Die Hamburger Grünen schieben die Aufklärung der Pädophilie-Debatte in ihrer eigenen Partei an: Die Bürgerschaftsfraktion lud zu einer Diskussionsveranstaltung, um über den umstrittenen Umgang der Partei mit pädophilen Tätern in ihrer Gründungszeit aufzuklären – diese hatten früher offenbar Einfluss auf das Parteiprogramm genommen.
„Ein Stück grüner Geschichte aufarbeiten“, will die Landesvorsitzende Katharina Fegebank. Dafür wurde der Politikwissenschaftler Stephan Klecha eingeladen, der am Institut für Demokratieforschung in Göttingen die Pädophilie-Debatte gemeinsam mit dem Kollegen Franz Walter im Auftrag der Grünen unabhängig untersucht hat. Ihr Zwischenbericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Grünen zu ihrer Gründerzeit in den 1980er Jahren der sexuellen Offenheit „sehr wohlwollend“ gegenüber standen. Dies hatte zunächst profane Gründe: So habe die neu gegründete Partei sich gerade in ihrer Anfangszeit vielen politischen Interessen, Gruppen und Meinungen geöffnet – Gruppen wie etwa „die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule, Transsexuelle und Päderasten“, kurz SchwuP, hätten dann ihre „eigenen wirren Positionen in die Partei eingebracht“, sagen die Göttinger Forscher. Konkret ging es dabei um die Streichung des Parapgraphen 176, der Sexualität von Erwachsenen mit Kindern unter 14 Jahren unter Strafe stellt.
Umso erstaunlicher, dass die Hamburger Grünen bei eigenen Recherchen diese Positionen nicht nur im Kapitel „Schwule und Lesben“ des Programms für die Bürgerschaftswahl 1982 fanden. So heißt es auch im Kapitel „Kinder“: „Wir treten ein für eine freie, selbstbestimmte, ungestörte Entfaltung der kindlichen Sexualität. Jede Form von Schmusen, Kuscheln, Streicheln oder Liebemachen hat den positiven Effekt, dass Kinder einen spontanen Umgang mit ihrer Lust lernen, ein unbefangenes Verhältnis zum eigenen Körper und zu dem anderer bekommen.“ Die Hamburger Grünen wollen nun weiter recherchieren und sich der heiklen Vergangenheit ihrer Partei stellen. Dabei betonte Landesvorsitzende Katharina Fegebank, dass kein anderer Landesverband bisher eine derartige Untersuchung initiiert habe.
Ein Zeitzeuge ist der Autor und taz-Redakteur Marco Carini. Er trat 1980 den Hamburger Grünen bei und gehörte ab 1981 als stellvertretendes Mitglied dem Hamburger Landesvorstand an. 1982 kandidierte er für die Grüne Alternative Liste (GAL) – trotz des umstrittenen Wahlprogramms. Er begreife den damaligen Diskurs über Pädophilie heute als „eine notwendige Debatte in der Partei und nicht etwa als einen grünen Konsens für die Unterstützung der Interessen von Päderasten“. Dafür spreche die relativierende Formulierung im Anschluss an die oben zitierte Passage im 82er Wahlprogramm, in welcher die „gewohnte Erwachsenensexualität“ zwischen Kindern und Erwachsenen als „Kindesmisshandlung“ gefasst wird.
„Die Grünen waren damals ein Auffangbecken für viele Interessengruppen. Man verstand sich auch als Protestpartei, die gegen das damalige repressive Sexualsystem politisch agierte, gerade in Hamburg“, sagt der Wissenschaftler Klecha. Unter den Protest gegen das System hätten „viele damalige und vielleicht noch heutige Parteimitglieder“ auch eine tabulose Sexualität ohne Gesetze gefasst – ein Nährboden für Pädophile und ihre Interessengruppen. Diese waren auch bei der gestrigen Debatte vertreten und taten ihre Meinung kund. Sie gehörten vermutlich dem Pädophilennetzwerk Krumme 13 an, die im Vorfeld zur Teilnahme aufgerufen hatten.
Dabei war die gesellschaftliche Debatte der 80er Jahre keine originär Grüne. Viele linksliberale Strömungen, darunter auch die Jugendorganisationen der FDP, setzten sich für eine Sexualität ein, die in jeglicher Hinsicht offen und gegen das geltende System war. Eine Debatte über die Schattenseiten der Sexualität passte nicht dazu. Viele Grüne vergaßen die Perspektive der möglichen Opfer einzunehmen.
Auch in der wissenschaftlichen Debatte fand, unterstützt durch Autoren wie Helmut Kentler, die Idealisierung von Sexualität statt. Grüne Politiker führen die sexuelle Offenheit ihres Bundestags-Wahlprogramms von 1984 deswegen allzu gerne auf den Zeitgeist zurück. Doch es gab auch einen Gegendiskurs, geprägt von Alice Schwarzer und Günter Amendt, die vom generellen Ungleichgewicht der Personen beim Sex ausgingen. Eine „Einvernehmlichkeit“ der Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern gebe es nicht, denn zwischen ihnen drücke sich zwangsläufig ein Herrschaftsverhältnis aus. Es gilt dabei das Gesetz des Älteren und zumeist auch Stärken.
In ihrer Naivität wurde die Perspektive der Pädophilen in der grünen Partei so lange Zeit ausgeblendet. Auch aufgrund einer ebenjenen Wissenschaftsgläubigkeit, die zu Teilen diese Positionen unterstütze. Erst durch eine aufstrebende Frauenbewegung innerhalb der Partei und das Aufkommen der Aids-Problematik wurde das Thema 1986 aus dem Wahlprogramm gedrängt. Aber sind mit der Distanz zum Thema auch gleichzeitig ihre Befürworter aus der Partei verabschiedet worden?
Nun heißt es, weitere Aufklärungsarbeit zu leisten: Auf Bundesebene soll eine Untersuchungskommission eingesetzt werden. Diese solle nicht nur dem internen Austausch dienen, sondern auch eine Anlaufstelle für Menschen sein, die sich bereits mit den Positionen der Grünen zu ihrer Gründerzeit auseinandergesetzt hätten. Ihr Ziel: Mehr Aufklärung bei den Grünen und die Etablierung eines breiteren gesellschaftlichen Diskurses.
Foto: Jonas Walzberg
Facebook
Twitter
Flattr
Google+
YouTube
Soundcloud
Paypal
Anmelden