Sprache ist der Schlüssel zur Integration, heißt es. Im New Hamburg-Café auf der Veddel wird Sprache zum Scharnier für den sozialen Austausch: Wenn Bewohner der Elbinsel auf Menschen aus einer Flüchtlingsunterkunft treffen, geht es um mehr als bloße Grammatik.
„Erinnerung“. Abodi kneift die Augen zusammen und wendet den kleinen Zettel in seiner Hand argwöhnisch hin und her. Dieses Wort kennt er noch nicht. Hilfesuchend blickt der junge Syrer in die Runde. Sein Tischnachbar Amir lächelt kurz, beugt sich vor und raunt dem Jungen etwas auf Arabisch zu. Der Iraner lebt schon länger hier, sein Deutsch ist recht gut. Nun hilft er jenen, die noch am Anfang stehen. Im Gemeindesaal der Veddeler Kirche, der dieser Tage wirkt wie ein großes Wohnzimmer, spielen sich heute viele solcher Szenen ab: Erwachsene und Kinder sitzen zusammen an runden Tischen und reden – sie sind zum „Sprachcafé“ gekommen, um durch Gespräche ihr Deutsch zu verbessern.
Grenzen werden aufgehoben
In einer Ecke spielen Kinder, an der Bar brummt die Popcornmaschine, aus dem Plattenspieler tönt leise Musik: Seit das Schauspielhaus zum „New Hamburg“-Theaterfestival auf die Veddel geladen hat, ist der Kirchenraum zur Begegnungsstätte geworden. Vermeintliche Grenzen zwischen Kulturen und Generationen sollen hier keine Rolle spielen, denn so einen „Raum für Alle“ gab es zuvor auf der Veddel nicht. Entstanden ist so ein Café, betrieben von Ergün Yadbasan, der auch Wirt des türkischen Restaurants „Peacetanbul“ im Karolinenviertel ist.
Viele Details machen deutlich, dass hier nicht nur eine bestimmte Gruppe angesprochen werden soll: An der Wand hinter dem Tresen steht in Kreideschrift „Happy Yom Kippur“ und „Selam means Hello“ geschrieben, in der Küche kochen Frauen aus dem Viertel ein arabisches Gericht. Überall finden sich Symbole verschiedener Glaubensrichtungen – Christentum, Islam, Judentum. Auch die Grenzen der Religionen scheinen hier aufgehoben.
„Ich will lernen, damit ich später hier arbeiten kann.“
„Das Gericht heißt ‚Maloube‘ – lecker, musst du probieren!“, sagt Abodi nun mit Blick auf seinen dampfenden Teller. Seine Schwester Fatima sitzt neben ihm und betrachtet aufmerksam das rege Treiben um sich herum. Die 19-Jährige wirkt fröhlich und aufgeregt, zupft immer wieder das rosa Kopftuch zurecht. Vor sieben Monaten sei sie mit ihrer Familie hier auf der Veddel angekommen, sagt Fatima. Nun lebe sie mit ihren Eltern und den fünf Brudern in einem Flüchtlingsheim an der Hafenbahn. Versteckt hinter S-Bahn-Gleisen liegt diese Unterkunft, hunderte Menschen leben dort seit Jahren, doch viele Veddeler wissen nicht einmal, dass sie existiert. „Deutsch lernen ist jetzt das Wichtigste“, sagt Fatima. „Ich will lernen, damit ich später hier arbeiten kann“ – ein Satz, der an diesem Nachmittag oft zu hören ist. Neben Fatima sitzt ihr Vater Ahmed. Er spricht nicht viel, hält die Hände gefaltet, der Blick geht ins Leere. Wenn eines der Kinder kommt und ihn am Ärmel zupft, lächelt er kurz und tätschelt einen Kopf, bevor die Augen wieder einen Punkt in der Ferne suchen. „Es geht mir gut hier“, sagt Fatima und nickt eifrig. Dann will sie sich korrigieren, sucht kurz nach dem richtigen Wort: „Naja, besser. Mir geht es besser.“ Besser als in Idlib, ihrer Heimatstadt im Nordwesten Syriens.
Auf der Veddel bleiben die Nationalitäten oft unter sich
Miteinander auf spielerische Weise Sprachen lernen, einander auf Augenhöhe begegnen – diese Idee passt zum Tenor des „New Hamburg“-Festivals, das die Vielfalt und das nachbarschaftliche Miteinander auf der Veddel zelebrieren will. Beim Sprachcafé sollte es ursprünglich darum gehen, Frauen zusammen zu bringen und diese beim Deutsch lernen zu unterstützen, erzählt Shaima, die bereits vor „New Hamburg“ Sprachkurse im Eltern-Kind-Zentrum auf der Veddel angeboten hat. Dann kamen auch ein paar Männer dazu, die sich in einem eigenen Raum trafen – doch an diesem Nachmittag hat sich die Geschlechtertrennung aufgelöst. „Manchmal diskutieren wir bestimmte Themen, oft ergeben sich die Gespräche aber ganz von allein“, sagt Shaima. „Es geht dabei nicht nur um die Sprache, sondern auch um den kulturellen Austausch zwischen den verschiedenen Gruppen auf der Veddel.“ Denn die verschiedenen Nationalitäten blieben bisher meist unter sich, gerade für Frauen gebe es keinen öffentlichen Raum, der für gemeinsame Aktivitäten genutzt werde.
„Im Café begegnen wir Menschen, die sonst an uns vorbeischauen würden.“
Ob mit dem Café im Gemeindehaus so ein neuer Ort entstanden ist, müsse sich aber noch zeigen: „Am Ende liegt es an den Menschen selbst, ob sie diese Chance nutzen und dieses Haus zu ihrem Ort machen“, sagt die 36-Jährige. Denn das New Hamburg-Festival ist vorbei, am Samstag wurde das große Abschiedsfest gefeiert.Das Café soll nun einmal in der Woche, immer freitags, geöffnet sein. Wie es dann mit dem Sprachcafé-Projekt weitergeht, ist unklar. „Es gibt bereits Diskussionen mit der Stadt. Wir werden einen Antrag auf finanzielle Förderung einreichen und hoffen einfach, dass dieses Projekt weitergeführt werden kann“, sagt Nina Reiprich, die das Sprachcafé als „New Hamburg“-Hospitantin mitentwickelt hat.
Auch Abodi wünscht sich, dass das Projekt fortgesetzt wird: „Im Café begegnen wir Menschen auf der Veddel, die sonst an uns vorbeischauen würden. Und es ist doch immer gut, voneinander zu lernen“, sagt der 17-Jährige und lächelt. Tatsächlich hat das Sprachcafé mit einem klassischem Integrationskurs und Frontalunterricht nichts gemein. Voneinander lernen wird zum gelebten Motto: Abodi hat längst einen deutschen Tandem-Partner gefunden, dem er nun die ersten Wörter auf arabisch beibringt. Auf einem Blatt Papier notiert er: „Erinnerung = Tadhakartou“.
Fotos: Annika Lasarzik
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