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Soziale Erhaltungsverordnung – wie sozial ist sie?

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Sally Eshun
@sall_e

Redakteurin bei Hamburg Mittendrin und Freihafen | Email: eshun@hh-mittendrin.de

Es passiert schon wieder – alteingesessenen MieterInnen in St. Pauli droht eine Zwangsumsiedelung. Und das, weil ausgerechnet die soziale Erhaltungsverordnung ihnen ein Bein stellt. Was die Verordnung den MieterInnen wirklich bringt, ist Frustration.

Vor zwei Jahren verhängte die Stadt Hamburg die so genannte soziale Erhaltungsverordnung in den Szenevierteln St. Georg und St. Pauli. Sie besagt unter anderem, dass die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen genehmigungspflichtig ist und die Stadt sogar ein Vorkaufsrecht für entsprechende Gebäude besitzt. Nun müssen aber die MieterInnen der Erichstraße 29 und 35 um ihre Wohnungen bangen: Nach einer siebenjährigen Frist steht es dem Besitzer zu, seine Wohnungen frei zu verkaufen.

Maßnahmen kommen zu spät

Das Ziel der sozialen Erhaltungsverordnung sollte eigentlich sein, der sozialen Verdrängung entgegen zu wirken. Doch anhand des Falls in der Erichstraße lässt sich erkennen, dass hier etwas nicht stimmen kann: Die MieterInnen leben zum Teil bereits seit 20 Jahren in St. Pauli und sind seit den Umsiedlungsmaßnahmen in der Bernhard-Nocht-Straße zu Opfern der Gentrifizierung geworden. Dieser Prozess der Verdrängung begann in Hamburg bereits in den 90er Jahren. Jedoch haben die Behörden erst vor relativ kurzer Zeit begonnen, die Situation ernst zu nehmen. Die Verordnung ist ein gutgemeinter Versuch den Menschen zu helfen, die den Investoren machtlos gegenüberstehen – die Regelung hat aber einige Lücken, die sie zwiespältig erscheinen lässt.

Der Pfad für den Latte-Macchiato-Strich wird weiter gepflastert

So entfällt das Vorkaufsrecht der Stadt, wenn weniger als die Hälfte der BewohnerInnen noch nicht 15 Jahre im Haus leben. Außerdem kann der Besitzer eines Gebäudes nach sieben Jahren machen was er will – wie es nun in der Erichstraße der Fall ist. Ob Alteingesessene vertrieben werden, ist für die Investoren oft zweitrangig. Ein weit verbreitetes Missverständnis ist außerdem die Behauptung , dass die Soziale Erhaltungsverordnung gegen hohe Mietpreise schützt: Dies war nie die Absicht der Behörden. Wäre es nicht ein großer Schritt, den Prozess der Gentrifizierung an der Wurzel zu packen? Stattdessen müssen nun die BewohnerInnen der Erichstraße erkennen, dass ihnen diese Art von Milieuschutz nicht weiterhilft. Nach Ende der abgelaufenen Frist sind sie gezwungen, sich in einem anderen Stadtteil neu zu orientieren – denn die gestiegenen Preise werden für sie  unbezahlbar sein.

Freiheit für Investoren auf Kosten des sozialen Friedens?

Natürlich kann man keinem Besitzer langfristig vorschreiben, was er mit seiner Wohnung zu tun oder zu lassen hat. Viele würden wohl sogar sagen, dass sieben Jahre Zeit genug sind, um sich eine neue Wohnung zu suchen. Doch wenn durch eine Erhaltensverordnung Verdrängung verhindert werden soll, kann es nicht sein, dass ein Fall wie jener in der Erichstraße diesen Verlauf nimmt. Den alteingesessenen BewohnerInnen in St. Pauli und in St. Georg wird durch derartige Beispiele nur bewusst, dass ein sozialer Frieden durch die Regelung nicht gewährleistet werden kann. Die Stadt muss sich in Zukunft stärker positionieren, wenn sie den Gentrifizierungsprozess effektiv aufhalten oder zumindest verlangsamen will.

Kommentare anzeigen (7)

7 Kommentare

  1. Ralf

    11. Juni 2014 at 16:42

    Eine Farce ist eine Farce ist eine Farce. Nichts anderes ist dieser Taschspielertrick der PolitikerInnen. Solche BüergerInnen – Verdummungen, sind doch so gestrickt, dass sie jederzeit problemlos ausgehebelt oder umgangen werden können. Glaubt Frau / Mann dem Gesülze der PolitikerInnen, so haben diese schlicht und einfach die Arschkarte gezogen.

    • fritze

      11. Juni 2014 at 21:30

      natürlich ist es immer ein schlag in den bauch, wenn seine kündigung der wohnung erhält. aber auch hausbesitzer haben ein leben und können auch diese wohnungen verkaufen und profit erwirtschaften. also ralf, beruhige dich, so ist das leben eben.

      • David

        12. Juni 2014 at 11:04

        Auch Hausbesitzer haben ein Leben. Die Frage ist, ob Eigentümer und Eigentümerinnen das Recht zugeschrieben bekommen – auf Grund der Anhäufung von Kapital und im Namen von „Wirtschaftlichkeit“ – ganze Städte umzuorganisieren bzw. maßgeblich daran mitzuwirken, die Innenstadt zum Privileg zu machen.

        Lediglich aufgrund der Tatsache, dass ein Eigentumsverhältnis besteht, ist es nicht automatisch gegeben, zu handeln, wie es gerade das vermeintliche Eigenwohl verlangt. Wir leben alle in einer Gesellschaft.

        • Jutta

          12. Juni 2014 at 23:35

          genau das ist die Frage, und in Hamburg wird sie anscheinend immer häufiger mit JA, der Eigentümer kann machen was er will, beantwortet.

  2. Gunter

    12. Juni 2014 at 22:28

    Zu beachten ist aber bitte, dass nach der Sperrfrist ein Verkauf möglich ist, dass heißt aber nicht automatisch Kündigung des Mietverhältnisses, denn Kauf bricht nicht Miete. Der Mieterschutz bleibt davon völlig unberührt. Falls dann also ein Privatinvestor kauft, wäre das Risiko natürlich immer noch eine Eigenbedarfskündigung. Aber auch dort gelten weiter die Mieterschutzvorschriften! Falls ein institutioneller Anleger kauft, hat der diese Möglichkeit nicht.

    • Theresa Jakob

      13. Juni 2014 at 12:31

      Die Folgen der Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen
      werden in erschreckender Weise am Beispiel des Nybur-Haus sichtbar. Keine 500
      Meter von den Häusern in der Reichste. entfernt. Grade die Aufspaltung in Einzel Besitz
      führt zu Verdrängung und Entmietung. Diese Erhaltungsverordnung dient nur dem Erhalt
      Eines Systems indem Profit vor Menschen geht

  3. Realist HH Mitte

    14. August 2014 at 12:00

    Ich dummes Schaf dachte immer Politiker fragen zumindest Experten, wenn sie in einer Sache (z.B.Miete/Mietrecht usw) nicht richtig Bescheid wissen. Ja, sie fragen, aber die Falschen! Im Gesundheitsministerium haben die Lobbyisten der Pharmaindustrie ihre Büros n e b e n den Sachbearbeitern, also den gewählten Politikern! Diese brauchen nur noch die unterschriftsreifen Vorgaben/Wünsche der Lobbyisten zu unterzeichnen!!!!!!! Für die Belange von Mietern gibt es offenbar keine Experten, diese arbeiten in/für die Privatwirtschaft, Und welcher sehr guter Rechtsanwalt sollte oder will Politiker beraten, ein Verlustgeschäft! Gut, dass viele nicht wissen, welche „Hanseln“ in den verschiedenen Gremien das Sage haben, die Wahlbeteiligung würden enorm sinken! Besucht doch mal bei Gelegenheit eine Sitzung der HH Bürgerschaft!

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