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Veddel: Szenemalerei und Arbeiterstrich

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Die Veddel – ein Stadtteil, der im klaren Kontrast zum Schick von Innenstadt und Hafencity steht. Abweisende, hohe Backsteingebäude prägen das Straßenbild. In eben diesem Stadtteil, der oft als sozialer Brennpunkt bezeichnet wird, lebt und arbeitet der Maler Uli Pforr.

Den ersten Kontakt zu der kleinen Elbinsel hat der Künstler damals – wie so viele Zugezogene – über die SAGA GWG bekommen. Es war eine der letzten Möglichkeiten, an eine günstige Wohnung zu kommen und Raum für die künstlerische Arbeit zu finden. Aus einer Notsituation heraus habe er sich 2012 zusammen mit einer Kollegin um eine leer stehende Gewerbefläche beworben und sofort die Zusage erhalten, erzählt Uli Pforr. Gemeinsam haben sie den ehemaligen Frisörsalon zum Künstleratelier gemacht, nun malen sie Tür an Tür mit einer Dönerbude und einem Gemüsehändler. „Möwenkick“, so haben sie das Atelier benannt. Irgendwie passend, angesichts der ungekünstelten Hafenatmosphäre, die man hier ganz direkt spüren kann. Wer den kleinen Raum betritt, platzt mitten in den laufenden Schaffensprozess hinein. Überall stehen angebrochene Farbtuben. Bemalte Leinwände verstellen sich gegenseitig den Blick.Die alten zerschlissenen Frisörstühle haben im Atelier eine neue Funktion gefunden. Es stehen ein paar Bilder darauf, die so im rechten Licht bewundert werden können. Oder sie bieten sich den Käufern an, mit denen sich Uli so bei einem Kaffee unterhalten kann.

 „Beim malen kann ich den Kopf frei bekommen, einmal nicht an alles Mögliche denken. Also genau das, was so viele in ihrem Leben versuchen.“

Eine große Fensterscheibe öffnet den Raum zur Straße hin – man kann Uli beim Malen über die Schulter schauen. Die Reaktionen auf seine, für viele Nachbarn doch ungewohnte Arbeit, fallen ganz unterschiedlich aus: Die meisten Menschen gehen einfach vorbei, andere werfen  einen flüchtigen Blick zu ihm hinein. Ab und zu traut sich auch jemand, einzutreten und sich die Bilder anzuschauen. Und mittlerweile gibt es Menschen, die extra aus Dortmund angereist kommen um seine Bilder zu kaufen.

Bis es soweit war, dass Menschen von weither anreisen um seine Bilder zu kaufen, ist jedoch einiges passiert. 1978 geboren und in der Nähe von Flensburg aufgewachsen, wollte Uli Pforr irgendwann „weg aus der Provinz“ in die Großstadt. Richtig begonnen habe sein künstlerischer Werdegang dann mit seiner Entscheidung, Grafikdesign in Hamburg zu studieren: „Gezeichnet habe ich schon immer  –  früher wollte ich Comiczeichner werden. Und dann bin ich über mein Studium ganz unbedarft und unvoreingenommen zur Malerei gekommen. Am Anfang wusste ich gar nicht so recht, ob man überhaupt so malen darf wie ich es tue“, sagt Uli. Er spricht darüber, wie er sich alles Schritt für Schritt allmählich aufgebaut hat – so dass er heute von seiner Kunst wirklich leben kann. Auch wenn am Ende des Monats das Konto leer gewesen sei, habe es doch immer wieder eine unerwartete Begegnung gegeben, scheinbar wie aus dem Nichts eine neue Perspektive: „Auch wenn man auf einer Vernissage nicht immer etwas verkauft hat, dann hat man doch immer Leute kennen gelernt, die einem weiterhelfen konnten.“

Und nun das eigene Atelier auf der Veddel. In einem Stadtteil, der weder hip noch schrill ist – doch genau das schätzt Uli Pforr: „Hier ist es nicht so wie auf der Schanze, hier hat man seine Ruhe. Und man kommt mit Menschen in Kontakt, die nichts mit Kunst zu tun haben“, sagt er über seinen Arbeitsplatz. Tatsächlich wirkt das Atelier zunächst ein wenig wie fehl am Platz. Wozu brauchen die Bewohner in diesem Stadtteil, in dem viele Bewohner mit realen Existenzängsten kämpfen, Ulis schrille Szenedarstellungen? Die beiden gegensätzlichen Welten harmonieren jedoch gut miteinander.

„Man kann hier gut nebeneinander leben“, sagt Uli. Schade sei allerdings, dass es im ganzen Stadtteil keinen Raum gäbe,  in dem man sich begegnen kann, „so ganz offen und ohne Vorurteile“. Wenn er male, müsse er sich dann doch abschotten, eine Leinwand vor das Fenster stellen, um nicht ständig das Gefühl zu haben, beobachtet zu sein: „Wenn ich arbeite, werde ich so ein bisschen zum Einsiedler auf der Veddel. Da bin ich dann einen Monat nur am hin und her pendeln zwischen Wohnung und Atelier. Da kann ich dann nicht mal eben einen Kaffe trinken gehen“, sagt er. Die schrillen Szenerien mit ihren bunten Figuren, die auf seinen Bildern zu sehen sind, stehen dabei in krassem Gegensatz zur Einsamkeit des Künstlers.

„Das sind zwei Extreme – auf der einen Seite das Szeneleben mit den vielen Lebemenschen und dann meine Abgeschiedenheit. Da muss man schon aufpassen, dass man sich da nicht verliert. Den Mittelweg habe ich noch nicht gefunden“, sagt Uli und lacht. Das Extrem im Leben sei ein Antrieb für seine Bilder: Es sind zerrissene Gestalten, die nach außen hin das strahlende Lachen zeigen, bei einem genaueren Blick jedoch ihre tiefe innere Zerrissenheit offenbaren. Es sind kräftige Bilder. Oft mit einem ironischen Seitenhieb oder einer bewussten Überzeichnung, aber vielleicht zeichnen sie aus diesem Grund ein so erschreckend genaues Bild.

„Ich möchte andere Welten zeigen, die mir sonst, wenn nur ich davon erzählen würde, wahrscheinlich keiner glauben würde.“

Am Ende erscheint es gar nicht so unpassend, Uli Pfor gerade auf der etwas grauen, einfarbigen Veddel zu begegnen – einem Maler, der von sich selber sagt, dass er früher nur ungern mit Farben gearbeitet hat und zum Arbeiten die Einsamkeit sucht. Doch die Farben, sie sind jetzt nicht mehr wegzudenken aus seinen Bildern. Es sind unerwartete Farben, die einem entgegen springen wenn man in das Atelier hineinblickt. Farben und Figuren, auf die man nicht vorbereitet ist, wenn man an den abweisenden Hausfassaden vorbeigeht. Sie brechen mit den vorhandenen Strukturen und es öffnet sich tatsächlich so etwas wie ein Fenster in eine andere Welt.

Zu sehen sind Uli Pforrs Bilder in einer Ausstellung zum Thema „Lieben und Leben“ vom 28.3. – 14.4.2014 in der Heilige-Dreieinigkeitskirche  – St. Georgs Kirchhof 19. 

Malerei und Illustration in Hamburg: Uli Pforr

 

 

Kommentare anzeigen (1)

1 Kommentar

  1. Bredel

    11. Februar 2014 at 23:08

    Sehr treffend geschrieben, großes Lob. Nur dass auf der Veddel noch keine Gentrifizierung zu sehen ist kann ich nicht bestätigen.

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Die andere Seite der Elbe auf der Veddel, in Wilhelmsburg, auf dem Kleinen Grasbrook, in Steinwerder, Waltershof, Finkenwerder und auf der Insel Neuwerk lässt hanseatische Tradition spürbar werden.

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