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Fall Yagmur: Verantwortung möchte niemand übernehmen

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Frederic Zauels
@fredericzauels

Redakteur für Politik und Kultur | B.A. Politikwissenschaften, M.A. Journalistik | Kontakt: zauels@hh-mittendrin.de

Im zweiten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Fall der getöteten dreijährigen Yagmur wurde eine Staatsanwältin und ein LKA-Beamter von den Abgeordneten verhört. Haben sie alles getan, um den Tod zu verhindern?

Seit Mitte letzter Woche steht fest: Die Staatsanwaltschaft in Hamburg wird Anklage gegen die Mutter der getöteten Yagmur aus Billstedt erheben. Das dreijährige Mädchen starb am 18. Dezember vergangenen Jahres an den Folgen eines Leberrisses. Von ihren eigenen Eltern, heute heißt es zumeist der Mutter, wurde das Kind jahrelang gequält. Dem bis dahin als Hauptverdächtigen gehandelten Vater wird nur noch Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen vorgeworfen. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) soll über die Ursachen ihres Todes aufklären und herausfinden, ob dieser hätte verhindert werden können. Gestern wurden über sechs Stunden lang die Staatsanwältin Christiane Wüllner und der LKA-Beamte Harald Thomas in der zweiten Sitzung des PUA verhört: mit einem ernüchternden Ergebnis.

Schuldzuweisungen zwischen den Ermittlungsbehörden

Erst über Umwege landete der von der Rechtsmedizin gestellte Strafantrag gegen Unbekannt im Dezernat der 54-Jährigen Christiane Wüllner. Darin heißt es: Es bestehe erheblichen Verdacht, dass Yagmur misshandelt wird, seit mehreren Monaten. Schwerwiegende Verletzungen stellte die Rechtsmedizin bei dem damals zweijährigen Kind fest: Hämatome an den Beinen, sogenannte Griffhämatome an Beinen und Händen und eine schwere Schädel- und Bauchverletzung. Zu einer sofortigen Aufnahme der Ermittlungen kam es trotzdem nicht. „Es war eine lapidare Feststellung der Rechtsmedizin mit dem Vermerk: Gutachten fehlt“, sagte Wüllner im PUA. Klaus Püschel, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin wiederum warf Wüllner vor einer Woche im Untersuchungsausschuss vor, sie habe nicht die richtigen Fragen gestellt. So etwa die Fragen nach dem genauen zeitlichen Zustandekommen der Verletzungen, wie der der Bauchspeicheldrüse, was Aufschluss über die Täter hätte geben können.

Suche nach den Tätern war schwierig

Yagmur lebte in der Zeit des möglichen Tathergangs nicht mehr bei ihren leiblichen Eltern. Seit der Geburt war sie in den Händen verschiedener Jugendämter mehrerer Bezirke. Eine Pflegemutter kümmerte sich um das Kind aus Billstedt. Für die ermittelnde Staatsanwältin und den zuständigen LKA-Beamten Harald Thomas war es deshalb zunächst schwierig festzustellen, welche Täter für die Misshandlungen überhaupt in Frage kommen. Ihren Tatzeitraum legten sie grob anhand der Diagnose der Schädelverletzung fest. Yagmur kam allerdings immer kurze Zeit nachdem sie bei ihren leiblichen Eltern war ins Krankenhaus. So lebte Yagmur über Weihnachten 2012 bei ihren leiblichen Eltern. Kurze Zeit später wurden die ersten schwerwiegenden Verletzungen festgestellt. Warum aber wurde daraufhin nur gegen den Vater und nicht gegen die Mutter ermittelt?

Vorwürfe gegen die Staatsanwältin

Der Ausschuss löcherte die Staatsanwältin mit Fragen. Denn obwohl früh klar war, dass alleine die leiblichen Eltern als Täter in Betracht kommen, wurde das Verfahren frühzeitig eingestellt. Es bleibt unklar, warum die mittlerweile als tatverdächtig angeklagte Mutter während der Ermittlung nicht verhört wurde, obwohl sie vom Polizeibeamten Harald Thomas zweimal vorgeladen wurden. Wüllner hätte sie richterlich vorladen können, tat dies aber nicht, weil sie davon ausging, dass die Mutter die Aussage verweigern würde. Christiane Blömeke, familienpolitische Sprecherin der Grünen, versteht diese Begründung nicht und hakt immer wieder nach. „Die Mutter hatte richterliches Gehör, doch sie verzichtete stets darauf. Man kann Beschuldigte nicht zu Angaben zwingen“, erwiderte Wüllner immer wieder. Sie hatte schlicht keine Hoffnung, durch ein Gespräch mit der Mutter zusätzliche Erkenntnisse zu erhalten. Es habe leider auch sonst keine weiteren Ermittlungsmethoden gegeben, die eine Straftat der Eltern hätte überführen können, sagt sie weiterhin. „Ich habe mir das Hirn zermartert, welche weiteren Maßnahmen ich hätte ergreifen können, um noch einen Täter dingfest zu machen“ so Wüllner, selbst durch die anderthalb stündige Befragung zermürbt, zum Ende der Anhörung.

Doch hätte Wüllner den Eltern zumindest den Zugang zum Kind verbieten können? „Das Wohl des Kindes lag immer im Bereich des Jugendamtes“, sagt Wüllner dazu. Es sei die ureigenste Aufgabe des Jugendamtes dafür zu sorgen und in deren Arbeit vertraue sie zutiefst. Für Maßnahmen, die das direkte Umfeld des Kindes betreffen, sei sie nicht zuständig gewesen. „Die Staatsanwaltschaft versucht Strafdelikte aufzuklären, nicht sie zu verhindern“, begründet Wüllner daher auch den Vorwurf, sie hätte eine Rückführung des Kindes zu ihren für Körperverletzungsdelikte vorbestraften Eltern verhindern können. Auch für Wüllner sei es darum „enttäuschend und frustrierend“ gewesen, dieses Verfahren einzustellen und nur wenige Zeit später von dem Tod des Kindes erfahren zu müssen, wie sie in ruhigem Ton bekundet. Auf die Frage des Ausschusses, was bei einem nächsten Fall Yagmur verbessert werden könne, zögert die 54-Jährige Staatsanwältin mit ihrer Antwort. „Das weiß ich auch nicht“ sagt Wüllner bestürzt. Ihr Bericht an das Jugendamt sei verständlich, eindeutig und ohne juristische Fachsprache weitergeleitet worden. Gerade Jugendschutzsachen würden unabhängig der Schwere der Verletzungen mit großer Sorgfalt und primär bearbeitet.

Mangelhafte Kommunikation der Ermittler

Der Fall Yagmur macht allerdings auch deutlich, wie gefangen die Justiz in ihren eigenen Strukturen ist. Zwischen Rechtsmedizin, Staatsanwaltschaft und Polizei fand kaum eine zielführende Kommunikation statt. So scheint der ausschließlich juristische Zugang der Staatsanwältin zum Fall Yagmur den Ausschussmitgliedern befremdlich. Während der Ermittlungen wurden alleine Befunde und Anleitungen ausgetauscht, die untereinander nicht einmal diskutiert worden sind. Es gab keine Rückfragen der Polizei zum rechtsmedizinischen Gutachten. Die Begründung der Staatsanwältin, die Mutter nicht anzuhören, weil sie von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen würde, ist genauso unschlüssig wie die lapidaren Ermittlungen der Polizei. So wurde im persönlichen Umfeld der getöteten Yagmur erst gar nicht ermittelt. Ob dies wegen einer Nichtanordnung der Staatsanwaltschaft geschah, ist nicht zu beurteilen. Jedenfalls schien die Aufgabenverteilung der Polizei nicht selbstbestimmt, sondern wies vielmehr einen Dienstleistungscharakter für die Anordnungen der Staatsanwaltschaft auf. Jetzt aber wird die Mutter aufgrund von neuen Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft durch Vernehmungen von Freunden, Gesprächen mit Verwandten, Nachbarn, Erzieherinnen sowie aufgrund von Auswertungen der Handydaten wegen Mordes angeklagt. Zuvor stand hauptsächlich der Vater unter Verdacht.

Am 7. November wurde die Akte Yagmur von der Staatsanwaltschaft geschlossen und das Verfahren eingestellt. Nur knapp einen Monat später verstarb das Kind. Beide Eltern sitzen seit dem Tod des Kindes in Untersuchungshaft.

Foto: Frederic Zauels

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