Kultur

Bioladen in Finkenwerder: „Ein besonderes Jubiläum“

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Obwohl viele kleine Läden auf Finkenwerder nach und nach verschwinden, feiert der Bioladen von Rainer Sikorski heute sein 30-jähriges Jubiläum. Ein Ortsbesuch in einem der besonderen Schätze des Stadtteils.

Holunder-Muttersaft, Störtebecker-Bier, veganer Schmalz, Kürbisse oder Body-Lotion, Vollkornbrot und Eierlikör, Pflaumenmus oder Tomatenketchup – die Auswahl im kleinen Finkenwerder Bioladen am Steendiek 30 ist vielfältig. Dass die meisten Produkte das Demeter-Siegel haben und durchweg keine Farb- oder Zusatzstoffe enthalten, ist für Siko, wie Ladenbesitzer Rainer Sikorski genannt wird, eine Selbstverständlichkeit. Und während, wie überall in Deutschland, auch auf Finkenwerder der allgemeine Niedergang des kleinen Einzelhandels beklagt wird, kann Rainer Sikorski heute sein 30-jähriges Jubiläum feiern.

Viele andere Läden haben in dieser Zeit schon aufgeben müssen. Kurt Wagner, als Herausgeber des Mitteilungsblattes des Finkenwerder Kulturkreises „Kössenbitter“ das Gedächtnis Finkenwerders: „Von den Läden, die es vor 30 Jahren in Finkenwerder gab, existieren heute höchstens noch zehn Prozent!“ Die zwei Kinos schlossen ihre Pforten, es gibt keinen Tanzsaal mehr und noch nicht einmal mehr ein Fischgeschäft. Läden wie die Käsekate, das Textilgeschäft von Erna Lilienthal oder Schuhmacher Klaus Müller, der Sportstiefel der Marke „Richtig“ anfertigte, sind Geschichte.

Als Siko vor über 30 Jahren krankheitsbedingt als Büromaschinenmechaniker entlassen wurde, überlegte er mit Ehefrau Renate, wie ein Neuanfang aussehen könnte. „Damals boomten die Kurierdienste“, erzählt Siko. „Aber wir sind in der Umweltbewegung sehr aktiv und ein Kurierdienst schien uns da nicht passend.“ An einem sonnigen Tag am Baggersee kam dann die Idee: „Wir nehmen die Abfindung vom letzten Job und eröffnen einen Bioladen.“ Siko und Ehefrau Renate stammen aus Finkenwerder, ihren ersten Laden eröffneten sie am Auedeich 11, vier Jahre später dann der Umzug zum Steendiek 30.

Rainer Sikorski braucht keine moderne Technik. Statt Registrierkassen tut es eine alte Rechenmaschine.

Viel hat sich seitdem nicht geändert. Warum auch? Die Qualität der Produkte spricht für sich, da braucht es keine elegante Einrichtung, dezentes Lichtmanagement oder musikalische Berieselung. Die Ware wird in einfachen Holzregalen angeboten, zwei Kühlschränke beherbergen die Milchprodukte. Die Bestellungen beim Großhändler gibt Siko wie eh und je per Telefon durch. „Ich bin der letzte Kunde, der das so macht“, erzählt er. Fax oder Computer braucht er nicht, auch keine elektronische Kasse. Eine einfache Rechenmaschine reicht. Die Buchhaltung erledigt Ehefrau Renate zu Hause. Auf Schickimicki wird verzichtet, nicht aber auf umweltfreundliche Details. So kommt der Strom vom Ökostrom-Anbieter Lichtblick. Da ist Siko dann doch ein bisschen stolz: „Wir waren die ersten, die Ökostrom genutzt haben und wurden von Lichtblick als ökologisch wertvoller Laden ausgezeichnet“, sagt er. Aber mit dem erhobenen Zeigefinder daher zu kommen, ist nicht sein Ding. Er glaubt daran, dass er die Welt mit seinem Laden ein bisschen besser gemacht hat. Aber die Menschen könne er nicht ändern, nur mit gutem Beispiel vorangehen.

Und das Konzept kommt an! Nicht zuletzt wegen der liebevoll gestalteten Schaufenster von Renate Sikorski. „Ein wunderbarer Laden“ schwärmt Stammkunde Jan Mewes, „der klinarische Dreh- und Angelpuunkt auf der Insel!“ Für Matthias Janotte ist die Nachhaltigkeit der angebotenen Produkte wichtig. „Es ist mein Lieblingsladen“, sagt er. Besonders schätzt er den Kontakt zu Siko, mit dem er gerne lange Gespräche führt. Und auch die Japanerin Jokiko, die auf Finkenwerder eine neue Heimat gefunden hat, gehört zu den Stammkunden. „Es ist so ein netter Laden“, sagt sie lächelnd. Außerdem ist ihr wichtig, dass die Produkte keine Zusatzstoffe enthalten.

Mit der Umstellung auf den Euro vor gut zehn Jahren erlebte Siko eine heftige Geschäfts-Flaute und dachte bereits ans Aufgeben. Doch dann legte er einen Zettel in sein Schaufenster und teilte seinen Kunden mit, dass er zum Jahresende schließen würde, wenn sein Umsatz sich nicht bessern würde. Eine gute Idee, wie sich zeigte. Denn die Kunden wollten ihren Bioladen nicht verlieren und kauften wieder mehr ein – Siko blieb!

30 Jahre sind ein besonderes Jubiläum, das sieht auch der Bundesverband Naturkost Naturwaren e.V. (BNN) so. Geschäftsführerin Elke Röder: „Der Naturkost-Einzelhandel zeichnet sich von Beginn an durch Beharrlichkeit und ein hohes Maß an Idealismus aus. Daher verwundert es nicht, dass einige inhabergeführte Verkaufsstätten runde Jubiläen feiern.“ Die Herausforderung der kommenden Jahre werde die anstehende Generationenübergabe sein, so der BNN. Die wird in den nächsten Jahren auch bei Rainer Sikorski anstehen. Er ist jetzt 60 Jahre alt, seine Frau genießt bereits ihren Vorruhestand. Finkenwerder ohne Sikos Bioladen? Das können sich die vielen Stammkunden absolut nicht vorstellen. Und so bleibt die Hoffnung, dass Siko noch  lange weitermacht. Zumindest so lange, bis  er einen Nachfolger gefunden hat, der den Laden genauso sympathisch weiterführt, wie er das macht.

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1 Kommentar

  1. Julia

    19. Januar 2014 at 12:32

    Wunderbares Porträt einer langjährigen Institution auf der „Insel“. Mehr davon!

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