Kultur

Autorin Nina George: „Bücher sind mir lieber als Menschen“

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Anja-Katharina Riesterer
@anjaminusk

*1991| Stipendiatin an der MHMK (Studiengang Journalistik) | Kontakt: riesterer@hh-mittendrin.de | www.anja-katharina.de

Sie brach trotz guter Noten die Schule ab, wurde „vom Tellermädchen zur Beststellerautorin“: Nina George (39) aus dem Grindelviertel. Ihr Roman „Das Lavendelzimmer“ stand 43 Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste, hat eine Auflage von 170.000 Exemplaren. Sie ist Meisterin der Worte, malt sprachlich die schönsten Bilder. Dass sie das auch im Gespräch gut kann, zeigen wir im neuen Teil unserer Interviewreihe „Hamburger AutorInnen“.

Mittendrin: Frau George, wie haben Bücher Ihr Leben beeinflusst?

Nina George: Bücher waren meine Lehrer, Wahlverwandten und Freundinnen. Sie waren und sind mir immer noch lieber als Menschen, ich fühle mich bei ihnen sicher. Bücher verraten dich nicht, und sind dir Medizin, Arzt, Leiden und Heilung zugleich. Menschen, die nicht lesen, machen mich misstrauisch. Woher sollen die wissen, was andere fühlen, denken, hoffen?

Mittendrin: Auch beruflich haben Bücher sie nicht enttäuscht. Wollten Sie schon immer Autorin werden oder war der Weg von der Gastronomie zum großen Bestseller auch Schicksal?

Nina George: Ich glaube nicht an Schicksal, bin vom Typus Existenzialistin. Jeder ist selbst für sich verantwortlich. Es ist die Summe der getroffenen Entscheidungen, die am Ende zu einem gelebten Leben führen. Umwege muss man dabei akzeptieren. Mein Weg vom Tellermädchen zur Bestsellerautorin ist die Summe von 22 Jahren Leben und unzähligen kleinen wie großen Entscheidungen.

Ich wollte Menschen dazu bringen, sich so berühren zu lassen, wie ich mich von Büchern berührt fühlte. Ich wollte immer eine Meinung haben und dazu stehen. Ich wollte nichts verschweigen, was das Leben uns zu bieten hat. Je mehr ich ich werde, desto mehr weiß ich auch, was ich erzählen will. Ich lebe, um zu schreiben, ich schreibe, um zu leben.

Mittendrin: Wenn man Sie googelt, tauchen viele Namen auf: Anne West, Nina Kramer, Jean Bagnol – wie kommt’s zu diesen Pseudonymen?

Nina George: Oft sind es Verlage, die sich wünschen, Namen wie Marken für ein Genre zu etablieren. Anne West – das sind die Erotik-Sachbücher. Unter Nina Kramer erschien ein Thriller, als Jean Bagnol habe ich unsere Commissaire-Mazan-Romane geschrieben. Und ich bin inzwischen damit versöhnt – früher wollte ich ganz eitel zeigen, was ich tue. Heute weiß ich, wie wenig sich die Leserschaften vom Lavendelzimmer, von den Commissaire-Mazan-Romanen oder von den Anne-West-Büchern gleichen. Wissen Sie, als erstes zählen in meiner Branche die Leser, nicht der Name auf dem Cover. Die Leselust diktiert schließlich, was gekauft wird.

Mittendrin: Was lesen Sie selbst momentan?

Die ersten beiden Teile der Trilogie des Isländers Jón Kalman Stefánsson. „Held“ ist der namenlose Junge, der im ersten Teil „Himmel und Hölle“ seinen besten Freund an das Meer verliert, weil dieser sich und das Überleben wegen eines Gedichtes vergessen hat (merke: Poesie ist lebensgefährlich). Im zweiten Teil „Der Schmerz der Engel“, muss er mit der Trauer zurechtkommen. Es berührt mich sehr und bringt mich alle paar Absätze dazu, innezuhalten, nachzufühlen, in die Worte einzutauchen. Ein ganz außergewöhnlicher Autor, den es nur alle paar Dekaden gibt.

Mittendrin: Sie haben 2011 die Initiative „JA zum Urheberrecht“ gegründet, um sich mit anderen Literaturschaffenden gegen die Gratismentalität im Netz einzusetzen. Machen E-Books alles kaputt?

Nina George: Wie jedes neues Instrument ist das eBook von dem abhängig, was der Mensch damit anstellt. E-Books haben Piraterie möglich gemacht – noch nie wurden AutorInnen so leicht und gleichgültig beklaut wie heute. Andererseits erreichen wir durch die digitale Technik Menschen, die selten in Buchhandlungen gehen. Aber alles, was digital ist, ist zensierbar und kann nach dem Download diskret umgeschrieben werden. Das geht bei gedruckten Büchern nicht. Persönlich liebe ich Bücher. Sie in die Hand zu nehmen, darin zu blättern, sie vor mir zu sehen und genau zu wissen, wann und warum ich ein Buch gekauft habe. Meine Bibliothek ist meine Biografie. Sie ginge unter in Bits und Bytes.

Mittendrin: Sie sagen, dass beim Lesen andere Leben ausprobiert werden können. Steckt darin auch die Gefahr, sich nur noch in anderen Welten aufzuhalten und vom eigenen Leben gelangweilt zu sein?

Nina George: Ach, das kann man sich auch durch andere Tätigkeiten als Lesen einfangen, dieses „mein Leben ist salzlos“-Feeling. Fernsehen ist viel deprimierender als Lesen! Andere Leben auszuprobieren heißt ja auch, empathischer zu werden. Mitzufühlen wie es ist, arm oder krank zu sein, in einer frauenverachtenden Gesellschaft aufzuwachsen. Es kommt auf den Charakter an, was Lesen mit einem macht! Die einen werden innerlich immer größer, weiser, weiter, die nächsten werden immer neidischer, kleiner und selbstbezogener. Die anderen werden mutig, kommen auf Ideen. LektorInnen fragen immer: Ist es ein „Ach, SO ist das?!“-Buch oder ein „Ja! GENAU SO isses!“-Buch. Meist kommen die zweiten besser an, weil sie das eigene Leben bestätigen statt es infragezustellen.

Mittendrin: Wann und wo kommen Ihnen die besten Ideen?

Nina George: Jeden Tag gegen 16:20 Uhr unter der Dusche. Nein, ernsthaft: Ideen sind ja die Summe unsichtbarer Prozesse in den fluiden Tiefen von Seele, Geist, Instinkt und Ratio. Manchmal gelangen sie an die Oberfläche, weil etwas sie hervor gelockt hat. Das kann ein Zeitungsartikel, ein Gespräch, oder ein Geschmack sein. Der arme Proust musste tausende Seiten schreiben, nur weil er ein Stück Gebäck gegessen hat, das seine gesamte Kindheit aus den Tiefen der Erinnerungsmeer fischte! Die Muse kennt keine Arbeitszeiten, auf sie zu warten kann sich kein professionell arbeitender Autor leisten. Dennoch ist mit ihr alles „süßer“. In vier Wochen habe ich etwa fünf Tage Musen-Hoch. Alle anderen Tage sind Maloche.

Mittendrin: Wie viel Konstruktion, wie viel Planung steckt in einem Roman?

Nina George: Sehr viel, und in den entscheidenden Momenten dann doch nicht. Es hilft sehr, sich ausführlich mit Anfang, Ende und Mitte zu beschäftigen. Noch mehr, die Persönlichkeiten auszuarbeiten. „Einfach losschreiben“, das macht kaum ein Autor, keine Autorin. Jeder denkt nach. Bei mir wird das mit jedem Jahr stärker. Ich stelle mir die Biografien der Figuren vor, will genau wissen: woher kommt der, wie ist er aufgewachsen, welche Ängste hat er?Manchmal aber nützt alles Denken einen Scheiß. Dann taucht während des Schreibens eine neue Idee auf und zwingt mich, all die schöne Planung zu ignorieren und ihr zu folgen. Manchmal entscheiden diese Momente, ob ein Roman gut wird. Und oft genug hat man mittendrin keine Ahnung mehr, was überhaupt los ist und was das alles soll. Das sind die wirklich fiesen Momente.

Mittendrin: Worauf können wir gespannt sein, schreiben Sie gerade den nächsten Roman?

Nina George: Mit meinem Mann Jo Kramer arbeite ich an dem neuen Jean-Bagnol-Provence-Krimi, der im Frühsommer 2015 bei Knaur erscheinen wird. Danach wird’s wieder einen Roman von mir alleine geben. Das Thema ist so groß, dass ich immer noch an der Angel ziehe – es ist verrückt, es ist lebensnah, und ich möchte es erst einmal bis ganz ans Ende denken, um davon zu berichten. Bisher habe ich erst bis zur Mitte gedacht, und sehe das Ende noch nicht. Ich fange nie an, bevor ich nicht weiß, wie es endet. Wer weiß, vielleicht sollte ich das einfach mal tun und schauen, wohin mich das Meer der Wörter treibt?

Foto: Maurice Kohl / © Nina George

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