Kultur

„persona non data“ gibt Einblick in das Leben Geflüchteter

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Jonas Valentin Weber

B.A. Politikwissenschaft | Masterstudium Soziologie | Freier Mitarbeiter bei NDR Info und e+p films | Email: weber@hh-mittendrin.de

Am vergangenen Donnerstagabend herrschte großer Andrang im 3001-Kino in der Sternschanze. Im Rahmen der Dokumentarfilmwoche Hamburg feierte der Dokumentarfilm „persona non data“ der Hamburger Filmemacherin Doro Carl Weltpremiere. Interessierte, die vorab nicht reserviert hatten, konnten keine Karte mehr ergattern.

„persona non data“ porträtiert 14 Menschen, die auf ihrer Flucht nach Hamburg gekommen sind. Zu Fuß, auf Lastwagen oder in Booten, geflüchtet vor Krieg, Giftgas, Folter und Angst. Doro Carl gibt diesen Menschen in ihrem Dokumentarfilm die Möglichkeit, ihre Geschichte der Flucht und des Ankommens in Deutschland abseits großer Erzählungen über Migration persönlich zu erzählen. Auch selbst will sich Doro Carl nicht an solchen Generalisierungen beteiligen. Bei einem Gespräch über ihren neuen Film in ihrem Büro im Abbildungszentrum Hamburg macht sie schnell deutlich, dass sie kein Interview in klassischer Form von Frage und Antwort geben wolle. Es sei nicht sie, die im Mittelpunkt stehen soll. Sie habe den Film ja gerade deshalb gemacht, um die Menschen ihre Geschichten  selbst erzählen zu lassen: Keine Repräsentation, keine Geschichte über die Menschen, ihre Flucht und ihr Leben in Deutschland, kein Erzählen im Namen aller.

Und doch gibt es Parallelen zwischen den unterschiedlichen Geschichten. „Meine Geschichte ist deine Geschichte“,rappt der 16-jährige Moshen in seinem Musikstück „Mohajerat“, was im Deutschen „Flüchten“ bedeutet. „Sie ist nicht kompliziert, sie ist ganz einfach. Und sie erzählt von der Geschichte der Flüchtlinge. Von der Wahrheit, die uns trennt von Märchen.“ Es sind schlaflose Nächte, Alpträume und immer wiederkehrende Bilder des Erlebten, die das Leben der ProtagonistInnen im Film begleiten; Erinnerungen an Folter im Gefängnis, Giftgasanschlägen im Irak oder Bombenangriffe der NATO in Libyen. „Niemand will seine Heimat verlassen und in einer anderen Heimat wohnen und leben. Aber wenn solche Sachen kommen wie Krieg, wenn es nichts zu Essen gibt, dann wollen alle gehen, um besser zu leben.“, sagt Moshen im Interview mit Doro Carl. Dazu kommen die lebensbedrohlichen Erlebnisse der Flucht, das Risiko, auf der Suche nach einem anderen Leben, zu sterben. So erzählt Iddrig, der lange Zeit in Libyen gelebt und gearbeitet hat, von den längsten Stunden in seinem Leben: drei Nächte und zwei Tage auf dem Mittelmeer. Von den insgesamt 78 Menschen auf dem Schiff überlebten nur drei.

Hinzu kommt eine Mischung aus Mut und Verzweiflung, die aus dem nicht endenden Wahnsinn um die Anerkennung von Papieren resultiert. So wie im Fall von Familie Osman, die Anfang der neunziger Jahre in Deutschland angekommen und noch immer nur „geduldet“ ist, wie es im offiziellen Jargon heißt. Alle drei Monate wird über die Verlängerung oder Verweigerung der Duldung entschieden. Seit 20 Jahren sind sie an die Residenzpflicht gebunden, seit 20 Jahren dürfen die Mutter und der Vater von vier Kindern nicht arbeiten. Oder wie im Falle von Lina, die innerhalb der ersten zwei Jahre in Deutschland ihren Hauptschulabschluss gemacht hat, obwohl sie anfangs kein Wort deutsch konnte. Doch neben Arbeit ist auch Bildung für Flüchtlinge in Deutschland schwierig zu bekommen: in den meisten Bundesländern ist es nur Minderjährigen erlaubt, zur Schule zu gehen. Und da Lina die Altersgrenze zum Zeitpunkt ihres Abschlusses schon überschritten hatte, wurde ihr der weitere Schulbesuch verweigert. In Afghanistan, so erzählt sie, hat ihr Vater mit Deutschen zusammengearbeitet. Deshalb habe ihre Familie auch die Entscheidung getroffen, nach Deutschland zu fliehen: „Wir sagten Deutschland, weil wir dachten, dass wir sie kennen. Als wir hier ankamen, war es nicht mehr so, wie wir immer dachten. In Afghanistan dachten wir, die mögen uns. Aber wenn man hierher kommt: Nein.“

Doro Carl (rechts) auf der Premiere mit ProtagnostInnen ihres Films.

Doro Carl (rechts) auf der Premiere mit ProtagnostInnen ihres Films.

Für Doro Carl haben diese Geschichten schon etwas Kafkaeskes – eine Art immer wiederkehrendes, absurdes Ausgeliefertsein an abstrakte Mächte. Sobald man dabei sei, Momente von Unsicherheit und Verzweiflung zu überwinden, würde man sogleich wieder zurückgeworfen und erneut konfrontiert werden. „Wir haben uns auf den Weg gemacht, um einen Schritt voranzukommen, viele Hürden überwunden, doch am Ende sind wir wieder am Anfang. Mein Schmerz ist keine Krankheit – kein Krebs. Nur mein Schicksal ist krank. Meine Krankheit ist, dass ich nirgendwo zu Hause bin. Weder in meiner Heimat noch in einem anderen Land habe ich eine Identität“, heißt es im Lied von Moshen. Und auch bei Lina reißt die Kette an Hindernissen nicht ab. Weil sie nur „geduldet“ war, durfte sie das Jobangebot eines Kosmetikgeschäfts nach einem Praktikum nicht annehmen. Acht Monate kämpfte sie mit Unterstützung der Chefin dafür, und hatte letztlich Erfolg: Zwei Stunden in der Woche Arbeit wurden ihr zugestanden und sie erhielt kurze Zeit später eine Aufenthaltsgenehmigung – was paradoxerweise nur in Verbindung mit einer Arbeit möglich ist. Mittlerweile ist Lina alleinerziehende Mutter eines zweijährigen Sohns und findet nun deswegen keine neue Arbeit. Und sie hat Angst, dass ihre Aufenthaltsgenehmigung nicht wieder verlängert wird: „Irgendwann kann man nicht mehr. Die können jederzeit meine Aufenthaltserlaubnis nehmen und sagen: ‚Sie arbeiten nicht mehr. Wir geben Ihnen keine Aufenthaltserlaubnis mehr. Sie können wieder nach Afghanistan zurückgehen.’“

Es ist diese Offenheit gegenüber den Geschichteten individueller Kämpfe, die den unaufgeregte und scheinbar unspektakulären Dokumentarfilm von Doro Carl so großartig macht: Einerseits die Möglichkeit für die ProtagonistInnen, selbst von ihrer Lebensrealität zu erzählen und nicht als passives Objekt der vermeintlichen Festung Europa wahrgenommen zu werden. Andererseits aber auch die Möglichkeit für die ZuschauerInnen, solche Einblicke überhaupt erst zu bekommen. Denn angesichts eines anhaltenden medialen Diskurses, der das Thema Migration aus EU-Perspektive mit Begriffen wie „Flut“, „Ansturm“ und „Masse“ umschreibt, ist es umso wichtiger, den Menschen zuzuhören und in Kontakt miteinander zu treten. Wie es Heide Sanati, die Anfang der 1980er Jahre aus dem Iran geflüchtet ist, in „persona non data“ beschreibt: „Woher ich komme und warum ich hier bin: Das war meine einzige Motivation, die deutsche Sprache zu lernen. Mit den Leuten  zu diskutieren. Dass auch die westlichen Länder daran Schuld haben, dass diese Revolution in den Iran gekommen ist und der Krieg zwischen Iran und Irak ausgebrochen ist. Dass die Waffen und die Öllobby alles daran setzen, ihre Sachen zu verkaufen und ihren Reichtum immer weiter zu vergrößern. Das war alles meine Motivation. In vier Monaten konnte ich Deutsch reden. Nicht so gut, aber ich konnte reden. Ich konnte schreien, ich konnte diskutieren ich konnte alles rausholen aus meinem Herz. Und mit jedem Mensch, egal ob es eine intelligente Akademikerin war oder eine ganz einfache Hausfrau, oder ein 13-jähriges Schulmädchen. Mit jeder habe ich gesprochen. Jedem wollte ich klar machen, ich bin aus der Heimat geflüchtet und nicht freiwillig hier. Und warum. Das war meine Motivation.“

Momentan sind keine Kino-Vorstellungen von „persona non data“ terminiert. Doro Carl ist jedoch gerade auf der Suche nach einem Verleih in Deutschland. Informationen zum Film findet ihr auf der Filmwebsite.

Fotos: Jonas Valentin Weber und Wikimedia Commons (http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Refugees_on_a_boat.jpg)

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