Im Gängeviertel wurden alle Planungen für eine Sanierung gestoppt, denn die Besetzer erheben schwere Vorwürfe gegen die Stadt: Wichtige Informationen seien bewusst verschwiegen worden. Im Sanierungsbeirat kam es zum Eklat.
Die Worte des zweiten Vorsitzenden sind deutlich: „Die Arbeit in diesem Gremium ist sinnlos und reine Zeitverschwendung.“ Mit sofortiger Wirkung trete er von seinem Amt im Sanierungsbeirat Gängeviertel zurück, erklärte Michael Ziehl in der Beiratssitzung am Montagabend. Auch Gängeviertel-Sprecherin Christiane Ebeling und Till Haupt werden ihre Vorstandsposten abgeben.
Der Rücktritt der drei Aktivisten aus dem Gängeviertel markiert eine Zäsur in der Arbeit des Sanierungsbeirats und zeigt vor allem eines: Während die Sanierung des Künstlerviertels in den vergangenen Monaten voranschritt und im Februar bereits die ersten Wohnungen bezogen wurden, lief hinter den Kulissen längst nicht alles rund. Dass das Verhältnis zwischen Stadtentwicklungsbehörde (BSU), der städtischen Treuhänderin „steg“ und dem Künstlerkollektiv schwierig ist, war seit Beginn der Verhandlungen klar. Der zentrale Streitpunkt: Das Maß an Transparenz und Partizipation im Planungsprozess.
Nun scheinen sich die Fronten zu verhärten, denn die Aktivisten erheben schwere Vorwürfe gegen die Stadt und die „steg“: Während laufender Verhandlungen um eine Umsetzung der Kooperationsvereinbarung sei ohne ihr Wissen im November ein sogenannter Modernisierungsvertrag zwischen steg und der Hamburgischen Investitons- und Förderbank (IFB) abgeschlossen worden. Durch einige Details in diesem Vertrag sei die zugesagte Selbstverwaltung des Gängeviertels nun in Gefahr, so der Vorwurf. Regelungen zur Untervermietung und Belegung der Gebäude würden demnach eine Genossenschaftsanbindung der Mieter gefährden. Die Verpflichtung, mit dem Einzug ins Gängeviertel auch Genossenschafts-Anteile zu kaufen, sei in dem Vertrag nicht enthalten, hieß es. Die BSU berufe sich in laufenden Verhandlungen bereits auf den Modernisierungsvertrag, der eine Umsetzung zentraler Forderungen des Gängeviertels unmöglich mache.
„Ein massiver Vertrauensverlust“
„Die Stadt hat uns bewusst Informationen vorenthalten. Eine Kooperation auf Augenhöhe sieht anders aus“, sagte Michael Ziehl und nannte als Beweismittel für das bewusste Verschweigen von Informationen einen Email-Verkehr, der dem Gängeviertel vorliege. Der Rücktritt von den Vorstandsposten im Sanierungsbeirat sei nun ein Zeichen des Protests und eine logische Konsequenz für die Aktivisten: „Das ist ein massiver Vertrauensverlust für uns. Während wir über Details diskutieren, werden hinter unserem Rücken Verträge abgeschlossen, die unsere Beschlüsse unmöglich machen“, so Ziehl.
Die Stadt selbst wurde bereits vor der Sitzung des Gremiums über den Schritt der Aktivisten informiert. Erst nach einer Besetzung der Baustelle in der „Fabrique“, die derzeit saniert und umgebaut wird, habe die Stadt den Aktivisten ein Terminangebot gemacht – während eines Treffens am vergangenen Mittwoch kam es schließlich zu einer Annäherung der Vertragspartner. Auch Bezirksamtsleiter Andy Grote und Staatsrat Dr. Horst-Michael Pelikahn als Vertreter der Kulturbehörde waren dabei. Das Ergebnis: Ein sofortiger Planungsstop der Sanierung des Gängeviertels. Bereits laufende Bauarbeiten sind davon allerdings nicht betroffen.
Das Ziel sei nun, „das Sanierungsverfahren neu zu denken und neue Wege einzuschlagen“, teilten die Aktivisten am Dienstag mit. In drei Arbeitsgruppen sollen offene Fragen neu diskutiert werden. Die Themen: Das Finanzierungs- und Sanierungsverfahren, die Genossenschaftsanbindung der Mieter und der Betrieb der Fabrik als soziokulturelles Zentrum. Zudem wurde den Aktivisten Einsicht in alle Verträge zugesichert, die Bezug auf die Sanierung des Gängeviertels nehmen.
Die steg beruft sich auf vertragsmäßige Standards
Eine Absage an den Dialog mit der Stadt sei der Rückzug aus dem Vorstand ausdrücklich nicht, sagte Gängeviertel-Sprecherin Christiane Ebeling: „Unsere Telefonnummern sind den Behördenvertretern bekannt, unser Büro steht jedem offen, wöchentlich finden Vollversammlungen im Viertel statt“, sagte sie. Bei den Diskussionen im Sanierungsbeirat handele es sich jedoch um eine „Pseudo-Beteiligung“ – die Arbeit in den eigenen Strukturen sei für die Aktivisten effizienter.
Die Vertreter des Bezirksamt Mitte und der „steg“ reagierten am Montagabend erwartungsgemäß verhalten auf die Maßnahme des Gängeviertels. Dass die „steg“ als treuhändische Eigentümerin einen Vertrag mit der IFB abschließe, sei ein „standardmäßiger Vorgang“ in einem Sanierungsgebiet, sagte eine Sprecherin der „steg“. Es gehe lediglich darum, finanzielle Mittel aus einem Förderprogramm der IFB abzuschöpfen und der IFB darüber hinaus Zugriff auf die Wohnungen zu ermöglichen. So solle verhindert werden, dass nur „anspruchsberechtigte Personen“ im Gängeviertel wohnen.
Doch das Festhalten an bestehenden Regeln reicht den Aktiven aus dem Gängeviertel als Begründung nicht: „Gesetze sind von Menschen gemacht und können auch verändert werden. Dann müssen wir eben darüber sprechen, ob diese Verträge noch zeitgemäß sind und wie Selbstverwaltung ermöglicht werden kann“, so Michael Ziehl.
Über fünf Jahre sind vergangen, seit 200 Aktivisten das Gängeviertel besetzten und die maroden Gebäude in der Hamburger Neustadt so vor dem Abriss bewahrten. Ein Gebäude ist inzwischen fertig saniert, neun weitere sollen in den kommenden Jahren umgebaut werden. Die Stadt investiert in die Sanierungsarbeiten 20 Millionen Euro. Am Ende werden 79 Sozialwohnungen und 21 gewerbliche Einheiten entstehen.
ich ich ich
24. Februar 2015 at 16:57
Dann wird es also vorerst keine Filiale von „kauf dich glücklich“ im Gängeviertel geben…