Über Italien ist Mohammed von Syrien nach Deutschland geflohen. Fünf Tage dauerte die Flucht. Nun ist er in einem Flüchtlingslager in Hamburg. Dort kann er nur eines tun: Warten auf die Zukunft.
Mohammed sieht aus wie ein Kämpfer. Um die Stirn hat er sich einen schwarz-weiß karierten Schal gebunden, das strähnige Haar nach hinten gekämmt. Am rechten Handgelenk trägt er ein Tuch, das aussieht wie eine Al-Qaida-Flagge: weiße Schrift auf schwarzem Grund. Aber es ist keine Al-Qaida-Flagge. Und Mohammed ist kein Kämpfer. „Ich war wirklich nicht politisch aktiv“, sagt er mit seiner tiefen Stimme. „Ich wollte die Proteste nicht, die Freiheit, von der die Menschen sprechen, all das Töten.“ Mohammed ist ernst, er lacht kaum.
Vor drei Monaten ist er vor dem Bürgerkrieg in seiner Heimat Syrien geflohen. Nun sitzt er an dem kleinen Tisch in dem Container in der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Hamburg-Stellingen, den er mit drei anderen Syrern bewohnt. Erwachsene Männer, die sich hier zehn Quadratmeter teilen und auf doppelstöckigen Feldbetten schlafen. In der Unterkunft gibt es nur ein paar Stühle, einen Schrank und einen Wasserkocher. Von der Decke brennen Neonlampen.
7453 Flüchtlinge leben derzeit in Hamburg. Sie kommen von überall her, aus Serbien, Iran, Irak. Von den 500 in Stellingen stammen 62 aus Syrien. Bis zu drei Monate verbringen sie in der Einrichtung. Mohammed ist bereits zwei hier. Auf dem Gelände reihen sich graue Container an- und aufeinander, überall liegt Müll. Frauen laufen mit Wasserbehältern umher, Jungs spielen Fußball, Kinder fahren auf Fahrrädern über das Gelände.
„Die Menschen hier wissen nicht, was da wirklich los ist“
„Ich liebe Syrien.“ Mohammed spricht laut und schnell. Es ging ihm gut dort, er arbeitete als Taxifahrer in Aleppo, hat Frau und Tochter. Die beiden vermisst er hier in Hamburg am meisten. Sie sind jetzt in seinem Heimatdorf, nahe Aleppo, weil es dort weniger gefährlich ist. Für alle drei wäre die Flucht zu teuer gewesen, allein ihn kostete sie 8500 Euro. Also machte nur er sich auf den Weg, um Papiere zu bekommen und Frau und Tochter nachzuholen. Mohammed ist Ende 30, aber er sieht älter aus. Als habe der Krieg die tiefen Falten auf seine Stirn und um seine Mundwinkel gezeichnet. Dass er Syrien nicht verlassen wollte, betont er immer wieder. „Aber jeden Tag sah ich Menschen sterben, Militärs, die in Häuser eindringen und alle töten.“ Mohammed fährt sich mit dem Zeigefinger an der Kehle entlang. „Moslems töten Christen, Christen töten Moslems, Moslems töten Moslems – alles ist zerstört.“ Es waren Assads Truppen, die er morden und plündern sah aber auch oppositionelle Gruppen. „Die Menschen hier sehen im Fernsehen zu aber wissen nicht, was da wirklich los ist.“ Die Bilder vom Krieg hat er mit nach Hamburg gebracht. Manchmal hält er inne, starrt in die Luft, als würde er den Krieg erneut durchleben, Verwundete ins Krankenhaus bringen, Schüsse hören und Schreie.
Er kann nichts tun als warten
In Stellingen ist es dagegen ruhig. Für Mohammed ist hier ein Tag wie der andere. Er ist residenzpflichtig und sitzt meist so wie jetzt an dem Tisch im Container und tippt auf seinem Handy herum. Mehr gibt es nicht zu tun. Die Stellinger Einrichtung ist relativ neu, es gibt dort keine Aktivitäten, keinen Deutschunterricht und trotz Schulpflicht keine Schule für die Kinder. Die meisten Flüchtlinge sind trotzdem schlicht dankbar, hier und dem Krieg entkommen zu sein.
Mohammed indes ist enttäuscht von Deutschland. „Ich dachte, das sei ein menschliches Land. Jetzt wünschte ich, ich wäre nicht hergekommen“, sagt er wütend und schlägt mit der Faust auf den Tisch. Anfangs musste er im Zelt schlafen, im Container geht immer wieder der Strom aus, es fehlt an Decken, an Kleidung. Er hatte mehr und schnellere Hilfe erwartet, wie sie etwa die 5000 Kontingentflüchtlinge erhalten, die durch ein Sonderprogramm nach Deutschland kommen. Was genau er erwartete, vermag er aber nicht zu erklären. Vielleicht ist es auch einfach die Langsamkeit, mit der in Stellingen alles voran geht, die ihn so zermürbt. Er ist nach Hamburg gekommen, um seiner Familie ein neues Leben aufzubauen – und kann jetzt nichts tun als warten. Seine Zukunft habe er in Syrien gelassen, das verkaufte Auto, das zerstörte Haus, seine Freunde und Familie.
Mohammed ist kein Kämpfer und doch hat ihn der Bürgerkrieg in seinem Land zu einem gemacht. Er muss kämpfen, um seine Zukunft und die seiner Familie.
Titelbild: Auch die Flüchtlinge der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ leben in den gleichen Containern wie Mohammed. (Foto: Jonas Walzberg)
Pingback: Neumann verteidigt Hamburger Flüchtlingskurs | Mittendrin | Das Nachrichtenmagazin für Hamburg-Mitte