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Gewerkschaften fordern mehr soziale Gerechtigkeit

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Mathias Birsens
@m3irsens

Redakteur | Student der Islamwissenschaft und der Philosophie an der Uni Hamburg | Kontakt: birsens@hh-mittendrin.de

Foto: Jonas Walzberg 1.Mai DGBMehrere tausend Menschen haben am ersten Mai in Hamburg für mehr soziale Gerechtigkeit demonstriert. Bei der zentralen Mai-Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) sind laut Gewerkschaftsangaben rund 6000 Demonstranten vom Spielbudenplatz zum Fischmarkt in St. Paul gezogen. Im Anschluss an die Schlusskundgebung auf dem Fischmarkt gab es eine gemeinsame Brückenveranstaltung mit dem evangelischen Kirchentag unter dem Titel «Soviel Gerechtigkeit du brauchst».

Mit Fahnen, Transparenten und Trillerpfeifen haben mehrere tausend Menschen am ersten Mai ihren Unmut über die in Deutschland herrschende soziale Ungerechtigkeit kundgetan. Rund 6000 Menschen zogen nach Gewerkschaftsangaben in einem Protestzug vom Spielbudenplatz auf St. Pauli zum Fischmarkt. An der vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) organisierten Kundgebung nahmen unter anderem die Industriegewerkschaft (IG) Metall, die IG Bergbau, Chemie Energie (IG BCE), die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, sowie verschiedene politische Parteien und Initiativen teil. Prominente Unterstützung erhielten die ArbeitnehmerInnen durch Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der ebenfalls an der Demonstration teilnahm. Nach Angaben der Polizei verlief die Kundgebung, bei der die Polizei 4500 TeilnehmerInnen zählte, friedlich.

Foto: Jonas Walzberg 1.Mai DGB Demo Olaf ScholzBei der Schlusskundgebung auf dem Hamburger Fischmarkt machten die Redner von DGB, IG BCE und DGB-Jugend auf Missstände aufmerksam und stellten Forderungen an Arbeitgeber und Politik. Unter dem Motto «Gute Arbeit. Sichere Rente. Soziales Europa» sprachen Hamburgs DGB-Vorsitzender Uwe Grund, IG BCE-Vorsitzender Michael Vassalidias und Marion Popken von der DGB-Jugend unter anderem über den Mindestlohn, die Jugendarbeitslosigkeit in Europa und das NPD-Verbotsverfahren. Mit Blick auf die Zerschlagung der Gewerkschaft durch die Nazis am 2. Mai 1933, warnten Vassalidias und Popken vor Neonazis und forderten ein NPD-Verbotsverfahren, sowie eine schnelle und lückenlose Aufklärung der NSU-Morde. „Wir fordern alle Menschen auf, sich Nazis aktiv in den Weg zu stellen und nicht schweigen zuzuschauen, wenn sie marschieren, hetzen und Menschen angreifen“, sagte Marion Popken.

Angesichts der aktuellen Diskussion um strafbefreiende Selbstanzeigen bei Steuerhinterziehung kritisierte Uwe Grund: „Dass mit Reichtum nicht zugleich – wie von der Verfassung gefordert – Verantwortung und Verpflichtung einhergeht, erleben wir gerade. Die Steuerbetrügerei ist nicht auf Einzelfälle beschränkt. Sie ist zur klassischen Oberschichtenkriminalität geworden.“ Im Hinblick auf die Situation vieler ArbeitnehmerInnen in Deutschland forderten die Gewerkschaftsvertreter vor allem die Einführung eines einheitlichen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde, die Einhaltung von Tarifverträgen, sowie eine Senkung des Rentenalters. „Wir haben heute Verhältnisse in der Arbeit, für die sich unser Land schämen muss“, kritisierte Michael Vassalidias. Angesichts der immer weiter steigenden Lebenshaltungskosten – vor allem in großen Metropolen – fügte er hinzu: „Das ist sozialer Sprengstoff, der sich dort ansammelt.“

Besonders hervorgehoben wurde die Situation der streikenden Neupack-MitarbeiterInnen, die den „vermutlich härtesten und längsten Arbeitskampf Deutschlands“ führen, wie DGB-Sprecher Felix Hoffmann sagte. Bereits seit dem 1. November 2012 streiken die Beschäftigten der Firma Neupack in Hamburg-Stellingen und Rothenburgsort für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne. „Da führt sich der Arbeitgeber gewissermaßen wie ein Gutsherr auf“, sagte DGB-Sprecher Felix Hoffmann. Es gebe zurzeit keinen Tarifvertrag, der Arbeitgeber zahle Dumpinglöhne und setze häufig Leiharbeiter ein. Zudem hatte die Firma vergeblich versucht den Streik der Neupack-Beschäftigten gerichtlich verbieten zu lassen und setzt rund 60 Leiharbeiter aus Polen als Streikbrecher ein. Gegen diese Zustände demonstrieren die Mitarbeiter der Firma Neupack, die Verpackungen für Nahrungsmittel herstellt. Dabei fühlen sie sich von der Gewerkschaft nicht ausreichend unterstützt. „Wir stimmen mit der Gewerkschaft in Hannover nicht überein, Differenzen sind da“, schreiben die Streikenden auf einem Flugblatt, das bei der Mai-Kundgebung verteilt wurde. Diese Differenzen wurden auch während der Schlusskundgebung auf dem Fischmarkt deutlich. Die Rede von Michael Vassiliadis, dem Vorsitzenden der zuständigen Gewerkschaft, wurde immer wieder von wütenden „Neupack! Neupack! Neupack!“ – oder „Heuchler!“-Rufen unterbrochen. Trotzdem bekräftige der IG BCE-Vorsitzende den Einsatz der Gewerkschaft für eine Lösung im Konflikt mit der Firma Neupack. „Es geht um das Recht der Arbeitnehmer auf Respekt, Würde und Anerkennung“, sagte er in seiner Rede.

Nach der Abschlusskundgebung fand bereits vor der offiziellen Eröffnung des Kirchentags um 17 Uhr eine Brückenveranstaltung der Gewerkschaften und der Kirche unter dem Titel «Soviel Gerechtigkeit du brauchst» statt. DGB-Vorsitzender Uwe Grund und Michael Vassiliadis diskutierten gemeinsam mit dem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), dem ehemaligen Bundesfamilienminsiter Heiner Geißler (CDU), der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs und dem Präsidenten des 34. evangelischen Kirchentages (EKT) Prof. Gerhard Robbers über soziale Gerechtigkeit und Mindestlöhne. Die Nordkirche stellte sich dabei klar hinter die Forderungen der Gewerkschaften nach einem Mindestlohn. „«Soviel du brauchst», das lässt sich wunderbar beziehen auf ein auskömmliches Einkommen“, sagte Kirsten Fehrs. Auch EKT-Präsident Gerhard Robbers bekräftigte: „Was du brauchst, heißt genug zu haben, um ein menschenwürdiges Leben zu führen und dafür muss man streiten.“ Gestört wurde die Veranstaltung von Kirchengegnern, die mit Parolen wie „Kein Gott! Kein Staat! Kein Kirchentag!“ versuchten die Podiumsdiskussion zu übertönen. Auch von Gewerkschaftsmitgliedern gab es kritische Zwischenrufe zum Mindestlohn in der Kirche, die die Differenzen zwischen Gewerkschaften und Kirche deutlich machten. Trotz dieser Gemeinsamkeiten wollten DGB und EKT „gemeinsam was auf die Beine stellen, um in Dialog zu kommen“, sagte DGB-Sprecher Felix Hoffmann. So sei auch die gemeinsame Brückenveranstaltung zum Kirchentages, der am Mittwoch um 17 Uhr mit einem Gottesdienst am Strandkai eröffnet wurde, zustandegekommen.

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