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St. Pauli: Ein „Oscar“ für die Gentrifizierung?

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Frederic Zauels
@fredericzauels

Redakteur für Politik und Kultur | B.A. Politikwissenschaften, M.A. Journalistik | Kontakt: zauels@hh-mittendrin.de

Die Tanzenden Türme am Anfang der Reeperbahn heimsen vielleicht schon die zweite Auszeichnung hintereinander ein. Zeit inne zu halten und darüber nachzudenken, wie die Glaskonstruktion den Stadtteil St. Pauli mitverändert.

Letzte Woche wurden die Oscars in Los Angeles verliehen. Auch wenn die Experten über Sieger und Verlierer naturgemäß lange stritten, dass der schlussendlich mehrfach ausgezeichnete Film „Twelve Years A Slave“ die Oscars verdient hat, darüber waren sich alle einig. In Hamburg allerdings, genauer auf St. Pauli, dürfte eine andere Oscar-Vergabe zu Irritationen führen: Die Tanzenden Türme dürfen sich große Hoffnungen auf einen weltweit anerkannten Immobilienpreis machen. Der Mipim Award gilt als Oscar der Branche. Er wird jedes Jahr im südfranzösischen Cannes verliehen. Zuvor erhielt das Projekt bereits Ende Februar den „Immobilienmanager Award“. Dabei stehen die Türme sinnbildlich für den sogenannten Business Improvement District (BID), der die „Verschönerung“ der Reeperbahn mit moderner Glasbauarchitektur vorsieht.

Viertelaufwertung und Gentrifizierung

Etwas Spezielles, ja so kann man Gebäude des Architektenbüros BRT Bothe, Richter, Teherani, schon nennen. Speziell in dem Sinne, dass es die Aufmerksamkeit anzieht. Aufmerksamkeit, die das Viertel aber so langsam satt hat. Jahrelang bereits werden alte Bewohner verdrängt, damit Platz, nicht nur für die Touristenhotels, sondern auch für die Gutverdiener von Nebenan, entstehen kann. Jeder will den Charme Paulis hautnah erleben. Insgesamt entstanden ganze Straßenzüge mit Luxushotels und -wohnungen. Langjährige Paulianer mussten sich eine andere Bleibe suchen. Man kennt das Spiel unter dem Namen Gentrifizierung.

24 Etagen in insgesamt 85 Meter Höhe und vier Kelleretagen fassen die beiden Türme, deren Fassade schräg in den Himmel ragt. Nach der Vorstellungen des Architekten Hadi Teherani, sehen sie aus wie ein „tanzendes Tangopaar, oder vielleicht auch eine Prostituierte mit X-Beinen“. Teheranis Entwurf entspringe einer Assoziation aus Musik und Sex, die es sonst auf der Reeperbahn nur in käuflicher Form gebe, sagt Teherani. Sein Entwurf hingegen, verpasse der berühmten Straße die noch „fehlende vertikale Dominante“. Die Tanzenden Türme sollen also zum Stadtbild der Reeperbahn passen? Schwer vorstellbar, soviel Glas neben alten Häusern. Designhotels neben der Herbertstraße. Edelrestaurants mit Blick über Stadt und Elbe neben Kneipen und Stripclubs.

Musik aber, die gibt es tatsächlich: Im Keller hat der altehrwürdige Mojo Club wieder eröffnet. Er stand schon vor dem circa 150 Millionen schweren Neubau an der berühmten Reeperbahn 1a. Jetzt müssen seine Gäste durch ein „futuristisches Rondell“ durch „schleusenartige Tore, die aus dem Boden fahren“ um in den Bauch des Clubs zu gelangen, wie es  der Hamburger Buchautor und Journalist Christoph Twickel beschreibt. Ein starreifer Auftritt auf dem Weg zur Party. Den Charme vergangener Tage atmet man jedoch nicht mehr dort ein. Das echte St. Pauli hat sich aus der Reeperbahn 1a längst verabschiedet.

Die ansässige Kultur zu Nutze machen

„Die Tanzenden Türme sehen aus jedem Blickwinkel anders aus, jedes Mal, wenn man da langläuft, kann man neue Blickwinkel entdecken“ preist der Inhaber und Geschäftsführer der Strabag, einem Hoch- und Tiefbauunternehmen, Matthias Pirschel den Komplex im Interview mit dem NDR. Kurz darauf verrät er mit Blick aus dem Fenster seines Büros im sechzehnten Stock der Türme, warum diese gerade hier entstehen sollten: „Der Ausblick wird nie zur Tapete, weil wir im lebendigsten Stadtteil unserer Stadt leben“. Lebendig? Keine eintönige Tapete? Klar, das sind Markenzeichen von St. Pauli. Darauf kann das Viertel stolz sein. Diese Kultur und kulturelle Vielfalt haben St. Pauli weltberühmt gemacht. Daneben sein soziales Image. Sein Arbeiter-Charme und sein Club: FC St. Pauli. Pirschel macht das alles gerne mit. Auf seinem Büroschreibtisch liegt ein schwarzer Helm mit St. Pauli-Totenkopf darauf. Er mag das Viertel. Ob er es auch dann noch mag, wenn es ausschließlich aus Bauten seiner Art besteht?

Die Frage bleibt also: Will die Stadt nur noch preisverdächtige Luxusbauten oder hat sie auch weiterhin Platz für Kultur und rauchigen Kiez-Charme? Dieser kann übrigens genauso preisverdächtig sein: Das Molotow wurde erst im letzten Jahr zum Live-Musikclub des Jahres ausgezeichnet. Doch auch hier sind die Lichter bereits ausgegangen. Anstelle des Kult-Clubs soll ein Neubau mit moderner Architektur entstehen.

Foto: Frederic Zauels

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  1. Pingback: Die Tanzenden Türme, Hamburg | Blog von Sebastian Grote | Design & Fotografie

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