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Occupy: Die unendliche Geschichte?

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Dominik Brück
@dobrueck

| M.A. Politikwissenschaft | E-Mail: brueck@hh-mittendrin.de

Im Sommer 2011 ging die Welt zelten. Die Occupy-Bewegung besetzte rund um den Globus zentrale Plätze vor Symbolen der Finanzmärkte. Die Wirtschafts- und Finanzkrise war Motor der neuen Bewegung. Die Wut über die Gier der Kapitalmärkte trieb die Menschen in die urbanen Zeltlager. Auch in Deutschland zählte man im Oktober 2011 in rund 30 Städten Camps der Bewegung. Ein Jahr später ist das Stadtcamping beendet. Im August 2012 wurde die Räumung des Occupy-Camps in Frankfurt am Main zum Schlusspunkt einer lebhaften Kurzgeschichte. In Hamburg, im letzten Camp der Bundesrepublik, wird derzeit der Epilog der Occupy-Story geschrieben. In der Hansestadt deutet jedoch vieles auf eine unendliche Geschichte hin.

In der winterlichen Dunkelheit der Hamburger Innenstadt erscheint das Occupy-Camp am Gertrudenkirchhof wie ausgestorben. Kein Laut dringt von den Zelten und Verschlägen zu den vorbeieilenden Passanten herüber. Die Wenigsten scheinen die bunte Ansammlung behelfsmäßiger Unterkünfte auf ihrem Weg in die eigene warme Stube überhaupt wahrzunehmen. Im Zentrum des Camps steht ein riesiges schwarzes Zelt, die Jute. Mit unzähligen Seilen auf Spannung gebracht,  ist sie das dominierende Element des Platzes und der zentrale Treffpunkt. Jeden Freitag findet hier das Open Plenum, die Beratung und Diskussion der Campbewohner, statt. Jeder ist eingeladen teilzunehmen.

Um die Jute herum ist alles aufgeräumt. Nichts liegt herum. Alles ist sauber in den Zelten verstaut. Müll sucht man vergebens. Beim Näherkommen vernimmt der Campbesucher schließlich doch Zeichen von Leben. Ein schwaches Licht scheint von dem großen Zelt herüber. Die wenigen leisen Stimmen werden durch die dicken Stoffbahnen fast vollständig verschluckt. In der Jute ist Tyra damit beschäftigt den Grill zu entzünden. Außer zur Zubereitung mediterraner Gemüsespieße dient dieser als einzige Wärmequelle. Offenes Feuer ist durch das Bezirksamt untersagt. Die junge Frau sagt von sich selbst, sie sei derzeit von Beruf Aktivistin. Viel mehr gibt sie nicht von sich preis. Die Campbewohner erzählen Unbekannten zunächst nur wenig über sich selbst. Dennoch wird jeder neue Gast herzlich begrüßt.

Im September musste das Camp vom Gerhard-Hauptmann-Platz zum Gertrudenkirchhof umziehen, um Platz für den Weihnachtsmarkt zu machen. Die Bewohner haben sich inzwischen erneut häuslich eingerichtet. In einem kleinen Verschlag aus Brettern und Wellblech, haben sich weitere Aktivisten versammelt. Noch ist etwas Zeit bis zum Beginn des Plenum. In der Hütte ist es ebenso sauber, wie im restlichen Camp. Alles ist einsortiert. Nichts liegt unnötig herum. Ein paar kleine Bilder und eine grüne Palme sind die einzige Dekoration. Ein Tisch, drei Stühle und ein großes Sofa dienen als Sitzgelegenheiten. In der Ecke ist mit einem Gaskocher eine kleine Küche eingerichtet worden. Auf einem Laptop läuft ein You Tube Video. Der Ökostrom kommt aus dem Schuhladen nebenan. Hier sitzen die übrigen sagenumwobenen Occupy-Akivisten. Ganz gewöhnliche Menschen in ordentlicher Alltagskleidung, mit einem gepflegten Äußeren. Die Stimmung ist gut. Bennie, ein studierter Volkswirt, malt ein Plakat. „Das ist Kunst“, betont er und lacht. Tine kommentiert das Ganze: „Das wird aber eng da mit dem letzten Buchstaben.“ Tine wohnt, wie viele andere, nicht im Camp. Sie hat eine Wohnung, ist berufstätig, aber so oft es geht hier.

Auf dem Sofa sitzen Sascha aus Mainz und Lenny, der Volkswirtschaft studiert hat. An den Türrahmen gelehnt steht Medienberater Phillip. Studentin Miriam sitzt auf einem der Stühle und raucht. Auch sie ist regelmäßig im Camp. „Viele der Aktivistinnen und Aktivisten gehen ganz normalen Berufen nach“, sagt Tine. Der ein oder andere kommt später oder geht früher, weil am nächsten Morgen wieder die Arbeit ruft. „Irgendjemand ist immer hier“, sagt Miriam. „Wir haben auch viele Besucher aus anderen Ländern oder Regionen, die nur kurz hierbleiben“, ergänzt Julia, 23, die seit einem halben Jahr hier lebt. Im Occupy-Camp ist es unwichtig wer man ist und woher man kommt. Jeden hier hat der Gedanke an eine andere Welt auf den Gertrudenkirchhof gebracht.

Jeder ist im Camp willkommen. Wichtig ist nur, dass man produktiv etwas für die Gemeinschaft tut. „Manche merken, dass sie nicht hierher passen und gehen wieder“, sagt Julia. Eine weitere feste Regel gibt es. Wer gewalttätig wird, muss sofort gehen. Das Leben im Camp ist kein fauler Müßiggang. Ständig ist etwas los. Dauernd gibt es Projekte, Diskussionen und Workshops. Straßentheater, Bilder, Musik und Gesang werden von den Aktivistinnen und Aktivisten in Szene gesetzt. Zusätzlich nehmen sie an Demonstrationen und politischen Veranstaltungen teil. Die Mitglieder der Hamburger Occupy-Bewegung wollen sich einbringen und gestalten. „Wir sind nicht einfach gegen etwas. Wir sind für ein anderes Denken“, sagt Bennie.

Tyra kommt herein und ruft alle in die Jute. Inzwischen hat sie den wärmenden Grill entfacht. Das erste Gemüse trifft zischend auf den Grillrost. Es ist kalt in der Jute. Alles drängt sich um das kleine Kohlehäufchen in der Mitte des Zeltes. Die kalte Jahreszeit schreckt die Campbewohner nicht davon ab, aktiv zu sein. „Wenn es richtig kalt wird, kann man sich ein paar Teelichter in das Zelt stellen. Dann wird es schnell gemütlich warm“, sagt Phillip.

Das Open Plenum beginnt. Diskussionsregeln werden aufgestellt. „Einer redet, die anderen lassen ihn ausreden“, erklärt Phillip. Die Diskussion soll ruhig verlaufen. Der Moderator gibt und entzieht das Rederecht. Viele Themen werden besprochen. Überwiegend geht es um die Organisation des Camplebens. Julia möchte eine Kunstgallerie an einem Bauzaun errichten. „Wenn es gut für die Gemeinschaft ist, dann mach es“, kommentiert Phillip. Aber auch Lenny meldet Bedarf für die Bauzäune an. Das Plenum entscheidet. Die beiden sollen gemeinsam beraten, wie jeder etwas von den Zäunen hat und dann im nächsten Plenum das Ergebnis präsentieren. Um die Aufstellung einer Tauschkiste entsteht eine hitzige Diskussion. Hier soll jeder Dinge, die er nicht mehr benötigt, hineinlegen und etwas anderes dafür herausnehmen können. „Es geht hier darum umzudenken. Ich muss nicht immer alles wegwerfen und neu kaufen“, sagt Bennie. Obwohl sich alle einig sind, kommt es am Rande zu einem hitzigen Wortgefecht zwischen zwei Aktivisten. Auch bei Occupy verläuft nicht alles ohne Konflikte. Das Plenum stimmt erneut ab. Das Ende des Streitgespräches wird mehrheitlich gefordert. Sofort verstummt das Gespräch. Im Occupy-Camp scheint direkte Demokratie zu funktionieren.

Zum Ende des Treffens gibt Tine noch ein paar gute Nachrichten bekannt, die sie jeden Tag sammelt. „Gute Nachrichten sind wertvoll. Sie zeigen, dass sich etwas verändert“, sagt Tine. Auch Julia ist sich sicher, mit ihrem Engagement etwas bewegen zu können. „Das geht nicht so schnell, aber man merkt jeden Tag, dass sich das Denken der Menschen ändert“, sagt Julia.

Etwas ändern. Mit dieser Forderung ist die weltweite Occupy-Bewegung vor über einem Jahr gestartet. In Hamburg versammeln sich jeden Tag aufs Neue diejenigen, die immer noch an den Traum von einer besseren Welt glauben. Angst geräumt zu werden, wie in Frankfurt, haben sie nicht. „Wir können mehr Camps aufbauen, als die Stadt je räumen könnte“, sagt Lenny. Die Hamburger Occupy-Aktivisten werden sich weiter um den glühenden Kohlehaufen in der Jute drängen. Hier lebt die große Erzählung von Occupy weiter. An ein Ende denken sie nicht. Im Frühjahr wollen sie wieder auf den Gerhard-Hauptmann-Platz vor der HSH Nordbank ziehen.

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