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Am Sonnabend fand in Hamburg eine Demonstration gegen staatliche Überwachung statt. Nach den Enthüllungen des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden im Prism-Skandal ist das Thema derzeit heiß diskutiert. Doch nicht nur im Internet müssen die HamburgerInnen damit rechnen beobachtet zu werden, sondern auch in normalen Alltagssituationen.

Von Janina Marie Krupop und Dominik Brück

Foto: Janina Marie KrupopWer sonnabends im Sonnenaufgang betrunken über die Reeperbahn torkelt, bleibt nicht unbedingt unentdeckt.  Auch der nachmittägliche Kaffeegenuss in St. Georg kann, ebenso wie ein gemütlicher Spaziergang durch den Schanzenpark, von einer Polizeikontrolle gestört werden. „Massenüberwachung“ ist dabei das Stichwort, das in den letzten Wochen Menschen weltweit in Aufregung versetzt hat. Auch Hamburgs EinwohnerInnen können sich der stetigen Beobachtung kaum entziehen. Das bundesweite Bündnis „Stop watching us“ hat daher am Sonnabend auf dem Gerhard-Hauptmann Platz zu einer Demonstration gegen Überwachung aufgerufen. In mehr als 30 Städten in Deutschland fanden zeitgleich Proteste statt. Auch in Hamburg gründete sich auf Initiative des Chaos Computer Clubs (CCC) ein Bündnis gegen Überwachung. Mitte Juli lud Michael Hirdes vom CCC Parteien und Vereine, darunter unter anderem die Piratenpartei, Linke, Grüne und den Fachschaftsrat der Uni Hamburg zur Bündnisgründung ein. „Wir sind offen für alle Parteien“, sagt der Pressesprecher des CCC, Jan Girlich. Was Edward Snowden enthüllt hat, war für die Mitarbeiter des CCC schon lange ein offenes Geheimnis. „Wir wussten von der Überwachung, konnten es aber nicht beweisen. Snowden hat das alles auf eine politische Ebene gebracht“, so Jan Girlich. Die wichtigste Forderung sei daher Aufklärung. Es gehe darum zu wissen, wo und in welchem Ausmaß Daten von Privatpersonen gesammelt werden und welche Befugnisse die USA konkret dabei haben.

Insgesamt rund 2000 DemonstrantInnen zogen nach Polizeiangaben friedlich durch die Hamburger Innenstadt bis zur Abschlusskundgebung auf der Reeperbahn. Der Veranstalter geht von mindestens 3000 TeilnehmerInnen aus. Das Hamburger Abendblatt  und die Hamburger Morgenpost berichteten von einem Vorfall am Rande der Demonstration. Während der Rede des FDP-Bundestagsabgeordneten Burkhard Müller-Sönksen wurde dieser von einem Demonstrationsteilnehmer zu Boden gerissen und leicht verletzt. Das Aktionsbündnis distanzierte sich von dem Teilnehmer und rief zu friedlichem Protest auf.

„Kameras haben einen Abschreckungseffekt“

Trotz der Diskussion über die Ausspähprogramme von Geheimdiensten und den Demonstrationen ist den meisten HamburgerInnen wahrscheinlich kaum bewusst, dass sie in ihrem Alltag regelmäßig überwacht werden – und zwar nicht nur im Internet, sondern auch auf öffentlichen Plätzen und Straßen sowie in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Allein die Hochbahn betreibt nach eigenen Angaben über 5.000 Kameras in Bussen, Bahnen und an den Haltestellen. Hinzu kommen rund 1.500 Kameras des Verkehrsverbundes Hamburg-Holstein. Auch alle S-Bahn Stationen sind, ebenso wie die Züge und Fernbahnhöfe, videoüberwacht. Genaue Angaben zur Anzahl der Kameras macht die Deutsche Bahn nicht. Allerdings werden die Bilder nicht laufend in der Zentrale der Hochbahn kontrolliert. Nur wenn an einer Station oder in einem Verkehrsmittel der Notrufknopf betätigt wird, holen sich die Mitarbeiter ein Livebild auf ihre Monitore. Ohne einen Notfall werden die Aufnahmen zwischen 24 Stunden und 72 Stunden gespeichert. Eine längere Speicherdauer ist nur auf Anweisung der Staatsanwaltschaft zulässig. „Die Kameras haben einen klaren Abschreckungseffekt und die Menschen fühlen sich sicherer. Zudem sind die Vandalismusschäden durch die Videoüberwachung klar zurückgegangen“, sagt Christoph Kreienbaum, Pressesprecher der Hochbahn. In Zusammenarbeit mit der Polizei sollen die Kameras auch bei der Aufklärung von Straftaten helfen. Im Jahr 2012 wertete die Hamburger Polizei insgesamt rund 1.000 Videoaufnahmen der Hochbahn für Ermittlungszwecke aus. Im Bereich der S-Bahn waren es im gleichen Zeitraum pro Monat rund 300. „Als Randalierer muss man schon sehr naiv sein. Mit der Hilfe der Polizei und der Bilder findet man fast jeden“, sagt Kreienbaum. Auch die Polizei selbst verfügt über insgesamt 569 Videoüberwachungskameras in Hamburg, von denen 78 primär der Verkehrsüberwachung dienen. Jedoch dürfen die stationären Kameras zur Überwachung bestimmter Orte nicht dauerhaft in Betrieb sein. So mussten beispielsweise 2011 die Geräte auf der Reeperbahn aufgrund eines Gerichtsbeschlusses abgeschaltet werden und dürfen nur zu besonderen Anlässen, wie Großveranstaltungen und bestimmten Demonstrationen, genutzt werden. Zwischen 2011 und 2013 wurden die Kameras auf der Reeperbahn insgesamt 22 Mal zur Überwachung eingesetzt. „Die Überwachungsmaßnahmen beruhen auf richterlichen Beschlüssen, also auf den gesetzlichen Vorgaben. Eine Kontrolle findet jedes Jahr über die Bürgerschaft statt“, sagt Andreas Schöpflin, Pressesprecher der Polizei Hamburg. Trotz der rechtlichen Begrenzungen, der Kontrollen durch die Politik und des subjektiven Sicherheitsgefühls gibt es Kritik an der Überwachung des öffentlichen Raums. „Ich lehne die Kameraüberwachung prinzipiell ab, jedoch ist das ein ganz anderes Diskussionsfeld als andere Formen der Überwachung“, sagt Jan Girlich.

„In Gefahrengebieten werden die Grundrechte eingeschränkt“

Bei den Forderungen der Initiative nimmt die Kameraüberwachung deshalb keinen zentralen Stellenwert ein. „Videoüberwachung ist ein ganz eigenes Thema. Wir wollten unseren Forderungskatalog nicht überfrachten. Die Einrichtung von Gefahrengebieten in Hamburg ist für uns derzeit ein dringenderes Problem“, sagt Andreas Gerhold, Fraktionsvorsitzender der Piraten in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte. Die Initiative fordert die bestehenden Gefahrengebiete aufzulösen. Hier könne die Polizei ohne Anlass oder Anfangsverdacht Personalien überprüfen, Taschen kontrollieren und Aufenthaltsverbote aussprechen. „Auf meinem täglichen Weg zu unserer Landesgeschäftsstelle bewege ich mich durch alle Hamburger Gefahrengebiete. Ich halte mich also ständig in Gebieten auf, in denen die Grundrechte eingeschränkt werden“, sagt Gerhold. Derzeit bestehen in Hamburg vier Gefahrengebiete, von denen sich drei in Hamburg-Mitte befinden. St. Georg ist das älteste Hamburger Gefahrengebiet, das bereits 1995 eingerichtet wurde. 2001 und 2005 kamen mit St. Pauli und St. Pauli Vergnügungsviertel zwei weitere hinzu. Zwischen 1998 und 2009 war auch die Sternschanze Gefahrengebiet, wurde jedoch aufgrund der aus Sicht der Polizei positiven Lageentwicklung wieder aufgehoben. Am 01. Juni 2013 wurde der Stadtteil dann erneut zum Gefahrengebiet erklärt, da die Polizei eine starke Zunahme der Betäubungsmittelkriminalität festgestellt hat. In dem Antrag für die Einrichtung des Gefahrengebietes wird weiter festgestellt, dass dem Drogenhandel mit den bisher zur Verfügung stehenden polizeilichen Mitteln nicht begegnet werden könne. Durch die Einrichtung des Gefahrengebietes kann die Polizei in der Sternschanze nun jede Person verdachtsunabhängig überprüfen, die aus Sicht der Beamten die Kriterien potentieller Dealer oder Kunden erfüllt (siehe Infokasten). „Gefahrengebiete können eine sinnvolle Ergänzung polizeilicher Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung sein“, beurteilt Andreas Schöpflin das Vorgehen der Polizei. Aufgrund einer fortlaufenden Lagebeobachtung werde über die Aufrechterhaltung eines Gefahrengebietes entschieden. Für die Initiative bedeutet die Maßnahme der Polizei jedoch die Einschränkung von persönlichen Rechten und eine geringere Lebensqualität. „Wenn man dort lebt, überlegt man es sich zweimal, ob man mit seinen Freunden raus geht oder sie auf der Straße trifft“, so Jan Girlich.

„Jeder ist verdächtig“

Foto: Janina Marie KrupopDoch selbst wer die besagten Stadtteile umgeht, sich unauffällig verhält und nur noch das Fahrrad, statt der öffentlichen Verkehrsmittel benutzt, kann der Überwachung nicht entgehen. Dass unsere Kommunikation im Internet überwacht wird, ist spätestens seit dem Echelon-Skandal vor 10 Jahren bekannt. Durch Snowden ist das Thema wieder aktuell geworden. „Es gab Berichte, dass Facebook und Gmail mit der NSA zusammenarbeiten.  Jemand hatte einen Witz gemacht und in einer privaten Mail geschrieben, er wolle Marilyn Monroe wieder ausgraben. Diese Person erhielt plötzlich ein Einreiseverbot in die USA“, berichtet Jan Girlich. Die Kommunikation aller Menschen sei betroffen und jeder in den Augen der Geheimdienste verdächtig, heißt es in der offiziellen Pressemitteilung des Hamburger Bündnisses gegen Überwachung. Es gibt kaum noch jemanden, der keinen Gmail oder Facebook Account hat. Aber sind wir mit der Anmeldung und Nutzung dieser Dienste nicht selbst an unserer Überwachung schuld? Jan Girlich verneint das: „Wir vertrauen den Anbietern und denken, unsere Nachrichten wären vermeintlich privat“. Denn es sei, so der Pressesprecher weiter, kaum mehr möglich sich der Überwachung zu entziehen, da moderne Kommunikationsmittel heute unverzichtbar sind. Sobald feststellbar ist, wer was wann und mit wem kommuniziert, seien zum Beispiel Rückschlüsse auf den sozialen Status eines Menschen möglich. Mehr Sicherheit bringe das allerdings nicht: „Der Nachweis, dass Überwachungsmethoden bei der Verbrechensprävention hilfreich sind ist nicht erbracht“ sagt Jan Girlich. Daher fordert das Bündnis ein Ende der Massenüberwachung. „Das ist ein immenser Apparat, der jeden erfasst“, erklärt er weiter. Die Spionageprogramme Prism und Tempora sowie die Vorratsdatenspeicherung (VDS) und Bestandsdatenauskunft (BDA) müssten beendet werden. Dass wir bereits in einem Überwachungsstaat,  wie er in George Orwells Roman „1984“ beschrieben wird, angekommen sind, glaubt Jan Girlich dennoch nicht: „Wir sind technisch viel weiter als in 1984, aber politisch glücklicherweise ganz woanders“.

„Die BürgerInnen sind sensibler für das Thema Überwachung geworden“

Das Engagement der Initiative zeigt, dass die Überwachung im Internet in der Gesellschaft als wichtiges Thema wahrgenommen wird. Die Eingriffe in Freiheitsrechte durch die Polizei und die Videoüberwachung des öffentlichen Raums stellen dabei einen Teil der Überwachungsdiskussion dar, der die BürgerInnen abseits der großen Abhörskandale unmittelbar betrifft. Es scheint jedoch, als hätten die Enthüllungen von Edward Snowden eine besondere Betroffenheit bei den Menschen erzeugt. Plötzlich fühlen sich die BürgerInnen stärker überwacht als zuvor, obwohl sich an Art und Umfang der Maßnahmen nichts geändert hat. „Die Menschen hatten sich an die permanente Überwachung gewöhnt“, sagt Andreas Gerhold und ist davon überzeugt, dass eine größere Sensibilität für dieses Thema die Folge des Prism-Skandals sein wird. Dieser Ansicht ist auch der Bürgerschaftsabgeordnete und netzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hans-Jörg Schmidt. „Viele Menschen fragen mich jetzt, was sie tun können, um sich zu schützen“, sagt Schmidt. Aus diesem Grund veranstaltet der Sozialdemokrat am Montag den 29. Juli um 18 Uhr in seinem Büro im Horner Weg 235 eine Cryptoparty. Hier will Schmidt interessierten HamburgerInnen erklären, wie sie ihre Daten und Emails verschlüsseln können. „Man kann sich zwar kaum gegen die Erfassung seiner Kommunikationsdaten durch die Geheimdienste wehren, aber zumindest die Inhalte seiner Daten kann man schützen“, sagt Schmidt. Es bleibt daher auch zukünftig die Aufgabe des Staates seine EinwohnerInnen bestmöglich vor widerrechtlichen Ausspähaktionen zu schützen. Dies werden die BürgerInnen nach den Enthüllungen von Snowden wahrscheinlich auch einfordern – sowohl im Internet, als auch im Alltag.

Titelbild: By 4028mdk09 (Own work) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

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