Die MieterInnen aus der Erichstraße 29 und 35 auf St. Pauli setzen sich gegen die drohende Verdrängung aus ihren Wohnungen zur Wehr. Unterstützt werden sie dabei von der Hamburger Politik – doch diese ist weitestgehend machtlos.
Veröffentlicht am 11. Juni 2014
Die BewohnerInnen der Erichstraße 29 und 35 sind enttäuscht. Eigentlich dachten sie, dass die soziale Erhaltensverordnung, die seit 2012 im Stadtteil gilt, sie vor genau dem schützen soll, was gerade passiert – der Umwandlung ihrer Mietwohnungen in Eigentumswohnungen, für die sich auf dem Immobilienmarkt im „Szenestadtteil“ St. Pauli ein hoher Preis erzielen lässt. Rund 4400 Euro pro Quadratmeter könnte eine Wohnung in dieser Lage kosten. „Ein Preis, der bei anderen Wohnungen auf St. Pauli gezahlt wird“, sagt Christiane Hollander vom Verein Mieter helfen Mietern. Für die derzeitigen MieterInnen käme beim Kauf ihrer Wohnungen so eine Summe zusammen, die keiner von ihnen zahlen kann. Genau diese Möglichkeit schafft aber eine Lücke in der sozialen Erhaltensverordnung.
Verdrängung durch ein Hintertürchen
Laut Baugesetzbuch muss dem Eigentümer die Umwandlung gestattet werden, wenn er sich verpflichtet, sieben Jahre lang nur an derzeitige MieterInnen zu verkaufen. Ein Hintertürchen in der schützenden Verordnung, auf die Hamburger Politiker keinen Einfluss haben, da es sich hierbei um Bundesrecht handelt. „Juristisch ist hier alles klar“, erklärt Andreas Gerhold, Bezirksabgeordneter der Piraten. „Der Bezirk ist durch das Baugesetzbuch verpflichtet, die Umwandlung zu genehmigen“, so Gerhold weiter. Das bestätigt auch die Juristin Hollander. Wirkungslos sei die Erhaltungsverordnung aber insgesamt nicht: „Eigentlich haben wir mit der Verordnung gute Erfahrungen gemacht, auch wenn es für die Erichstraße gerade schwierig ist“, sagt Hollander. Vom Bezirk fordert der Verein nun, in Verhandlungen mit dem Eigentümer zu treten und zu verdeutlichen, dass Eigentumswohnungen hier nicht gewünscht seien.
Politik an der Seite der AnwohnerInnen
Die Politik im Stadtteil hat bereits zugesagt, sich für die BewohnerInnen einsetzen zu wollen. Obwohl eine Beseitigung des Hintertürchens nur im Deutschen Bundestag möglich ist, will man alle Chancen nutzen, um den Eigentümer von seinem Vorhaben abzubringen. „Ich stehe an der Seite der BewohnerInnen. Es kann nicht sein, dass die soziale Erhaltensverordnung so ausgehebelt wird“, sagt die Bürgerschaftsabgeordnete Loretana de Libero (SPD). Andreas Gerhold ergänzt: „Hier muss Druck von unten gemacht werden, damit der Eigentümer sein Vorhaben zurückzieht.“ Man müsse verdeutlichen, dass ein Festhalten an den Plänen die Zusammenarbeit mit dem Bezirk bei zukünftigen Projekten erschweren würde. Auch Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) hat gegenüber dem St. Pauli Blog versichert, man werde alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Umwandlung zu verhindern. Auch eine Hamburger Bundesratsinitiative zur Änderung des Baugesetzes hält Grote für denkbar.
Keinen Präzedenzfall schaffen
Die Aufregung der PolitikerInnen ist nachvollziehbar. Man will verhindern, dass hier ein Präzedenzfall geschaffen wird, dem andere Eigentümer folgen. „Wenn das hier durchgeht, kippt uns ganz St. Pauli. Das dürfen wir nicht zulassen“, sagt de Libero. Es geht jedoch auch um die grundsätzliche Frage, ob MieterInnen nicht ein generelles Recht auf ihr jahrelanges Zuhause zusteht. „Unternehmen dürfen mit uns doch nicht einfach machen was sie wollen“, sagt Rex, ein Bewohner der Erichstraße. „Wir sind doch nicht einfach zahlende Mieter, sondern Menschen.“
Roberto
11. Juni 2014 at 16:40
Auf dieses Hintertürchenproblem ist die SPD erst durch die Erichstrasse aufmerksam geworden? Vorher lag ihr Bewußtsein darüber in völliger Dunkelheit? Scheint so als säße im Bauausschuß keiner von der SPD, jedenfalls keiner mit Fachkenntnis.
Tütel Schlüter
7. Januar 2015 at 17:12
Bevor alle am Kernproblem vorbeireden: Es müssen mehr Sozialwohnungen gebaut werden. Dann kann die Stadt mitreden. Seit den 80er Jahren wurden Sozialwohnungen aus der Sozialbindung rausgenommen und dies nach Beschlüssen der jeweils zuständigen Politik / des Senats. Alles SPD!