formuliert langsam, fast vorsichtig und spricht sich immer wieder mit seinem Anwalt ab. Im Vorfeld des PUA hatte Marquard angekündigt möglicherweise gar nicht aussagen zu wollen. Für seine Vernehmung sind daher in der Tagesordnung auch nur 30 Minuten vorgesehen. Der 57-Jährige entscheidet sich jedoch anders: „Ich  möchte meine Betroffenheit über den tragischen Tod eines Kindes zum Ausdruck bringen“, begründet Marquard eine Aussage. „Deshalb möchte ich mit meiner Erfahrung und meinem Wissen zu Verbesserungen beitragen.“ Die folgende fünfstündige Befragung macht deutlich, dass Veränderungen im Jugendamt Mitte tatsächlich dringend notwendig sind – eine schnelle Lösung für alle bestehenden Probleme scheint aber ausgeschlossen.

Immer die gleichen Probleme

Zu Beginn der Sitzung ist Marquard sehr verschlossen. „Es kann sein, dass ich auf einige Fragen nicht antworten werde, da mein eigener Bereich in einer strafrechtlich relevanten Art betroffen sein könnte“, erklärt Marquard.  Auf viele Fragen geht er daher nur kurz ein oder nimmt keine Stellung, da er nicht an den Entscheidungen beteiligt war. Selbst direkt mit dem Fall befasst hat er sich erst nach dem Tod von Yagmur, die im Dezember trotz der Betreuung durch das Jugendamt den Folgen eines Leberrisses erlegen war. Die Mutter ist nun wegen Mordes angeklagt. Es sei normal, dass er nicht mit dem Fall befasst war, da es eine Ausnahme sei, wenn er sich selbst mit einem konkreten Einzelfall beschäftigt, erklärt Marquard. Seine Funktion sei es die Mitarbeiter zu beaufsichtigen, beraten und fortzubilden. So habe er im Fall Yagmur auch keine Entscheidungen getroffen.

Konkrete Zahlen zu der Menge der Fälle, die ein Mitarbeiter betreut, zu Fluktuationen von Personal im Allgemeinen Sozialen Dienst oder der Anzahl der erfahrenen Mitarbeiter im Jugendamt Mitte macht der Pädagoge nicht. „Ich glaube nicht, dass sich die Belastung eines Mitarbeiters mit Fallzahlen feststellen lässt, sondern vielmehr durch Zeit und Qualität der Fälle gemessen werden muss“, sagt Marquard. Die generellen Probleme im Jugendamt Mitte ähneln aber denen, die bereits eine Führungskraft aus Eimsbüttel für seinen Bereich geschildert hatte: Zu wenig Personal, Mängel im Computersystem, zu viel Bürokratie und schlechte Kommunikation zwischen den einzelnen Behörden.

„Es wir nicht immer nach den Regeln gearbeitet“

Marquard ist jedoch bemüht die bestehenden Probleme in seinem Bereich zu relativieren. „Im Fall Yagmur war die Arbeit nicht durch die Personalsituation beeinträchtigt“, sagt der Jugendamtsleiter. Dennoch zeigen sich die Folgen der mangelhaften Personalsituation täglich: Im Jugendamt gibt es eine Priorisierungsregelung nach denen die Fälle sortiert und bearbeitet werden. Diese Anweisung ist auch nach dem Tod von Yagmur weiter in Kraft. „Es können nicht alle Fälle nach allen Regeln bearbeitet werden“, gibt Marquard zu. Als es um den konkreten Fall Yagmur geht, taut der Pädagoge immer mehr auf. Seine Antwort zu den Maßnahmen als Reaktion auf die ständige Personalnot macht das ganze Dilemma der Jugendämter in Zeiten knapper Kassen deutlich: „Wir haben uns mit einem Flickenteppich kleinerer Maßnahmen über die Runden geholfen“, sagt Marquard. Es gebe nicht nur zu wenig Geld für mehr Stellen im ASD, auch die Einstellung von qualifiziertem Personal sei schwierige, da die Gehalts- und Karriereaussichten im Verhältnis zu der belastenden Arbeit eher schlecht seien.  

Konsequenzen aus dem Fall Yagmur

Die Frage, ob Yagmur bei einem laufenden Verfahren vor dem Familiengericht vom Jugendamt Eimsbüttel an den Bezirk Mitte hätte übergeben werden dürfen, bleibt offen. Laut den Erkenntnissen von Marquard ist dies rechtlich zulässig, die Juristen des PUA schließen einen solchen Vorgang aber aus. Laut Mitarbeitern des Jugendamtes, die an diesem Abend im Publikum anwesend sind, gibt es aber eine fachliche Weisung, die eine derartige Übergabe zulässt. Der Ausschuss will sich mit diesem Problem in einer der kommenden Sitzungen befassen. Die Übergaberegelung gehört zu den Punkten, die Marquard als Konsequenz aus Yagmurs Tod ändern will. „Im Fall eines Kindeswohlgefährdung sollte ein Jugendamt zuständig bleiben, bis das Verfahren vor dem Familiengericht beendet ist“, sagt Marquard. Im Fall Yagmur hätte das aber nichts geändert: Bei der Übergabe an den Bezirk Mitte war sie nicht mehr als gefährdet eingestuft.

Das Jugendamt will aber noch weitere Lehren aus dem tragischen Tod der Dreijährigen ziehen: Als Reaktion auf den Bericht der Jugendhilfeinspektion hat man eine Fehlerliste erstellt, die detailliert aufzeigt an welcher Stelle auf welcher Ebene Fehler gemacht wurden. Diese will man nun abarbeiten. Den Bericht selbst kritisiert Marquard aber: „Unsere Bewertungen sind nicht in den Bericht eingeflossen“, erklärt der Jugendamtsleiter. „Zudem blickt der Bericht mit dem Kenntnisstand Ende Januar auf Entscheidungen zurück, die früher getroffen wurden.“ Man müsse aber versuchen zu verstehen, warum zu einem bestimmten Zeitpunkt gewisse Entscheidungen getroffen wurden. „In diesem Kontext halte ich es klug zu prüfen, wer, wann, wo, mit wem kommuniziert“, sagt Marquard.

Dass Maßnahmen, die nun eingeleitet werden, um die Arbeitsbedingungen im Jugendamt zu verbessern schnelle Wirkung zeigen werden, bezweifelt der 54-Jährige aber. „Wir brauchen in Hamburg einen langen Atem“, sagt Marquard. So werde es mindestens fünf Jahre dauern, bis ein einigermaßen stabiler Personalkörper geschaffen werden könnte. Der PUA wird am 9. Juli das letzte Mal vor der Sommerpause tagen. Weitere Sitzungen sind dann für den Herbst geplant. Wann es ein Ergebnis des Ausschusses mit konkreten Handlungsempfehlungen geben soll, ist derzeit noch offen.

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