Politik

„Die Taktik der Zermürbung“

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Isabella David
@isabelladavid89

Chefredakteurin | Studentin der Politikwissenschaft an der Universität Hamburg | Kontakt: david@hh-mittendrin.de

„Wohnen über den Dächern im Szenestadtteil Reeperbahn“, „4,6 bis 5,2 Prozent Rendite: Luxusappartement in Szenelage mit Elbblick“ und eine „Kapitalanlage mit sensationellem Stadt- und Hafenblick“ werden in zahlreichen Annoncen im Internet versprochen. Frisch sanierte Design- und Luxusapartments mit einem „traumhaften Blick über den Hafen und entlang der Reeperbahn bis hin zu den neuen Tanzenden Türmen“ sowie ein rundum Genuss der Sonne auf dem Balkon. Angeboten werden auch nicht sanierte Wohnungen als Kapitalanlage. Auch diese sollen über gute Schnitte und Panoramafenster verfügen. Allerdings sind „die vermieteten Wohnungen in baualtersbedingtem Zustand“. Deshalb befänden sich, bedingt durch das Baujahr 1971, „in einigen Materialien, wie den Bodenfliesen, Asbest in festgebundener Form“. Weiter heißt es: „Dies ist in dieser Form nicht gesundheitsschädlich, und es besteht keine Entsorgungsverpflichtung.“

Die angepriesenen luxuriösen Kiez-Apartments und nicht sanierten Kapitalanlagen haben abgesehen vom Ausblick eines gemein: die Adresse. Gelegen an der Reeperbahn 157 handelt es sich um ein 17-geschossiges Hochhaus gegenüber der Großen Freiheit. Etwa zehn Wohnungen liegen auf einer Etage, insgesamt gibt es 150 Wohneinheiten. Besser bekannt ist der Wohnturm als das Niebuhrhochhaus. Seit über einem Jahr tobt hier ein Streit zwischen den Bewohnern und dem Haupteigentümer der Immobilie.

Alles begann 2009. Die Excelsior GmbH & Co. KG wurde zum neuen Eigentümer des Niebuhrhauses. Mit dem Wechsel des Eigentümers sollte sich an der Reeperbahn 157 einiges verändern. Mit dem vorherigen Eigentümer, Werner Schleich, lief vieles noch anders im Niebuhrhaus. „Der Hausmeister hatte noch ein Zimmer unten im Haus und es gab eine wöchentliche Sprechstunde“, sagt Max*, ein Bewohner des Hauses. Schnell kam es zu ersten Unstimmigkeiten zwischen den Mietern und der Excelsior. Eine Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2009 wurde zum Streitobjekt. Die dort aufgeführte Erhöhung der Nebenkosten war für die Mieter nicht nachvollziehbar. „Obwohl wir Widerspruch eingelegt haben, reagierte die Excelsior nie“, sagt Stephan*, der ebenfalls zur Miete im Niebuhrhaus lebt. Sogar den Einblick in die Belege forderten die Mieter. „Statt Belegen haben wir dort jedoch nur Schätzwerte vorgefunden“, sagt Max weiter. Der Streit über diese Nebenkostenabrechnung dauert zum Teil bis heute an. Auch setze sich die Einbahnstraße der Kommunikation zwischen den Mietern und dem Eigentümer bis heute fort.

Ende 2010 begann die Excelsior mit der Sanierung des Hochhauses – und damit begannen auch die eigentlichen Probleme. Bis zum Jahr 2011 gab es im Niebuhrhochhaus nur kleine Mietwohnungen, etwa 37 bis 57 Quadratmeter groß. Der Eigentümer erwirkte eine Teilungserklärung, die es ihm ermöglicht die Wohnungen als Eigentumswohnungen zu verkaufen. Etwa 27 Wohnungen sollen bisher verkauft worden sein, heißt es in Bewohnerkreisen. Zusätzlich stehen etwa 25 Wohnungen leer. Die soziale Erhaltensverordnung, die seit Februar 2012 für den Stadtteil St. Pauli gilt, ist so nicht wirksam. Nach sozialer Erhaltensverordnung müssen Modernisierungen, bauliche sowie auch Nutzungsänderungen und ebenso auch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen besonders genehmigt werden. Mit dieser neuen Regelung hätten auch die Umwandlungen im Niebhuhrhaus erschwert oder sogar verhindert werden können.

„Aus Angst vor Verdrängung aus den Wohnungen und dem Viertel gründeten wir Mitte 2011 die Mieterinitiative Reeperbahn 157“, sagt Stephan*. Während die Mieten der Bewohner zurzeit bei etwa 540 Euro warm liegen, werden die sanierten Wohnungen für etwa 1000 Euro Warmmiete angeboten. Auf eine im Internet geschaltete Immobilienanzeige für eine Wohnung im Niebuhrhaus hin, begannen die Bewohner zu forschen und richteten einen Brief an Excelsior. Der Eigentümer erklärte daraufhin, dass „in keiner Weise das Interesse besteht, vermietete Wohnungen zu verkaufen“. In Bewohnerkreisen spricht man von vier vermieteten Wohnungen, die seitdem verkauft wurden. Auch heute werden vermiete Wohnungen im Internet weiterhin als Kapitalanlage für zukünftige Eigentümer angeboten. „Viele Bewohner leben schon seit mehr als zwanzig Jahren hier auf St. Pauli und im Niebuhrhochhaus. Wir sehen Tag für Tag, wie sich der Stadtteil verändert“, sagt Dirk Bunte, der sich auch in der Initiative engagiert.

Die Angst vor den steigenden Mieten und einer möglichen Verdrängung aus dem Stadtteil sind nicht die einzigen Sorgen, die die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses haben. Nach monatelangen Bauarbeiten im Gebäude, bestätigte sich der schreckliche Verdacht der  Mieter – das Niebuhrhaus ist asbestbelastet. Dies ergab erst ein selbst finanziertes Gutachten der Bewohner. „Es machte uns stutzig, dass in einem Haus von 1971 vor einer Sanierung keine Proben entnommen wurden“, sagt Dirk Bunte. Der Verdacht lag nahe, dass bei einem Haus aus den 1970er Jahren auch Materialen, wie Asbest, verbaut wurden, die heute als schädlich bekannt sind. Monatelang arbeiteten die Bauarbeiter ohne Sicherheitsvorkehrungen, wie beispielsweise einen Mundschutz. Die ahnungslosen Mieter waren dem Staub der Sanierungsarbeiten ausgesetzt. „Täglich gehen auch andere Menschen hier ein und aus – Postboten, Pflegedienste, Pizzaboten“, sagt Max. Einen Warnhinweis gebe es bis heute nicht. Die Gutachten der Bewohner wurden auch durch zwei positive Proben des Bauprüfungsamtes bestätigt und führten zu einem zeitweiligen Baustopp. Anfang 2012 haben die Bewohner durch ein selbst bezahltes Gutachten weitere Schadstoffe nachgewiesen – KMF und PCB.

Weitere Schwierigkeiten ergeben sich für die Bewohner durch die schlechte Kommunikation des Eigentümers über die Sanierungsarbeiten. „Wann in meinem Stockwerk gearbeitet wird ist erst dann klar, wenn die Bauarbeiter anrücken“, sagt Stephan. „Niemand habe so die Möglichkeit der Schadstoffbelastung zu entkommen und sich für die Zeit der Arbeiten eine alternative Unterkunft zu organisieren“, sagt Stephan weiter. Die Bewohner empfinden dies als Instrument der Verdrängung. Für die Aktionen der Mieterinitiative Reeperbahn 157 – wie ein Punschabend und eine Flurparty zur Information aller Bewohnerinnen und Bewohner – dürfen keine Plakate im Haus aufgehängt werden. „Uns wurde bereits strafrechtliche Verfolgung durch den Eigentümer angedroht, weil wir im Hausflur ein Plakat aufgehängt haben“, sagt Max. „Es handelt sich bei dieser Strategie einzig und allein um eine Taktik der Zermürbung“, sagt Dirk Bunte.

Der Eigentümer will von all den Vorwürfen, die die Hausbewohner ihm machen, nichts wissen und ist nicht zu Gesprächen bereit. Im Herbst 2012 ging die Initiative deshalb auf die Bezirkspolitik zu. Schließlich wurde ein Runder Tisch einberufen (Mittendrin berichtete). Die Initiative forderte am Runden Tisch ein Schadstoffkataster für die gesamte Immobilie, aber auch ein lebenslanges Mietrecht für alle Mieterinnen und Mieter bei einer Mietpreisbindung, die Umwandlung aller Zeitmietverträge in normale Mietverträge sowie korrekte Nebenkostenabrechnung. „Am Runden Tisch wurde vor allem über das Gefahrstoffkataster gesprochen“, sagt Dirk Bunte. Der Bezirksamtsleiter Andy Grote habe jedoch bereits angekündigt, dass es den Runden Tisch in dieser Form nicht mehr wieder geben werde. Die Excelsior war nicht zu dem Gespräch erschienen. Die Diskussion war aus der Sicht vieler Bewohner nicht emotional genug. „Wir haben das Gefühl, dass die Situation heruntergespielt wird.“, sagt Stephan. Am Runden Tisch erklärte Grote, dass nun zunächst alle bestehenden Gutachten zum Niebuhrhaus gesammelt und geprüft werden. Weiterhin will der Bezirk prüfen, ob eine rechtliche Grundlage besteht das Immobilienunternehmen anzuweisen ein Gefahrstoffkataster zu erstellen. Da es dafür jedoch keinen zeitlichen Rahmen gebe, hat sich an der Situation der Bewohner des Niebuhrhauses bisher nichts geändert.

Der Alltag der Bewohner wird durch die Sanierungsarbeiten und unklaren Gefahren durch die Schadstoffe sowie die Angst vor der Verdrängung bestimmt. „Immer wieder rufen wir die Polizei, wenn auf der Baustelle verdächtige Materialien entfernt werden“, sagt Stephan. Es dauere dann oft lang bis die Polizei und der zuständige Mitarbeiter aus dem Bezirksamt vor Ort sind. Die Polizei sei oft ungenügend informiert gewesen, berichten die Bewohner. Immer wieder gehen die Beamten ohne Mundschutz in Wohnungen, die gerade saniert werden. „Auch die Fassade ist asbestbelastet. Die Sanierungen sollen an Samstagen vorgenommen werden – da kann auch der Mitarbeiter aus der Behörde nicht kontaktiert werden“, sagt Max.

Die Bewohnerinnen und Bewohner hoffen, dass Bezirksamtsleiter Grote umsetzt, was er am Runden Tisch angekündigt hat. Es bleibt jedoch die Angst, dass nicht schnell genug etwas passiert. „Unsere Wohnungen haben eine Halbwertszeit“, sagt Stephan. Auf St. Pauli gebe es kaum noch bezahlbare Single-Wohnungen, wie hier im Niebuhrhaus oder den Esso-Häusern. „Diese Entwicklung verändert die Strukturen des Stadtteils“, sagt Stephan. Viele Wohnungseigentümer seien nur an den Wochenenden da oder vermieteten die Immobile als Ferienwohnung. Die Bewohnerinnen und Bewohner des Niebuhrhauses wünschen sich von der Politik mehr Kreativität. Es müsse mehr Möglichkeiten geben, als die soziale Erhaltensverordnung. Außerdem hoffe man, dass die Politik nicht nur auf Zeit spiele. Eine Entscheidung im Falle des Niebuhrhauses hätte Signalwirkung auch für andere umstrittene Objekte in Hamburg. „Ich muss immer an ein Comic-Bild denken, in dem das Niebuhrhaus in Treibsand versickert und die Politiker in dieser Stadt daneben stehen und sagen ‚Puh, da haben wir aber noch mal Glück gehabt‘“, sagt Dirk Bunte.

*Name von der Redaktion geändert.

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