St. Georg will im Kampf gegen Leerstand und Wohnungsnot eine Vorreiterrolle spielen. Statt Obdachlose in Außenbezirke abzuschieben, wollen die AnwohnerInnen sie in ihre Nachbarschaft integrieren – zum Beispiel in das seit 15 Jahren leer stehende Haus in der Koppel 95. Mit dem Aktionstag „Eigentum verpflichtet! Obdach ist machbar, Herr Nachbar“ hat das Bündnis am Mittwoch auf die Situation der Tausenden Wohnungslosen in Hamburg aufmerksam gemacht.
Die beiden „Stars“ des heutigen Tages schauen etwas verloren hinter dem großen Transparent hervor und müssen sich an das Medieninteresse noch gewöhnen. Doch sie haben schon Mut bewiesen und vor über 100 JournalistInnen und AnwohnerInnen von ihrer Wohnungslosigkeit erzählt. Die Geschichten sind ganz unterschiedlich, mal geht es um Arbeitslosigkeit, mal sind sie aus einer Jugendlaune heraus auf der Straße gelandet, wie John Freude erzählt. Der Hamburger ist mit 18 Jahren obdachlos geworden und hat eine zeitlang in der Sportallee in Ohlsdorf gelebt – eine Erstaufnahmeeinrichtung, eine von vielen Massenunterkünften in Hamburg. Inzwischen wird sie vor allem für Asylbewerber genutzt. Am meisten hat ihn daran damals gestört, mit „vier wildfremden Menschen“ in einem Zimmer zu übernachten. Auch Berufstätige hätten sich dort mit ihm das Zimmer geteilt, erzählt er.
Bettina Reuter vom Hamburger Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot kennt die Problematik in den Massenunterkünften. „Die Standards in den Unterkünften müssen verbessert werden, es müssen mehr Einzelunterkünfte geschaffen werden“, fordert sie. Gerade jetzt, wegen der „besonderen Dramatik vor dem Winter“, wolle man Druck gegenüber der Stadt und den Behörden erhöhen, sagt Michael Joho vom Einwohnerverein St. Georg. Die große Wohnungsnot und der von der Stadt offenkundig tolerierte Leerstand seien ein unerträglicher Widerspruch, so Joho.
Konkret wollen die Anwohner den Bezirk überzeugen, das seit 15 Jahren leer stehende Haus in der Koppel 95 anzukaufen und als Obdachlosenunterkunft zur Verfügung zu stellen. Der Bezirk reagierte bislang nur mit einem Ausweichmanöver: Es handle es sich bei der Koppel 95 um einen Gewerberaum, man könne die Eigentümer nicht dazu zwingen das Gebäude zu verkaufen. Joho widerspricht dieser Argumentation: „Wir AnwohnerInnen erinnern uns, dass von 1992 bis 1998 jugoslawische Bürgerkriegsflüchtlinge in diesem Haus gewohnt haben. Das Haus war also schon mal Wohnraum, kein Gewerberaum“. In diesem Fall würde das Wohnraumschutzgesetz greifen. Der Vermieter macht sich strafbar, wenn er Wohnraum länger als 3 Monate leer stehen lässt.
Die SPD- Fraktion in Hamburg Mitte bemüht sich nach eigenen Angaben schon lange den Eigentümer zum Verkauf zu bewegen. Vor einem Jahr gab es bereits den Vorschlag eines Investors, der vom Eigentümer jedoch abgelehnt wurde. Falko Droßmann, Fraktionsvorsitzender SPD-Mitte, zeigt sich dennoch optimistisch über die Zukunft des Hauses: „Wir sind zuversichtlich, dass sich sehr bald etwas ändern kann“, sagt er gegenüber Mittendrin.
Das Bündnis aus Einwohnerverein St. Georg, Kirchengemeinde St. Georg-Borgfelde und Hamburger Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot will nicht länger warten. Die Initiativen fordern alle Stadtteile auf, sich aktiv gegen den Leerstand zu engagieren. Der Einwohnerverein rechnet vor: Wenn in allen gut 100 Stadtteilen jeweils 10 bis 15 Obdachlose drei bis vier leer stehenden Häuser bewohnen könnten, müsste kein Mensch mehr auf der Straße schlafen. St. Georg will mit gutem Beispiel vorangehen und die Wohnungslosen mitten in ihrer Nachbarschaft aufnehmen. „Unsere Vision ist, dass kein Obdachloser Weihnachten auf der Straße verbringen muss.“, so Michael Joho.
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