Öffentlicher Raum: Wer nicht ins Bild passt, soll gehen

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In deutschen Städten werden Obdachlose vertrieben, private Sicherheitsdienste spielen an Bahnhöfen Polizei. Das Beispiel Hamburg zeigt: Der öffentliche Raum ist umkämpft.

Von Annika Lasarzik und Dominik Brück

Erstveröffentlichung auf ZEIT ONLINE

Seit 2007 lässt Hamburg seine Obdachlosen im Regen stehen – auch, wenn die Sonne scheint. Am Spielbudenplatz, wo früher Obdachlose schliefen, steht heute eine Sprinkleranlage. Wer schläft schon gern in einem nassen Schlafsack?  Es sind solche Beispiele, die Steffen Jörg anführt, wenn er sagt: „Man merkt, dass bestimmte Personen verdrängt werden sollen.“ Jörg ist Sozialarbeiter auf St. Pauli und beobachtet die Veränderung auf dem Kiez. Auch die geplante Einrichtung eines sogenannten Business Improvement Districts (BID) werde von vielen Bewohnern als weiterer Schritt gesehen, den öffentlichen Raum im Sinne von wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beschränken: „Ein BID wird St. Pauli weiter umkrempeln“, sagt Jörg.

Das Ziel sei ein sauberer Kiez für Touristen und neue Stadtteilbewohner mit höherem Einkommen. Obdachlose, Punks und Trinker seien nur noch ein Störfaktor. Das kritisieren aber auf St. Pauli nicht alle: Es gibt auch Stimmen, die Veränderungen des Stadtteils als positiv ansehen.

Orte der Vielfalt wollen Städte sein: Verschiedene Werdegänge und Lebensentwürfe stoßen täglich aufeinander – meist im sogenannten öffentlichen Raum, also auf Straßen, Plätzen und in Parks. Das Beispiel Hamburg zeigt: Es gibt Gruppen von Menschen, die im öffentlichen Raum nicht gern gesehen sind und das auch zu spüren bekommen.

Verdrängung zeigt sich nicht nur auf dem Wohnungsmarkt

Dem könnte auch Michael Joho zustimmen. Der Vorsitzende des Einwohnervereins St. Georg hat Verdrängung selbst erlebt. Joho musste aus der Wohnung, in der er 26 Jahre gelebt hat, ausziehen, als sie zu einer Eigentumswohnung umgewandelt wurde. Hinter seiner alten Wohnung kann Joho beobachten, wie sich auch öffentliche Plätze verändern: „Im Innenhof gab es einen natürlich gewachsenen Spielplatz, wo sich die Nachbarschaft getroffen hat“, erinnert sich Joho. Nach dem Verkauf des städtischen Gebäudes an einen Privatinvestor wurde der Zugang zum Hof gesperrt – es entstand ein Garten für die Besitzer der neuen Eigentumswohnungen.

Die Veränderung in St. Georg zeigt sich nicht nur auf dem Wohnungsmarkt. Ein Kontaktverbot bestraft Prostituierte, die Freier ansprechen, mit hohen Geldstrafen, und verdrängt so die Betroffenen aus dem Blick der Öffentlichkeit. Je mehr sie sich jedoch in dunkle Hinterhöfe zurückziehen müssen, desto größer wird das Risiko, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden.

Auch die Umgestaltung des Hansaplatzes 2011 wird von einigen als Teil dieser Verdrängung gesehen. „Es wurden keine Sitzgelegenheiten auf dem Platz aufgestellt“, sagt Joho. Bis heute ist das Verweilen nur in den umliegenden Cafés oder auf den Stufen des Brunnens in der Mitte des Platzes möglich. „Es sagt niemand, aber es ist klar, dass man so den Aufenthalt von Obdachlosen und Trinkern verhindern will“, sagt Joho. Mit dem gleichen Ziel habe man im Umfeld des Hauptbahnhofes viele Tunnel und Unterführungen geschlossen. Besonders in den kalten Monaten suchten Obdachlose hier oder auf dem überdachten Vorplatz Schutz. Doch das Bild hat sich gewandelt.

Im Oktober 2012 übertrug der Senat der Deutschen Bahn das Hausrecht für das Bahnhofsgelände – nun patrouilliert dort ein privater Sicherheitsdienst, der für Ordnung sorgen soll. Ins Visier der Wachleute kann jeder geraten, der nicht den Verhaltensregeln der Bahn entspricht. Und die Hausordnung ist streng: Wer raucht, ein Bier trinkt, Mülleimer durchsucht oder sich auf den Boden setzt, riskiert einen Platzverweis.

Sicherheitsdienst am Hauptbahnhof juristisch fragwürdig

Im Stadtteil sorgte der Vertrag zwischen Bahn und der Stadt Hamburg für rege Kritik, regelmäßig findet eine „Mahnwache gegen Bahnwache“ auf dem Bahnhofsvorplatz statt. Dabei wird dem Sicherheitsdienst auch ein unverhältnismäßig gewalttätiges Vorgehen vorgeworfen. Tatsächlich erwecken die Mitarbeiter der „Bahnwache“ den Eindruck, das Gewaltmonopol im Bahnhofsbereich für sich zu beanspruchen. Auf ihren Rundgängen sind sie uniformiert, tragen stets Handschellen und Schlagstock bei sich. Doch polizeiliche Befugnisse haben die Wachleute nicht. Sie können sich, wie jeder andere Bürger auch, auf sogenannte Jedermann-Rechte berufen – etwa auf das Notwehrrecht, das Selbstverteidigung bei einem Angriff erlaubt.

Verfassungsrechtlich ist die Entwicklung am Hauptbahnhof problematisch, sagt Christian Ernst von der Bucerius Law School: „Die Stadt zieht sich aus der Verantwortung, indem sie öffentlich genutzte Wege in den Besitz privater Unternehmen übergibt. Diese können dann bestimmen, was dort erlaubt ist und was nicht“, sagt er. Ernst glaubt, dass die Sicherheitsdienste ihre Kompetenz überschreiten: „Maßnahmen, die auf die Hausordnung gestützt werden, müssen in erster Linie die Sicherheit des Bahnverkehrs gewährleisten. Dass Trinken, Betteln und einfaches Sitzen diese Sicherheit gefährden, ist aber unwahrscheinlich“, sagt Ernst. Außerdem sei die Deutsche Bahn AG in Besitz des Bundes und deshalb wie andere staatliche Einrichtungen auch an die Grundrechte gebunden.

„Stadtteile sind mehr als ihre wirtschaftliche Rendite“

Weil sie am Hauptbahnhof unerwünscht sind, weichen viele Obdachlose in die Einkaufsstraßen der Innenstadt aus. Einige Geschäftsleute lassen sie nachts vor den Kaufhäusern schlafen, anderswo greifen auch hier private Sicherheitsdienste ein. Die Notunterkünfte klagen über Überlastung und Unterbesetzung, im Februar musste die Tagesaufenthaltsstätte Herz As nahe dem Hauptbahnhof zeitweise schließen. Ein weiteres Problem: Weil Obdachlose sich nie lange an einem Ort in der Stadt aufhalten können, um nicht wieder vertrieben zu werden, geht der Kontakt zu den Sozialarbeitern verloren. „Hilfe und Betreuung anzubieten ist unter diesen Bedingungen sehr schwer. Langfristig wird so die Reintegration der Obdachlosen in die Gesellschaft verhindert“, sagt Axel Mangat von Herz As. Wer unten ist, bleibt auch unten – und verschwindet aus dem öffentlichen Bewusstsein.

Steffen Jörg, der Sozialarbeiter aus St. Pauli, glaubt, dass viele Hamburger die derzeitige Entwicklung nicht länger hinnehmen wollen: „Stadtteile sind eben mehr als ihre wirtschaftliche Rendite, sie sind Lebensumfeld für die Menschen.“ Es wäre nicht das erste Mal, dass der Stadtteil sich neue Freiräume erkämpft: Die Besetzung von Häusern in der Hafenstraße ist längst zu einem Symbol für die Protestkultur auf St. Pauli geworden. Und auch der von Anwohnern selbst gestaltete Park Fiction zeugt vom Willen der Bewohner, sich für die freie Nutzung öffentlicher Plätze einzusetzen. Auch Hamburgs Obdachlose haben Fürsprecher: 2011 wurde ein Zaun an der Kersten-Miles-Brücke nahe den Landungsbrücken gebaut, viele Obdachlose mussten sich einen neuen Schlafplatz suchen. Nach heftigen Protesten wurde der Zaun abgerissen.

 

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3 Kommentare

  1. Erich

    4. Mai 2014 at 07:55

    Es hat schon viele Protestaktionen von Obdachlosen gegeben, aber politisch macht diese Stadt was sie will !! Bettlermärsche und vieles mehr, da mit hat sich der Dialog zwischen Politik und Vertriebene nicht gebessert !! Hier sollten sich alle hamburger mal fragen: “ Ob die Menschen nur noch eine Nebensache ist, und alles was Profit bringt, in den Vordergrund rückt ??“ Politik sagt zwar das sie mit Bürger und Bürgerinnen zusammen arbeiten müssen, aber tut sie das denn auch ?? Auf bestimmten Ebenen tut sie das, aber was Obdachlosigkeit,Vertreibung angeht, da tut sich die Politik sehr schwer !! Denn sie will eine Stadt suggerieren, die sie in Wirklichkeit gar nicht ist !! Wenn all die jenigen das wüßten, die hier zu Gast sind, dann würden die bestimmt nicht mehr wieder kommen !! Denn so geht keiner mit Menschen um, wie hier es in Hamburg gemacht wird !! Da ich selbst HINZ&KÜNZTLER bin, kämpfe ich auch da für, das es politisch besser wird, aber ob es wird, da für müssen schon alle in Hamburg kämpfen !!

    Hier eigene Texte von mir, zu diesem Thema !!

    https://www.youtube.com/watch?v=R-ays6M6tAY

    https://www.youtube.com/watch?v=RGtKTT43faU

    https://www.youtube.com/watch?v=ZMLM_Bwfgcc

    https://www.youtube.com/watch?v=WJklAypCEY4

    https://www.youtube.com/watch?v=JtOVA-gIiSk

    https://www.youtube.com/watch?v=3hvDYDTkGXM

    https://www.youtube.com/watch?v=6LzviBFm7OQ

  2. Birgit

    3. Juli 2014 at 14:09

    Es werden nicht nur Obdachlose vertrieben, wir Hamburger werden ebenfalls aus der Stadt getrieben wenn wir uns die horrenden Mieten nicht leisten können. Genauso ist es uns geschehen ! Jetzt müssen wir in einer Stadt wohnen die nicht unsere Heimat ist. DAS hatten unsere Familien sicher NICHT geplant als sie unsere Heimatstadt zu dem machten was sie heute ist !

  3. Dr.Dierk-Eckhard

    3. Juli 2014 at 15:29

    Wichtiger Artikel! Wir von „Mahnwache gegen Bahnwache“ haben über ein Jahr regelmäßig am Donnerstag ab 18 Uhr unsere „Sprechstunde“ abgehalten:: Leute beraten, Formulierungshilfen gegeben und auch filmisch dokumentiert [YouTube:: „Klaus Triebe (72) obdachlos . . .“].

    In einem Falle hatte die Staatsanwaltschaft einem, der regelmäßig zu uns kam, einen Strafbefehl von ~1.600,–€ angeboten. Als darauf erwidert wurde, dass (in diesem Falle) das Wandelhallen-Management gar kein Hausrecht hat und Bundespolizisten, die unter dieser Voraussetzung Anzeigen aufnehmen und damit einen Tatvorwurf fingieren helfen, selbst rechtsbrüchig handeln, erkannte die Staatsanwaltschaft den „Mangel des öffentlichen Interesses“ und stellte ihre Ermittlungen ein. Tolle Wurst!

    Wir selbst von der Mahnwache wurden anfangs von der DB-Sicherheit mehrfach tätlich angegriffen. Wir konnten uns dann aber mit einem Zivil-Beamten von PK 11 verständigen. Er las alle rechtlichen Materialien, die wir ihm gaben:: Urteile („Fraport-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichtes), den Aufsatz von Dr.Ernst, die Senatsanfragen in der Bürgerschaft, welche bestätigten, das der DB-Sicherheit kein Hausrecht zusteht und bis zum Zahlungspflichtigen Bereich (Betriebsanlagen) keine Hausordnung gilt, wohl aber höfliche Hinweise und Hilfsangebote willkommen sind.

    Dieser redliche Staatsdiener also (er hatte auch noch Humor und lachte über seinen Necknamen „Zivilunke“) hat in einem Falle gegen die DB-Sicherheit eingegriffen, weil eine Frau belästigt wurde und den Grupppenleiter der Sicherheit vernommen. Dann kam er regelmäßig wieder zur „Sprechstunde“ und hat unsere Mahnwache gleichsam beschützt und andererseits „aufgepasst“, dass wir keine unangemeldete Demo/Kundgebung machen. Das hatten wir auch nicht vor, haben es aber nicht ausgeschlossen, damit er immer wiederkommt.

    Noch was vergessen? Ach Jaa – die SPD-Fraktion hatte in jenen Tagen in der Bezirksversammlung beschlossen (Fraktionszwang), dass die DB-Sicherheit „Hausrecht“ hat und „Hausfriedensbruch“ (StGB 123) verfolgen lassen soll. „Contra lege“ sagt der Lateiner. Die SPD in der Bezirksversammlung weiß es ja auch besser als das Bundersverfassungsgericht, der Senat der FHH oder Dr. Ernst von der Bucerius Law school.

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