– Neben dem Kollektiven Zentrum im Münzviertel sollen von November bis Ende März 400 wohnungslose Menschen untergebracht werden.
– Die Stadtteilinitiative Münzviertel, das KoZe und die sozialen Einrichtungen im Stadtteil kritisieren die Großunterkunft und die fehlende Beteiligung der Bewohner des Viertels.
– Der Stadtteil sieht Wohnungslose als Bewohner des Münzviertels an und fordert deshalb eine langfristige Unterbringung und Integration der Menschen in den Stadtteil.
Neben dem Kollektiven Zentrum im Münzviertel soll der größte Standort des Winternotprogramms in Hamburg entstehen. Das stößt im Stadtteil auf Kritik: Eine Massenunterkunft mit 400 Plätzen könne den wohnungslosen Menschen keine Perspektive ermöglichen.
Anfang November startet das Winternotprogramm für wohnungslose Menschen in Hamburg. 950 Schlafplätze sollen bis Ende März zur Verfügung gestellt werden – 400 davon in 90 Containern auf dem Gelände der ehemaligen Gehörlosenschule im Münzviertel.
Eine Großeinrichtung, die aus Sicht der Stadtteilinitiative Münzviertel, dem Kollektiven Zentrum und der Stadtmission Hamburg, nicht tragbar ist. Der Vorwurf an die Stadt: Der Stadtteil werde vor vollendete Tatsachen gestellt, statt die Bewohner und wichtige soziale Einrichtungen miteinzubeziehen.
Der Stadtteil wird nicht beteiligt
„Seit das Winternotprogramm 2011 in der Spaldingstraße eingerichtet worden ist, hat der Stadtteil viele Erfahrungen gesammelt“, sagt Dr. Rahel Puffert, Mitbegründerin und künstlerische Leitung des Werkhaus Münzviertel. Auch 2011 sei der Stadtteil nur informiert und nicht beteiligt worden. Dabei habe ein Winternotprogramm, in dem hunderte Menschen auf engstem Raum unterbracht sind, ganz direkte Auswirkungen auf den Stadtteil.
„Für uns sind die wohnungslosen Menschen Bewohner unseres Viertels. Wir wurden in den vergangenen Jahren viel für unser Engagement gelobt. Ob wir eine Großunterkunft für 400 Menschen für sinnvoll halten, hat man uns trotzdem nicht gefragt“, kritisiert Puffert.
„Auch tagsüber kann man erfrieren“
„Der Umgang mit Wohnungslosigkeit ist im Stadtteil tief verwurzelt“, sagt Dr. Eva Lindemann von der Stiftung „hoffnungsorte Hamburg“, die unter anderem das HerzAs, die Bahnhofsmission und das Haus Jona betreibt. Neben der geballten Unterbringung von rund 400 Menschen kritisiert Lindemann vor allem, dass die Menschen sich nur zwischen 17 Uhr und 9 Uhr morgens in den Containern aufhalten dürfen. Tagsüber müssen sie wieder raus – zum Beispiel auf die Straßen des Münzviertels.
„Auch tagsüber kann man erfrieren. Die Plätze in Tageseinrichtungen wie dem HerzAs sind begrenzt“, sagt Lindemann. Im Münzviertel gebe es zwischen 80 und 120 Plätze in den Tageseinrichtungen. Dort versuche man die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen: Eine Mahlzeit, eine warme Dusche, einen beheizten Aufenthaltsraum. Doch diese Stellen haben nicht jeden Tag geöffnet, von Freitag bis Montagmorgen gibt es überhaupt kein Angebot. Für eine Dusche und ein Essen müssen die Menschen oft lange anstehen. „Laut unseren aktuellen Berechnungen muss ein Mensch ohne Obdach zurzeit rund drei Wochen auf eine warme Dusche warten, so wenig Kapazitäten gibt es dafür“, erläutert Lindemann.
Für die Vertreterin der hoffnungsorte Hamburg ist klar, eine bessere Versorgung der Menschen kann nur gewährleistet werden, wenn die Stadt dafür auch Geld in die Hand nimmt: „Bei einer Dunkelziffer von rund 2000 obdachlosen Menschen in Hamburg, muss es mehr Stellen für Sozialarbeiter in den Tageseinrichtungen geben. Das Winternotprogramm muss auch tagsüber geöffnet werden“, fordert Lindemann.
Kleinere, dauerhafte Einrichtungen ermöglichen
Für die Aktivisten aus dem Kollektiven Zentrum im Münzviertel ist die Einrichtung des Winternotprogramms auf dem Schulgelände gescheiterte Stadtentwicklung: „Jedes Jahr im August und September sind die Behörden aufs Neue von der hohen Zahl der Obdachlosen in Hamburg überrascht“, sagt Manuel Meuer vom KoZe. Es fehle an Konzepten, die Menschen langfristig unterzubringen. Vielmehr finde jedes Jahr eine aktionistische und kurzfristige Unterbringungspolitik statt. Für Meuer besonders problematisch: „Es wir auch noch versucht, diese in der Öffentlichkeit als Sozialarbeit zu verkaufen.“
„Da nicht genügend Tagesaufenthaltsplätze zur Verfügung stehen, werden die Menschen bestenfalls zwischen den Notunterkünften in der Nacht und am Tag hin- und hergeschoben“, sagt Manuel Meuer (KoZe). Stattdessen müsse man in kleinere, dezentralere und dauerhafte Einrichtungen ermöglichen. In einer Großeinrichtung wie im Münzviertel, könne man keine Lebensperspektiven bieten und keine Umstände schaffen, in denen der psychische und physische Gesundheitszustand verbessert werden kann.
„Eine Massenunterbringung lehnen wir ab“
„Wir, die Anwohner des Münzviertels, haben in den letzten Jahren bereits gezeigt, dass eine Unterbringung von Wohnungslosen hier möglich ist und unterstützt wird. Jedoch: Eine Massenunterbringung von 400 Obdachlosen mit unterschiedlichsten Problemlagen lehnen wir ab“, macht Meuer deutlich. „Wir fordern, die ganztägige, ganzjährige Unterbringung von Menschen in prekären Lebenslagen in kleinteilige Unterkünfte, um diesen zunächst ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.“
Das Areal mit dem Stadtteil entwickeln
Für die Stadtteilinitiative Münzviertel und das KoZe muss das Winternotprogramm auf dem Schulgelände der ehemaligen Gehörlosenschule in Beziehung zu den Konflikten um den Erhalt des Kollektiven Zentrums und den geplanten Neubau des Investors Hanseatische BauKonzept (HBK) gesehen werden. Aus Sicht der Beteiligten besonders absurd: Erst vor kurzem wurden auf dem Areal intakte Gebäude abgerissen, um die Wohnungslosen nun in Containern unterzubringen.
Die Stadtteilinitiative Münzviertel fordert, das Bauprojekt auf Eis zu legen und die Erfahrungen und Konzepte aus dem Stadtteil als Grundlage für die Entwicklung des Areals zu nehmen. „Das Viertel muss endlich beteiligt werden. Der Umgang mit dem Winternotrogramm zeigt erneut, dass die Behörden keinen Sinn dafür haben, wie dieser Stadtteil tickt“, macht Günter Westphal von der Stadtteilinitiative deutlich. Klarer Bestandteil der Entwicklung ist für die Engagierten aus dem Viertel auch der Fortbestand des Kollektiven Zentrums.
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