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St. Pauli: Boom der Protestkultur

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Dominik Brück
@dobrueck

| M.A. Politikwissenschaft | E-Mail: brueck@hh-mittendrin.de

Foto: Jonas WalzbergNoch bis Sonntag dreht sich im Rahmen der Protestkulturwoche auf St. Pauli alles um Initiativen, Bürgerbeteiligung und Widerstand im Stadtteil. Am Donnerstag lud das St. Pauli Archiv unter dem Titel „Boomtown St. Pauli“  zu einem Rundgang ein, um einen Blick auf vergangene Erfolge und Niederlagen von Protesten zu werfen, aber auch aktuelle Streitpunkte rund um die Reeperbahn in den Blick zu nehmen. Hinter all dem stand dabei die Frage nach den Gründen für den unvergleichbaren Erfolg der St. PaulianerInnen beim Kampf um ihren Stadtteil.

Über kaum einen Hamburger Stadtteil ist so viel geschrieben und gesungen worden, wie St. Pauli. Geschichten über Schauspieler und Sänger Hans Albers und den Kiez-Paten Stefan Hentschel prägen das Bild von St. Pauli in der Öffentlichkeit genauso, wie die Reeperbahn und der Hafen. „Es gab lange keine realitätsnahe Dokumentation vom Leben auf St. Pauli“, sagt Susanne Sippel vom St. Pauli Archiv. „Entweder wurde reißerisch über den Kiez berichtet oder romantisierend in Tourismus-Broschüren geworben“, so Sippel weiter. Das St. Pauli Archiv hat es sich seit 1987 zur Aufgabe gemacht, die Geschichte des Stadtteils so zu dokumentieren, wie sie wirklich ist. Am Donnerstag lädt das Archiv im Rahmen der Protestkulturwoche zu einer ganz besonderen Stadtteilführung. „Boomtown St. Pauli – Projekte gegen Gentrifizierung in St. Pauli-Süd“ ist der Titel der Veranstaltung, die zeigt wie die St. PaulianerInnen schon immer für ihren Stadtteil gekämpft haben.

St. Pauli war bis 1891 Vorstadt von Hamburg und lag außerhalb der Befestigungsanlagen. „Nicht selten wurden ganze Straßenzüge plattgemacht um ein freies Schussfeld für die Kanonen zu schaffen“, sagt Susanne Sippel. Von Anfang an zog es die unterschiedlichsten Menschen vor die Tore der Stadt. Hier lebte, wer sich das teure Bürgerrecht in Hamburg nicht leisten konnte, oder aufgrund von Religion oder anderen Unterschieden zur bürgerlichen Mehrheit in der Hansestadt nicht willkommen war. „In St. Pauli war die Mehrheit schon immer die Minderheit“, sagt Susanne Sippel. Für die Mitarbeiterin des Stadtteilarchivs liegt in der Tradition des Stadtteils das große Protestpotential begründet. „St. PaulianerInnen sind aufgrund der vielen verschiedenen Menschen hier schon immer offener und aufgeschlossener. Daher lässt sich Protest leichter organisieren als in anderen Teilen Hamburgs“, sagt Susanne Sippel. Tatsächlich ist die Dichte an Initiativen und Protestbewegungen auf St. Pauli besonders hoch.

Foto: Jonas WalzbergDer Rundgang führt zunächst durch die wenigen verbliebenen verwinkelten und verwuselten Gassen des ursprünglichen St. Pauli. In der Stadtpolitik der 1930er galt diese Struktur als besonders rückständig und wurde bei neuen Projekten begradigt. Im Zweiten Weltkrieg war St. Pauli kaum vom Bombenhagel betroffen. Nach dem Krieg wurde der Stadtteil von der Wiederaufbaupolitik der Stadt fast völlig vernachlässigt. Die Ressourcen waren knapp und der Bedarf anderswo größer. Allerdings setzte sich die städtebauliche Vernachlässigung des Stadtteils bis in die 1980er fort. Viele Gebäude verfielen aufgrund der fehlenden Sanierungen. Bereits in den 1960er  Jahren begann das Interesse der städtischen Wohnungsbaugesellschaft SAGA an St. Pauli. Der schlecht sanierte Gebäudebestand konnte günstig gekauft und abgerissen werden. Schon damals sollten den alten Häusern teure Prachtbauten folgen. Hohe Mieten und die Verdrängung der St. PaulianerInnen wäre die Folge gewesen. Gestern wie heute wehrte sich der Stadtteil und konnte Teile des alten St. Pauli für die Einwohner bewahren.

Die nächste Station des Rundgangs ist das Geburtshaus von Carl Hagenbeck – oder zumindest der Ort an dem dieses einmal stand. „Hier haben wir leider ein Beispiel von Widerstand der nicht erfolgreich war“, sagt Susanne Sippel. Nur noch der Hagenbeck Siegelring an einer Säule erinnert an den Begründer des berühmten Tierparks. Das Haus wurde trotz Protesten von der SAGA abgerissen, um Platz für ein Edelrestaurant zu schaffen. Foto: Jonas Walzberg„Das Konzept ist nicht aufgegangen. Hier ist bereits der dritte Pächter eingezogen“, sagt Susanne Sippel. Am Geburtsort von Carl Hagenbeck werden jetzt Burger für 12 Euro das Stück verkauft. Gleich nebenan befindet sich das Niebuhrhochhaus, dessen Bewohner derzeit gegen drastische Mieterhöhungen des Eigentümers kämpfen. „Hier bin ich guter Dinge“, sagt Susanne Sippel. „Dass ein Eigentümer aufgibt und verkauft erleben wir auf St. Pauli ständig“. Der Protest der St. PaulianerInnen bewirkt sichtbar etwas. St. Pauli ist der am dichtesten bebaute Stadtteil Hamburgs 30.000 Menschen leben auf 2,7 Quadratkilometern. „Allen Grünflächen hier sind durch Nachbarschaftsinitiativen erkämpft worden“, sagt Susanne Sippel. So auch Park Fiction oberhalb der Elbe. AnwohnerInnen verhinderten hier den Bau mehrerer Hochhäuser und setzten ihre Vorstellung einer Erholungsfläche mit viel Grün durch. Auch die angrenzende Spielfläche erinnert an die Protestkultur. Auf dem Boden befindet sich ein Tulpenmuster. „Das erinnert an die erste Spekulationsblase der Geschichte“, sagt Susanne Sippel. Im 16. Jahrhundert führte der spekulative Handel mit Tulpenzwiebeln zu einer Wirtschaftskrise.

Foto: Jonas WalzbergGleich nebenan stehen die Häuser der Hafenstraße. Simone Borgstede, die 1982 in eines der leer stehenden Häuser einzog berichtet vom Kampf der St. PaulianerInnen für den Erhalt der Häuser und von bezahlbarem Wohnraum. „Zu jener Zeit wurden ganze Häuserzeilen einfach abgerissen, daher zogen die Menschen in die Hafenstraße“, sagt Simone Borgstede. Es bildete sich schnell eine Gemeinschaft der Hausbewohner, die selbst versuchten die Häuser zu sanieren. „Man hat immer wieder versucht uns zu stören, indem man unsere Gerüste geklaut oder uns den Strom abgestellt hat“, sagt Simone Borgstede. Nachdem Verhandlungen mit dem Senat scheitern versucht dieser 1987 das Wohnprojekt räumen zu lassen. Es kommt zu Barrikadenkämpfen mit der Polizei. „Viele HamburgerInnen haben uns in diesen Tagen mit Decken und etwas zum Essen unterstützt“, erinnert sich Simone Borgstede. Am Ende gibt der Senat auf. Heute gehören insgesamt 12 Häuser an der Hafenstraße zu einer Genossenschaft der ehemaligen Hausbesetzer.

Im Brauquartier werden die Unterschiede zwischen dem St. Pauli der BewohnerInnen und dem der Investoren deutlich. „Das sieht hier aus, wie ein Implantat“, sagt Susanne Sippel. Neben kleinen Häusern aus der Ursprungsbebauung des Stadtteils ragen riesige Stahltürme in den Himmel. Die Wolkenkratzer thronen über leeren Betonplätzen. Der Wind pfeift durch das eng bebaute Quartier. In der Ferne leuchten die Lichter der Reeperbahn. „14-16 Euro Miete pro Quadratmeter bezahlt man hier“, sagt Susanne Sippel. Hier steht auch der berühmte Astra-Turm, der bis heute trotz Wohnungsnot überwiegend leer steht.

Der Rundgang endet an den Esso-Häusern. Auch hier kämpft eine Initiative für den Erhalt der 1961 erbauten Hochhäuser an der Reeperbahn. „Der Erhalt von alten Hochhäusern kann für die Lebensqualität in einem Stadtteil ebenso wichtig sein, wie der Erhalt von Gründerzeitgebäuden“, sagt Susanne Sippel. Die St. PaulianerInnen haben durch hartnäckigen Widerstand und kreativen Protest viel von eben dieser Lebensqualität vor Profitinteressen retten können. Protest ist in St. Pauli ebenso zuhause, wie Hans Albers und die Reeperbahn. „Es gibt aber noch viel zu tun“, sagt ein St. Paulianer, der den Rundgang aufmerksam verfolgt hat. „Aber gemeinsam werden wir auch viel erreichen“, fügt er hinzu.

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