Über das Thema Islam wurde in Hamburg schon oft und viel diskutiert, jedoch selten so umfassend, informativ und teilweise auch humorvoll wie bei der Vielfalt St. Georg-Borgfelde.
Dass der Islam zu Deutschland gehört, stellte der damalige Bundespräsident Christian Wulff während seiner Amtszeit schnell klar. Aber ist der Islam auch ein Teil von Hamburg? Vorurteile und Unkenntnisse gibt es in der Hansestadt genug: Einen Muslim erkennt man aus Sicht vieler Hanseaten an Bart oder Kopftuch. Als es im Oktober in St. Georg zu Ausschreitungen zwischen Kurden und Salafisten kam, wurden in den Medien schnell Bedrohungsszenarien aufgebaut. Im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung von Vielfalt St. Georg-Borgfelde im Savoy-Kino wurde unter der Überschrift „Wir sind Hamburg – Seid ihr Islam“ erneut über den Islam diskutiert – mit einem klaren Ergebnis: Es gibt zu viel Unkenntnis und zu viele Vorurteile.
Probleme besonders bei Jugendlichen
Die wichtigste Frage des Abends beantwortet Ramazan Ucar, der Imam der Centrum-Moschee gleich zu Beginn: „Man erkennt einen Muslim an seinem Verhalten, daran, dass er an Allah glaubt.“ Dabei spiele es keine Rolle ob dabei Bart oder Kopftuch getragen würden, einzig die innere Haltung kennzeichne einen Muslim. Und die ist gar nicht so weit weg von den christlichen Überzeugungen: „Vielleicht bin ich als guter Christ auch ein guter Moslem“, gibt Pastor Kay Kraack von der Kirchengemeinde St. Georg-Borgfelde zu bedenken. Zeit also eine Integrationsdebatte zu führen, die sich abseits von Klischees und Vorurteilen bewegt. „Wir haben seit 50 Jahren Einwanderung in Deutschland. Ich bin es leid, dass wir das Thema ständig auf Bärte und Kopftücher reduzieren“, sagt Christa Goetsch, Bildungssenatorin a.D. und Lehrerin. Einwanderungsland bedeute eben sich aktiv miteinander auseinander zu setzen. Leider gebe es aber immer noch zu viel Unkenntnis und Schwarz-Weiß-Malerei.
Ein Problem, dass besonders bei Jugendlichen immer häufiger zutage tritt. Es sei eine neue Identität entstanden, mit der sich die ältere Generation eben nicht identifizieren könne. Daher könne sie vielen Jugendlichen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, deren Eltern oder Großeltern aber Einwanderer waren, keine Antworten mehr geben, erklärt die Bürgerschaftsabgeordnete Cansu Özdemir (Linke). „Es gibt Gruppen, die auf komplexe Fragen sehr einfache Antworten haben. Das kommt bei vielen Jugendlichen an“, ergänzt Ali-Özgür Özdil. Hier gebe es für radikale Gruppen die Möglichkeit leicht neue Anhänger zu werben. Die Hälfte der rund vier Millionen Muslime in Deutschland ist unter 25 Jahre alt. Besonders im Internet könnten Extremisten diese Gruppe leicht für sich gewinnen. „Es gibt nur sehr wenige Wegweiser zum Islam im Internet“, erklärt Özdil.
Diskriminierung ist Alltag
Die Muster der Radikalisierung gleichen sich: So wie bei anderen Jugendlichen der Weg in den Rechtsextremismus über Unkenntnis, Identitätslosigkeit und Frust führen kann, haben viele muslimische Jugendliche vor ihrer Radikalisierung Diskriminierungen erfahren müssen. „Wir haben besonders in Stadtteilen Probleme, in denen es viel Armut gibt“, sagt Cansu Özdemir. Aus Perspektivlosigkeit resultiere oft das Gefühl von Ablehnung und fehlender Anerkennung. Imam Ucar ergänzt: „Die jungen Männer, die für den IS in Syrien kämpfen wollen, haben kein Integrationsproblem. Sie sind oft hier aufgewachsen und sprechen Deutsch als Muttersprache. Sie fühlen sich aber ungerecht behandelt“
Auch er hat offene Diskriminierung am eigenen Leib erfahren müssen. Auf der Suche nach einer Wohnung wurde ihm gesagt, diese sei bereits vergeben. Als ein Freund mit „deutschem“ Namen kurz darauf bei der Makleragentur anrief, war die Wohnung jedoch wieder frei. Es sind solche Geschichten, die zeigen, dass es in Hamburg nicht nur ein Problem mit extremistischen Gruppierungen, sondern auch mit der direkten Diskriminierung aufgrund der Herkunft gibt. Die Forderung des Imam ist daher sehr deutlich: „Wir müssen uns nicht nur in diese Gesellschaft integrieren, sie muss auch dazulernen.“
Hier müssen Politik und Gesellschaft aktiver sein, sind sich alle Teilnehmer im Savoy-Kino einig. Besonders die Unkenntnis und die Vorurteile, die bei vielen HamburgerInnen verbreitet seien, stünden einem normalen Zusammenleben oft im Wege. Das Verständnis einer anderen Religion, von neuen Identitäten und kulturellen Unterschieden werde nicht von alleine kommen, erklärt Ali Özdir. Man müsse in allen Teilen der Gesellschaft aktiv vermitteln, das zeige ein einfaches Beispiel: „Juden leben seit Jahrhunderten in Deutschland, dennoch wissen die wenigsten etwas über das Judentum. Allein durch Zeit wird sich das Problem nicht lösen lassen“, sagt Özdir. Viel sei zwar schon erreicht worden, aber man müsse immer noch viele Schritte gemeinsam gehen.
Foto: Dominik Brück
Ralf Hans Paul
27. November 2014 at 19:46
Der Artikel ist sehr gut geschrieben und sinnvoll, aber könnt ihr endlich einmal aufhören St. Georg/ Borgfelde zu schreiben ? Borgfelde ist ein eigenständiger Stadtteil und diese klerikale Vereinnahmung Borgfeldes durch die evangelische Kirche geht mir so richtig auf den Zeiger.
Gabriele
28. November 2014 at 18:51
Ich kann das Gejammer nicht mehr hören. Als würde die ewige Diskriminierung die armen muslimischen Jugendlichen geradezu zwingen, sich der IS anzuschließen und Andersgläubige niederzumetzeln. Und immer dasselbe Beispiel mit der ‚bereits vergebenen‘ Wohnung…. Das Diskriminierungsproblem ist zu großen Teilen selbstgemacht. Die Eltern haben sich nicht bemüht, unsere Landessprache zu erlernen, ihre Kinder können es entsprechend auch nicht. Der Spracherwerb ist der Schlüssel zur Integration.