Bei den „Emancipation Days“ hat die Gruppe Lampedusa in Hamburg am Wochenende mit Worten und Bildern auf die Zusammenhänge von Kriegen, Migration und ökonomische Interessen aufmerksam gemacht.
Seit mehr als eineinhalb Jahren kämpfen die rund 300 libyschen Flüchtlinge aus der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ um ein kollektives Bleiberecht in der Hansestadt. Am Wochenende machten sie mit den „Emancipation Days“ nun erneut auf ihre Situation aufmerksam. Auf dem Programm standen eine Demonstration, Theater, eine Diskussion mit verschiedenen Migrationsexperten und eine Fotoausstellung: Mit den „Emancipation Days“ wollen sich die Flüchtlinge emanzipieren – und zwar von stereotypen Vorstellungen des Flüchtlings als vermeintliche Bedrohung für Europa.
„Die Geschichte ist oft einfacher und brutaler, als man sie zu lesen bekommt“
Wie wirken sich die Interessen Europas und der USA auf Nordafrika und andere Regionen aus? Das stellte der Völkerrechtler Professor Norman Paech bei der Diskussion im Rahmen der „Emancipation Days“ am Beispiel aktueller Krisenherde wie Syrien, dem Irak und auch Libyen dar. Die Situation in diesen Ländern gleiche einem Chaos: Zerstörte Staaten und Gesellschaften, die auch in den nächsten Jahrzehnten noch viele Menschen zur Flucht treiben würden. Auffällig sei, dass Kriegsregionen wie der mittlere Osten und Nordafrika auch zu den Regionen mit den meisten Energieressourcen wie Erdöl und Erdgas gehörten.
Dass militärische Interventionen auch immer mit dem Interesse einhergehe, diese Regionen im Sinne westlicher Wirtschaftsinteressen umzugestalten, steht für den Wissenschaftler Paech außer Frage: „Die Geschichte ist oft einfacher und brutaler, als man sie zu lesen bekommt“, so Paech. Während zwischen souveränen Staaten Verträge zur Erdöl- und Erdgaslieferungen ausgehandelt werden, sei der Norden Afrikas und der mittlere Osten Schauplatz einer „sich kolonial gebärdenden westlichen Welt“, so Paech
„Green Grabbing“ unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Klimawandel
Eine weitere Perspektive wurde von der Geographin Dr. Sybille Bauriedl ergänzt, die zum Thema Klimaflüchtlinge forscht. Das auch von der UN gezeichnete Bild enormer Flüchtlingsströme aus Afrika als Folge klimatischer Veränderungen in Gebieten südlich der Sahara hält sie für bedenklich. Es liefere nicht nur eine Legitimationsgrundlage für überhöhte Schutzmaßnahmen westlicher Staaten, sondern diene auch als Begründung für den westlichen Zugriff auf afrikanische Landflächen unter dem Deckmantel des „Kampfes gegen den Klimawandel“. So fänden auch hier massive Engriffe in afrikanische Regionen durch westliche Staaten zu Gunsten wirtschaftlicher Interessen hinsichtlich der Ressource erneuerbare Energien statt.
Auch die Hansestadt Hamburg bilde dabei mit ihrem Klimaschutzkonzept keine Ausnahme. Mit Schlüsselwörtern wie „Klimaneutralität“ und „Low Carbon City“ gehe neben dem Klimaschutz vor Ort auch immer ein Transfer klimatischer Probleme in afrikanische Staaten einher. Wird der Klimawandel für Deutschland zu teuer, werde auf den Emissionshandel zurück gegriffen oder Klimaschutzmaßnahmen in Afrika als Entwicklungshilfe bemüht, statt die Emission vor Ort weiter zu senken.
„Wie kann ich betteln? Ich kann doch arbeiten“
Auch die Flüchtlinge selbst begreifen sich als Opfer westlicher Politiken – wie Larry, ein Mitglied der Lampedusa-Gruppe, in der Diskussion verdeutlicht. Seiner Meinung nach sei jedoch auch die Bevölkerung in Europa, Afrika und weltweit mit verantwortlich für die vorherrschenden politischen Strukturen, die die „Teile und herrsche“-Mentalität westlicher Staaten in Afrika erst ermöglichen. Eine Emanzipation hiervon sei notwendig und nur mit vereinten Kräften erreichbar.
Den Versuch einer Emanzipation zeigt auch die Fotoausstellung „Lampedusa in Hamburg“, die derzeit im Foyer des Gebäudes Von-Melle-Park 9 der Universität Hamburg besucht werden kann. Sie gibt Eindrücke über die Umstände der Flucht sowie das Leben der Flüchtlinge davor. Denn bevor sie zu Kriegsflüchtlingen wurden, haben die Mitglieder der Gruppe Lampedusa in Hamburg eigenen Angaben zufolge in Libyen gearbeitet. Als Elektriker, Automechaniker oder im Sicherheitsdienst. Als der Krieg kam, sei Ihnen nur die Flucht geblieben, die sie über das Meer und die italienischen Flüchtlingscamps nach Hamburg führte.
„Wie kann ich betteln? Ich kann doch arbeiten?“, fragt Christina, die von Beruf Köchin ist, auf dem Infotext neben einem der Fotos. „Ich muss Wissenschaftler werden, ich muss einfach.“, schreibt der Medizinisch-Technische Assistent Sammy an anderer Stelle. Die Fotos dazu zeigen sie und andere Flüchtlinge in ihren Berufen in Hamburger Betrieben – eine Illusion, denn ohne Arbeitserlaubnis können sie in Hamburg keinen dieser Berufe antreten.
Fotos: Henriette Bunde
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