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Filter an, Gehirn aus – Jugendschutzdebatte bei den Piraten

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Mathias Eichhorn
@matsquirrel

*1981 in Parchim (MV) | Bankkaufmann | Magister in Politikwissenschaft | Angestellter der FHH

Besser hätte das Timing nicht sein können: Am Freitag ist bekannt geworden, dass die Bundesländer im Herbst 2013 einen neuen Entwurf für den Jugendmedienschutzstaatsvertrag vorlegen wollen. Am Abend zuvor diskutierte die Piratenpartei Hamburg zum Thema „Jugendschutz in der modernen Medienlandschaft“.

Den Doppelvortrag mit anschließender Diskussion eröffnete Patrik Schönfeldt, Vorsitzender des Verbands für Deutschlands Video- und Computerspieler. Der Physikstudent sorgte zunächst für einen einheitlichen Wissensstand in Fragen der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK), der Indexierung und des Verbots von Medien. Zudem erläuterte er den „Zoo von Einrichtungen“, die vor allem auf Länderebene für den Jugendschutz zuständig sind. Anschließend umriss er die Probleme, die der Versuch mit sich bringt, Jugendschutz des aus dem letzten Jahrhundert mit Computerspielen und dem Internet zu verbinden. Schönfeldt illustrierte bestehende Konflikte am Beispiel von Online-Spielen. „Das Problem ist, dass man hier das Alter der Personen vor dem PC nur schwer überprüfen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass im Grunde das Alter der Spieler bei jedem neuen Spielstart geprüft werden muss. Zudem gibt es Angebote, die weltweit zur Verfügung stehen. Einige Hersteller sperren daher ihre Angebote für ganze Länder, um Problemen aus dem Weg zu gehen. Auch Erwachsene haben dann keinen Zugriff mehr.“

Patrik Schönfeldt und Jürgen Ertelt

Richtig lebendig wurde der Saal dann mit dem Vortrag von Jürgen Ertelt, Medienpädagoge, Mitglied des Arbeitskreises Zensur sowie der Piratenpartei. Er machte gleich zu Beginn deutlich: „Seit den 1980ern haben die Leute Angst vor den neuen Medien. Dabei versucht man immer noch Dinge zu regulieren, die eigentlich nicht dramatisch sind.“ Mehrfach unterstrich er, dass der Schutz von Kindern und Jugendlichen in Deutschland sehr einseitig diskutiert wird. Anstatt die Kompetenzen der Bürger im Umgang mit Medien massiv auszubauen, würde ein „bequemer und vor allem scheinheiliger Weg“ gewählt. Technische Filterregelungen würden erdacht und als besonders geeignet propagiert, obwohl sie am Kern der Probleme vorbei gingen. Außerdem würden sich Eltern, Lehrer und Pädagogen – wenn sie denn Filter überhaupt verwenden – zu häufig auf Filtersystem verlassen, ohne zu wissen, was, warum, von wem gesperrt wurde. Denn: „Interessanterweise steckt hinter einigen Filterprogrammen die Pornoindustrie.“ Die Gefahr bestünde zudem, dass Filtersysteme im Namen des Jugendschutzes stets auch zu Zensurinstrumenten ausgebaut werden könnten, wie es derzeit beispielsweise in Russland und der Türkei geschehe. Allerdings stelle sich hierzulande eher die Frage, wer die Aufgabe übernimmt, die Fülle von Inhalten zu prüfen. „Die allermeisten Inhalte im Internet werden heute auf soziale Medien gestellt. Wer will denn ernsthaft in Blogs, bei Facebook oder Twitter alle Einträge und Kommentare prüfen?“ Ertelt und Schönfeldt unterstrichen unterdessen beide: „Man kann Filter immer umgehen, wenn man nur etwas Ahnung hat.“ An Ahnung würde es jedoch ausgerechnet denen fehlen, die sich für verantwortlich in Sachen Jugendschutz halten. Ertelt bemängelt das „Zuständigkeitskarussel“ in Fragen des Internets. „Die Medienanstalten der Länder sind für das Internet zuständig, da das Internet immer noch als Radio definiert wird. Sie haben jedoch keine Ahnung was sie da tun.“ Außerdem, so Ertelt weiter, handelten alle beteiligten Gremien völlig intransparent. „Kaum einer weiß, wer da etwas warum und wie entscheidet. Außerdem sind keine Vertreter von Kinder, Jugendlichen, Eltern oder Medienpädagogen beteiligt.“

Die anschließende Diskussion beschäftigte sich lange mit der Frage, ob Kinder und Jugendliche überhaupt vor Dingen wie Sexualität, Pornographie und Gewalt geschützt werden müsse oder ob diese Erfahrungen seit eh und je zum Erwachsenwerden dazu gehören. Neben Stimmen wie: „Früher hat man Pornos bei Freunden geschaut, die sturmfreie Bude hatten.“ „Ist Jugendschutz wirklich möglich?“ „Ich habe als Kind und Jugendlicher alles konsumiert, was ich nicht hätte sehen dürfen.“ „Eine Indexliste war für mich immer eher eine Einkaufsliste.“ „Man darf mit 18 Jahren Sex haben. Man darf ihn sich aber nicht anschauen.“ „Die Nachrichten zeigen so viel Gewalt. Die müsste man dann ebenfalls sperren.“, gab es die Sorge, dass Kinder nicht einschätzen könnten, was gut oder schlecht für sie sei. Man einigte sich daher auf die Feststellung, dass Eltern ihre Kinder oftmals am besten kennen und gut einschätzen können, wie viel dem einzelnen Kind zugetraut werden kann. „Die Eltern sind verantwortlich. Sie sind die wichtigste Instanz in Sachen Jugendschutze“, fasste Patrik Schönfeldt die Diskussion zusammen. Ertel ergänzte: „Technik kann die Begleitung der Kinder durch die Eltern niemals ersetzen. Es ist die Erziehungsaufgabe der Eltern offen über Medien zu sprechen und den Umgang mit den Kindern auszuhandeln.“ Ertelt plädierte erneut für mehr Medienkompetenz bei Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern. „Es ist natürlich günstiger Filtersoftware von der Pornoindustrie gesponsert zu bekommen, als umfassende Medienkompetenz zu ermöglichen.“ Wichtig sei moderne Medien nicht stets als gefährlich oder problematisch zu diskutieren, sondern einen kreativen, produktiven und kritischen Umgang mit Medien zu vermitteln – auch um eigene Interessen vertreten zu können. „Wie rechnen, schreiben und lesen, sollte Medienkompetenz an der Schule vermittelt werden. Medien sind Teil der Gesellschaft.“

Letztendlich unterstrich Ertelt, dass die Politik derzeit der Gesellschaft und ihrer Mediennutzung hinterherlaufe. „Die letzte Debatte um einen Entwurf des Jugendmedienschutzstaatsvertrags endete 2010. Sie wurde auf Grundlage von Daten aus dem Jahr 2008 geführt. Heute ist das Nutzungsverhalten ein ganz anderes.“ Ertelt verwies auf die Nutzung von Wlan-Netzen und Smartphones. – Auf welcher Grundlage der nun für Herbst angekündigte Entwurf des Jugendmedienschutzstaatsvertrags vorgelegt wird, ist noch unbekannt.

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