Ein Moment der Stille auf dem Rathausmarkt. Am Mittwoch hielten rund 200 Menschen parallel zur Sitzung der Bürgerschaft eine Mahnwache für die Flüchtlinge ab, die auf ihrem Weg über das Mittelmeer zu Tode gekommen sind. Gleichzeitig demonstrierten erneut Unterstützer der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ für eine Bleiberecht aus humanitären Gründen.
In den vergangenen Wochen waren die Demonstrationen gegen die Flüchtlingspolitik des Hamburger Senats und der Europäischen Union immer laut: Mit Musik und Sprechchören fordern die DemonstrantInnen immer wieder eine Bleiberecht für die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ und eine Änderung der europäischen Asylpolitik. Am Mittwoch ist es jedoch ganz still auf dem Rathausmarkt, obwohl erneut 200 Menschen versammelt sind. Sie haben unzählige Kerzen aufgestellt. Die Flammen flackern im Wind, nur aus der Ferne vernimmt man das unaufhörliche Dröhnen der Großstadt. Die DemonstrantInnen haben Blumen vor dem Rathaus abgelegt. Immer wieder kommen Menschen hinzu und zünden weitere Kerzen an. Auch einige Abgeordnete der Bürgerschaft verlassen die Sitzung des Parlamentes, um im Stillen den Toten zu Gedenken, die bei ihrer Flucht über das Mittelmeer ums Leben gekommen sind. Unter ihnen sind ebenfalls Abgeordnete der SPD, die in den vergangenen Wochen aufgrund der Position des Senats in Bezug auf die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ immer wieder heftig kritisiert wurden.
Auch Priscila hat den Tod gesehen – gleich mehrfach. Im libyschen Bürgerkrieg gerät sie zwischen die Fronten. „Überall sind Menschen gestorben. Auf den Straßen, in den Häusern, einfach überall. Es gab keinen sicheren Ort mehr“, erzählt Priscila im Rahmen einer Veranstaltung von Verdi am Dienstag. Die Gewerkschaft hatte zum Thema „Frauen-Flucht-Migration“ eingeladen, um im Kontext der Lampedusa-Proteste über weibliche Flüchtlinge und ihre Schicksale zu sprechen. Priscila ist eine dieser Flüchtlinge. Als sie und 80 andere Menschen ein Boot besteigen und der Gewalt in Libyen entkommen wollen, kentert ihr Fluchtgefährt nach wenigen hundert Metern auf See. 50 Menschen sterben. „Ich habe Glück gehabt“, sagt Priscila nur. Mit einem anderen Boot erreicht sie schließlich die italienische Insel Lampedusa. Zwei Jahre wartet sie dort auf einen Aufenthaltstitel. Als sie ihre Papiere schließlich hat, geht sie nach Norden. „Die italienischen Behörden sagten sie könnten nicht alleine mit all den Flüchtlingen fertig werden. Es war ein Wink das Land zu verlassen“, sagt Priscila. Die junge Frau kommt nach Hamburg, wo ihr Aufenthaltsstatus bisher ungeklärt ist.“Die Lebenssituation ist nicht gut, ich hoffe, dass es bald besser wird“, erklärt sie. Um über die Runden zu kommen sei sie auf private Hilfe angewiesen. Hilfe, die ihr von vielen HamburgerInnen zuteil wird. „Wir sind nicht länger gewillt, die unerträglichen Zustände in der europäischen Flüchtlingspolitik hinzunehmen“, sagt Agnes Schreieder, stellvertretende Landesbezirksleiterin bei Verdi.
Auch die DemonstrantInnen auf dem Rathausmarkt wollen die Abschottung Europas und die Toten an den Außengrenzender EU nicht mehr hinnehmen. Zwischen den Kerzen, Teelichtern uns Blumen sind lange Listen ausgelegt. Es ist eine Aufzählung von Menschen, die nicht soviel Glück hatten wie Priscila und ihre Flucht vor Terror und Gewalt mit dem Leben bezahlt haben. Über 1.500 tote Flüchtlinge nennt das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen für 2011. Die Zahl der unbekannten Todesfälle dürfte wesentlich höher liegen. Allein im Herbst 2013 sind mehrere Hundert Menschen vor Lampedusa ertrunken. Über dem Rathausmarkt weht an diesem Abend die Flagge der Europäischen Union. Jenem politische Gebilde, das einst die Grenzen in Europa öffnete und nach Außen immer höhere Mauern baute. Zum Abschluss der Mahnwache singen die DemonstrantInnen gemeinsam das Lied „Imagine“ von John Lennon. Laut schallt es plötzlich durch die Innenstadt: „Imagine there are no Countries…nothing to kill or die for“. (Die DemonstrantInnen singen zusammen das Lied „Imagine“ von John Lennon.)
Wenige hundert Meter vom Rathaus entfernt zieht die wöchentlich stattfinde „Lampedusa in Hamburg“ Demonstration vorbei. Auch hier protestieren nach Polizeiangaben rund 200 Menschen für ein Bleiberecht der Flüchtlingsgruppe. Im Gegensatz zur Mahnwache sind sie sehr laut „Um Europa keine Mauer, Bleiberecht für alle und auf Dauer“, rufen sie. Die Demo endet friedlich am Steindamm. Nächste Woche werden sie wiederkommen. So sicher, wie die Tatsache, dass weiter Menschen vor Krieg und Armut fliehen werden. Egal wie hoch die Mauern um Europa auch gezogen werden.
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