Kultur

„Hamm‘ wir alles erlebt“

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Dominik Brück
@dobrueck

| M.A. Politikwissenschaft | E-Mail: brueck@hh-mittendrin.de

Eine Buchvorstellung der besonderen Art erwartete zahlreiche Gäste am Sonntag in Hamm. Die Biographiegruppe der Initiative „Hamm‘ wir alles“ erzählt in dem neuen Buch „Hamm‘ wir alles erlebt“ die Lebensgeschichten von sieben HammerInnen. Zur Feier der Veröffentlichung waren die Hauptpersonen in das Gemeindehaus der Dreifaltigkeitskirche gekommen – ein spannendes Gespräch nicht nur über persönliche Erfahrungen, sondern die Veränderung des Stadtteils.

Sieben unterschiedliche Lebensgeschichten stehen im Zentrum des neu veröffentlichten Buches „Hamm‘ wir alles erlebt“. Es sind Geschichten voller schöner Erinnerungen aus langen und erfüllten Lebensläufen. Geschichten, die von einer Kindheit in der elterlichen Konditorei an der Caspar-Voght-Straße oder dem erfolgreichen Einstieg in das Berufsleben während dem Wirtschaftswunder erzählen. Es sind jedoch auch Geschichten voller Trauer und Schmerz. Geschichten über Flucht und Vertreibung oder dem Verlust geliebter Menschen. Verbunden werden die Erzählungen durch den Stadtteil Hamm, in dem die Hauptpersonen des Buches den Großteil ihres Lebens verbracht haben.

„Ein langjähriges Leben in Hamm und ein Alter von über 80 Jahren waren die einzigen Kriterien, die wir an die Personen für unser Buch gestellt haben“, sagt Beatrix Holtmann von der Biographiegruppe der Initiative „Hamm‘ wir alles“. Rund ein Jahr lang haben die vier Frauen der Biographiegruppe in ehrenamtlicher Arbeit Interviews mit den sieben HammerInnen geführt. Aus den Gesprächen ist ein Buch entstanden, das vom Leben in Hamm, aber auch von den Veränderungen des Stadtteils berichtet. „Wir wollten Geschichten haltbar machen, die nicht in Vergessenheit geraten sollen und so auch eine Brücke zwischen der älteren und der jüngeren Generation bauen“, sagt Holtmann.

Für die jüngeren unter den Zuhörern sind viele Orte aus den Erzählungen über ihren Heimatstadtteil so fremd, als seien sie in fernen Ländern gelegen. So kann sich heute kaum jemand vorstellen, dass inmitten des Hammer Parks ein Restaurant mit rund 3000 Sitzplätzen gestanden hat, in dem jeden Sonntag die Kapellen zum Tanz aufspielten. Nur eines von vielen Beispielen für den rasanten Wandel von Hamm. „Es gab alles notwendige in unserem Dorf Hamm und überall wurde geplaudert. Jetzt verschwinden die kleinen Läden hier und mit ihnen unser Dorfgeflüster“, erzählt Inge Schuster aus ihrem Leben. Die 86-Jährige musste 1945 aus ihrer Heimat in Danzig fliehen und lebt seither in Hamm. Sie habe nach Hamburg gewollt, da eine Freundin gesagt hätte, die Stadt läge an der Ostsee. „Später stellte sich heraus, dass sie die Alster für die Ostsee gehalten hat“, erklärt Schuster.

Das Buch ist voll mit solchen Anekdoten und Erzählungen und bietet einen tiefen Einblick in über 60 Jahre Stadtteilgeschichte. Die LeserInnen erfahren von Peter Beckmann, der bis 1996 Konditor in Hamm war oder von Kurt Blaschke, der nach dem Studium die Bauschlosserei seines Vaters erfolgreich weiterführte. Auch die Lebenswege von Annemargret Zimmermann, die von Stettin über Salzburg nach Hamm kam, und Elisabeth Wichers, die bis zu ihrem Tod im Februar bei Tanz- und Malkursen in Hamm aktiv war, ermöglichen faszinierenden Blick auf das Leben im Stadtteil.

Auch wenn die Interviewten am liebsten auf die schönen Zeiten ihres Lebens zurückblicken, verschweigt das Buch die schweren Momente in den Lebensgeschichten nicht. „Auch wenn es oft schwer war, so bin ich doch froh, dass ich ein langes und erfülltes Leben führen durfte“, sagt Christel Karbjinski. Viele Menschen ihrer Generation hätten in jungen Jahren den Tod gefunden. „Es ist wichtig darüber zu sprechen, damit so etwas nie wieder passiert“, mahnt Karbjinski. Die 85-Jährige hatte es trotz der vielen Entbehrungen geschafft sich als Buchhalterin einen Namen in Unternehmen zu machen. So zeigt das Buch, dass Happy Ends auch im wahren Leben möglich sind. Etwa in der Geschichte von Rudolf Meyer. Der heute 91-Jährige wurde durch die Nationalsozialisten von seinen jüdischen Freunden Kurt und Edith Goldschmidt getrennt. Die Ungewissheit über das Schicksal der Freunde aus der Kindheit in Hamm dauerte über Jahrzehnte an. Durch die Recherche der Biografiegruppe stellte sich dann heraus, dass die Geschwister Goldschmidt den Holocaust überlebt hatten. Noch am vergangenen Freitag erreichte Rudolf Meyer ein Anruf aus New York mit den herzlichsten Grüßen seines Freundes Kurt.

Wer selbst mehr über die abwechslungsreiche Lebensgeschichte der sieben HammerInnen erfahren möchte kann das Buch in der Buchhandlung Seitenweise für den Preis von zehn Euro erwerben.

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