Am Steindamm kam es am Dienstagabend nach einer Demonstration gegen den Islamischen Staat zu einem Zusammenprall zwischen Kurden und Salafisten – mit erschreckend hohem Gewaltpotential.
Der junge Mann lächelt selig, als er sich die Ohrstöpsel abnimmt und seinen iPod sorgfältig in der Jackentasche verstaut. Erst als er sich ein Tuch über den Mund zieht verfinstern sich seine Gesichtszüge, seine Augen glühen plötzlich voller Hass und wilder Entschlossenheit. „Allah akbar“, brüllt er. Rund 30 Gleichaltrige tun es ihm gleich. Vor der Al-Nour Moschee in der Nähe des Steindamms in St. Georg stehen jetzt keine einfachen jungen Männer mehr, sondern Salafisten, Anhänger einer radikalen Strömung des Islam, zu allem entschlossen und bewaffnet – genau wie die rund 500 Kurden, die am Dienstag gegen 20 Uhr nur wenige Meter entfernt hinter einer Polizeireihe ihren Hass auf die Salafisten in die Nacht schreien.
Besonders Jugendliche sind gefährdet
In Hamburg hat man die Gefahr, die von salafistischen Gruppen ausgeht, schon länger erkannt, schätzt diese aber nicht so extrem ein, wie an anderen Orten in Deutschland. Trotzdem hat Hamburg erst vergangene Woche ein Programm vorgestellt, das Jugendliche und junge Erwachsene darin unterstützen soll, sich nicht den radikalen Salafisten anzuschließen. Sind die jungen Muslime bereits radikalisiert, soll es ihnen ebenso beim Weg zurück in ein „normales“ Leben helfen. Der Verfassungsschutz geht von rund 80 bekannten Salafisten in Hamburg aus, darunter auch eine Frau.
Mehr als 40 Islamisten sollen bereits ausgereist sein und sich dem Islamischen Staat (IS) in Syrien angeschlossen haben. Insgesamt werden in der Stadt 240 Personen beobachtet. Weil es in der Hansestadt aber kein größeres, salafistisches Moscheezentrum gebe, sei eine stärkere Konzentration in Hamburg nicht vorhanden, sagt Norbert Müller vom Schura-Verein, dem Rat der islamischen Gemeinschaft in Hamburg. Dennoch befürchte er, dass die Szene schnell in Orte und Stadtteile abwandern könne, wo Gemeinden nicht gut strukturiert seien und Jugendliche leichter auf radikale Gedanken anspringen könnten.
Eisenstangen, Totschläger und Messer
Auf die islamische Al-Nour-Gemeinde am Steindamm scheint diese Beschreibung nicht zuzutreffen. Vertreter der Schura sind vor Ort und bitten die Polizei, die jungen Männer aus der Moschee zu entfernen, da Salafisten hier nicht erwünscht seien. Diese hatten sich zunächst auf Facebook und Twitter zu einem Überfall auf den kurdischen Kulturverein am Steindamm verabredet, nachdem Kurden zuvor gegen das Vorgehen des radikalislamischen IS in Syrien demonstriert hatten. Dort kommt es derzeit in der Stadt Kobane zu erbitterten Kämpfen zwischen IS-Truppen und den kurdischen Verteidigern der Stadt. Die Salafisten in Hamburg sahen sich jedoch schnell in der Unterzahl, da die kurdische Seite ebenfalls Hilfe herbeigerufen hatte. Daraufhin flohen die radikalen Islamisten in die benachbarte Moschee, wo sie nun von der Polizei vor den wütenden Kurden geschützt wurden.
Der Hass auf beiden Seiten ist groß und deutlich sichtbar: Immer wieder schreien sich die Parteien über die Polizei hinweg an und gestikulieren wild. Verschiedene kleinere Gruppen versuchen die Polizei zu umgehen, um an den vermeintlichen Gegner zu gelangen, dabei fliegen auch Flaschen und Steine auf die Polizisten. Bewaffnet sind sowohl Kurden, als auch Salafisten mit Eisenstangen, Totschlägern und Messern. Wer keine geeignete Bewaffnung dabei hat, sucht sich vor Ort Werkzeuge wie Radkreuze und Schraubenzieher. Auch innerhalb der Gruppen kommt es zu Auseinandersetzungen und Rangeleien. Die Polizei kann dort kaum eingreifen, da sie mit zu wenigen Kräften vor Ort ist und setzt Pfefferspray ein, um die Streitenden zu trennen.
Trotz der Polizeiketten gelingt es einigen Salafisten, sich unter die Kurden zu mischen. Sofort entlädt sich das erschreckend hohe Gewaltpotential, dass bereits den ganzen Abend über deutlich zu erkennen ist. Ein junger Mann wird von einer Machete am Bein verletzt, ein anderer mit einem Dönerspieß oder langen Messer in den Bauch gestochen. Insgesamt müssen die Rettungskräfte 14 Verletzte abtransportieren, vier davon schwer. Polizeibeamte kommen aber nicht zu Schaden.
Ende nach rund fünf Stunden Belagerung
Die Polizisten werden gegen 23 Uhr durch weitere Beamte und Wasserwerfer verstärkt. Schließlich gelingt es die Kurden auf dem Steindamm abzudrängen. Immer wieder muss die Polizei dabei dazu auffordern, Waffen und gefährliche Gegenstände fallen zu lassen. Unter lautstarken Protesten kommen die Kurden der Aufforderung nach und entfernen sich langsam. Erst um 0.30 Uhr ist es möglich die Salafisten vor der Moschee in kleinen Gruppen gehen zu lassen. 22 Personen von beiden Seiten werden jedoch in Polizeigewahrsam genommen, der Rest der Nacht verläuft ruhig.
Als die radikalen Islamisten an den Beamten vorbeigehen, ihre Smartphones aus den Taschen holen und ihre Vermummung ablegen, werden sie wieder zu normalen Jugendlichen, die scherzen und sich für den kommenden Tag zum Tee verabreden. Diese Stimmung hält jedoch nur so lange an, bis die anderen jungen Männer aus den Fenstern des gegenüberliegenden Gebäudes Flaschen auf die Gruppe werfen. Unter Polizeischutz bringen sich die Beworfenen in Sicherheit und auch die Flaschenwerfer ziehen sich bald darauf zurück. Der Hass aber bleibt – auf beiden Seiten.
Fotos: Dominik Brück, Hintergrundrecherche: Frederic Zauels
Sven
8. Oktober 2014 at 10:39
„…gegen das Vorgehen des radikalislamischen IS im Irak demonstriert hatten. Dort kommt es derzeit in der Stadt Kobane…“
Das „dort“ kann hier aber nicht den Irak meinen, da Kobane in Syrien liegt.
Dominik Brueck
8. Oktober 2014 at 10:58
Ist bereits korrigiert. Sorry, es war eine lange Nacht.
ichoderdu
8. Oktober 2014 at 10:49
Etwas reißerisch geschrieben aber soweit ganz gut.
Werner
8. Oktober 2014 at 13:35
Andere Medien berichten davon, dass sich „jeweils 400 Kurden und Salafisten“ gegenübergestanden hätten. Ich war gestern, um mich keiner Gefahr auszusetzen, nur kurz da (Anwohner) und hatte den Eindruck, dass dort keine 400 Salafisten waren. Natürlich kann ich das nicht abschließend beurteilen. Sie, Herr Brück, waren ja anscheinend die ganze Zeit vor Ort: Was ist ihre Einschätzung?
Freundliche Grüße,
Werner Stefke
Dominik Brueck
8. Oktober 2014 at 16:09
So wie es im Artikel steht, waren dort rund 30 Salafisten anwesend. Viele Grüße, Dominik Brück
Werner
8. Oktober 2014 at 13:36
Und: Vielen lieben Dank für diese Berichterstattung, es ist wichtig, dass diese Vorfälle in der Öffentlichkeit Beachtung finden.
Franz
8. Oktober 2014 at 14:17
„Ein junger Mann wird von einer Machete am Bein verletzt, ein anderer von einem Dönerspieß oder langen Messer in den Bauch gestochen.“
Wie? Ein Dönerspieß und eine Machete waren auch unter den Krawallmachern und haben Leute verletzt? Ich dachte immer, die hätten kein Eigenleben, und nur Menschen können MIT EINEM DÖNERSPIESS einem anderen in den Bauch stechen.
Kh
9. Oktober 2014 at 08:24
Eine an Banalität kaum zu überbietende Kritik.
Danke für den Artikel Herr Brueck.
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