Bereits Anfang März hatte die Vereinigte Hamburger Wohnungsbaugenossenschaft (VHW) den Abriss der Wohnanlage am Elisabethgehölz in Hamm verkündet. Als Gründe für den Abriss führt die VHW statische Probleme an. Der verwendete Mörtel mache eine Sanierung von „Elisa“ unmöglich. Aus der Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der Linken Bürgerschaftsfraktion geht nun hervor, dass der verwendete Mörtel nicht als grundsätzlich problematisch angesehen wird. Derweil hat der lange und kalte Winter nicht nur die Gemäuer des Backsteingebäudes in Mitleidenschaft gezogen, sondern auch die soziale Erosion der Hausgemeinschaft befördert.
Der verwendete Mörtel verhindert eine Sanierung, „Elisa“ wird abgerissen. Dies verkündete die Vereinigte Hamburger Wohnungsbaugenossenschaft vor wenigen Wochen. Der Gebäudekomplex sei so marode, dass die Statik einer Sanierung nicht Stand halten würde. Ein Gutachten des Architekturbüros Dittert und Reumschüssel habe belegt, dass die Statik des Gebäudes für eine Sanierung nicht geeignet sei. Die verwendete Mörtelgruppe I führe somit zu einem Abriss von „Elisa“ und einem Ersatzneubau auf dem Grundstück. Bei der Mörtelgruppe I handelt es sich um Kalkmörtel, der besonders in der Nachkriegszeit verwendet worden ist. Schon im März zweifelte Architekt Michael Reinig, der die Initiative „Rettet Elisa“ schon seit längerem berät, an der Argumentation der VHW. „Dieser Mörtel wurde in zahlreichen Gebäuden in Hamburg verwendet. Davon ausgehend wäre ja das gesamte ‚rote Hamburg‘ bedroht“, sagte Reinig bei einer Pressekonferenz der Initiative. Eine „behutsame Sanierung“ ohne Veränderungen des Grundrisses halte er für möglich.
Opposition zweifelt am Mörtel-Argument der VHW
Auch die Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft beschäftigt sich mit dem Kalkmörtel, der nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem für den Wiederaufbau vieler Gebäude genutzt wurde. Auf Anfrage der Linken gibt der Senat sogar an, dass der Mörtel beim Bau der Mehrzahl der Gebäude in Hamburg sogar bis 1970 verwendet worden sei. Probleme mit Bauten aufgrund des Mörtels seien nicht bekannt. Ein Abriss der Gebäude bei denen Kalkmörtel verwendet worden ist, werde nicht angestrebt, zumal die Altbauten unter Bestandsschutz stehen. Weiterhin gebe es bisher keinen Fall, in dem ein Abriss aufgrund der Verwendung von Kalkmörtel erfolgte. Sanierungen ohne Änderung des Grundrisses seien trotz des alten Mörtels durchaus möglich. Aus der Antwort der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt auf eine weitere Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion geht darüber hinaus hervor, dass Kalkmörtel nicht den aktuellen Regelungen des Brandschutzes entspräche. Nur bei Veränderungen des Grundrisses würden betreffende Gebäude jedoch aus dem Bestandsschutz fallen und müssten an die heutigen Brandschutzregelungen angepasst werden. „Eine allgemeine Einsturzgefahr ist daraus nicht abzuleiten“, heißt es in der Stellungnahme weiter.
Initiative „Rettet Elisa“: Mörtel aus dem Reich der Legenden
Auch die Initiative zweifelt an der Begründung der VHW für den Abriss der Backsteinbauten – zumal das Gutachten auf das die VHW Bezug nimmt, bisher nicht in schriftlicher Form vorliegt. Am Montagabend stellte die Initiative „Rettet Elisa“ die Argumente der VHW im Stadtteilarchiv Hamm auf die Probe und blickte dafür in die mehr als 80-jährige Geschichte des Backsteinensembles. Die Wohnanlage am Elisabethgehölz wurde bereits zu Beginn der 1930 Jahre fertiggestellt. Die Planungen für das Gebiet „Hamm Geest“ unterlagen dem Oberbaudirektor Fritz Schumacher. Nach der Fertigstellung wurde der Gebäudekomplex auch „Wachtmannshausen“ genannt, weil hier viele Polizeibeamte wohnten. Die Wohnanlage Elisa wurde bei den Bombenangriffen auf Hamburg im Juli 1943 massiv beschädigt. Die nördliche Hälfte wurde sogar bis auf die Grundmauern zerstört. Beim Wiederaufbau wurde die Mörteklasse I verwendet. „Ist Elisa also vom Einsturz bedroht, hat die rüstige alte Dame Osteoporose?“, fragt Winfried Prehn, Mitglied der Initiative und Bewohner von Elisa. Die VHW spreche dem Mörtel im Fall von Elisa eine Sonderrolle zu. Zur Erläuterung dieser erzähle die VHW eine Geschichte aus der „Mottenkiste der Genossenschaft“, erläutert Winfried Prehn weiter. Die BewohnerInnen hätten Elisa mit eigenen Händen wieder aufgebaut. „Wir sehen es förmlich vor uns und wird klar, die Statik kann nicht gut sein“. Tatsächlich leitete Architekt Ernst Dorendorf gemeinsam mit seinem Sohn Heinz Dorendorf den Wiederaufbau am Elisabethgehölz. Laut VHW sei Elisa außerdem bereits sehr früh, schon 1949 wiedererrichtet worden. Deshalb sei besonders schlechter Mörtel verwendet worden. „Tatsächlich wurde der Wiederaufbau 1949 erst geplant“, sagt Winfried Prehn weiter. Eine Genehmigung und der Baubeginn der südlichen Hälfte des Gebäudes erfolgten erst 1950. Mit dem Bau der Nordhälfte wurde erst 1951 begonnen. Der betreffende Mörtel ist auch bei vielen anderen Gebäuden in Hamm verwendet worden, die heute noch stehen und saniert worden sind. Dies gilt auch für Bauten der VHW selbst. „Die Art des Wiederaufbaus und die Sonderrolle des Mörtels bei Elisa gehören ins Reich der Legenden und lassen sich historisch nicht belegen“, sagt Historiker Prehn. Es sei sachlich nicht haltbar, dass eine Sanierung nicht möglich sei. „Es geht hier ganz klar um finanzielle Interessen der Genossenschaft“, so Prehn weiter.
Ein Winter, der an die Knochen geht
Der lange und kalte Winter hinterlässt Spuren an dem sanierungsbedürftigen Backsteinensemble in Hamm. Die BewohnerInnen sehen sich nicht nur mit den Ängsten um die Zukunft ihres Zuhauses, sondern auch mit den Konsequenzen der mangelhaften Isolierung von Elisa konfrontiert. Besonders hart trifft es die MieterInnen, die direkt unter dem Dach wohnen. „Trotzdem ich sowohl mit Strom als auch mit Kohle heize, komme ich nicht gegen die Kälte an“, sagt ein Mieter. Wie er die hohen Heizkosten finanzieren soll, wisse er nicht. Die Wohnung unter ihm sei frei und neben ihm nur ein unbeheizter Dachboden. Eine Mieterin bekomme ihre Wohnung kaum über 12 Grad. „Mein Kühlschrank geht nicht an, weil die Soll-Temperatur schon erreicht ist und Deckungsgleich mit der Raumtemperatur ist“, sagt Michael Brackhahn, Mitglied der Initiative „Rettet Elisa“. Die klirrende Kälte und der damit einhergehende Schimmelbefall der Wände haben auch gesundheitliche Auswirkungen auf die MieterInnen.
Viele dieser Probleme werden durch den Leerstand vieler Wohnungen am Elisabethgehölz noch verstärkt. Die Hälfte der Wohneinheiten steht bereits leer. Es ist anzunehmen, dass die VHW die Konsequenzen des kalten Winters durchaus hätte einschränken können. Eine Möglichkeit wäre die von der Genossenschaft selbst angekündigte Zwischenvermietung der leer stehenden Wohnungen an Studierende gewesen. „Über den Allgemeinen Studierendenausschuss der Universität Hamburg hat es bereits eine lange Warteliste für die Wohnungen gegeben“, sagt Michael Brackhahn. Statt weitere Kälteschäden an Elisa möglichst gering zu halten und die Verluste durch fehlende Mieteinnahmen zumindest ein Stück weit auszugleichen, verzichtete die VHW jedoch aus unbekannten Gründen auf Zwischenvermietungen. Der kalte Winter bringt auch andere Schwachstellen von Elisa zu Tage, die aufgrund der jahrelang versäumten Sanierung entstanden sind. Aus der leckenden Regenrinne ist bei dem starken Frost in den vergangenen Wochen eine Landschaft aus Eiszapfen erwachsen, die sich über die darunterliegenden Balkone zog. Auch bei Regen läuft die Rinne über, das Wasser zieht in das Mauerwerk, zerfrisst dieses weiter von innen und entwickelt bei Frost eine besondere Sprengkraft. Zum Schutz vor den Eiszapfen wurden zum Teil die Zugänge zum Innenhof gesperrt. Die Schlösser der Hoftüren wurden ausgewechselt, sodass der Hausmüll nur auf Umwegen durch die Anlage erreicht werden kann. Die BewohnerInnen sehen all dies als Strategie der VHW zur sozialen Erosion der Hausgemeinschaft und insbesondere der Initiative „Rettet Elisa“. Der Widerstand gegen die Abrisspläne der VHW ist aus ihrer Sicht längst noch nicht am Ende. Sehnsüchtig erwarten die MieterInnen der historischen Backsteinbauten am Elisabethgehölz auf ein Ende der Eiszeit – meteorologisch und in der Kommunikation mit ihrer Genossenschaft. Die VHW selbst nimmt derzeit keine Stellung zu den Vorgängen, gibt jedoch an, dass die Stellungnahme eines unabhängigen Prüfstatikers bis Ende April vorliegen soll.
Artikel in geänderter Fassung zuerst veröffentlicht in der taz. Hamburg vom 11. April 2013.
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