Hafenrundfahrten gibt es viele. Doch nur wenige begeben sich in die entlegenen Gebiete des Hamburger Hafens. An die Orte, die nur kaum einer kennt. Schon gar nicht nachts. Anders sind die literarischen Hafenrundfahrten der StromabLeser. Über eine besondere, manchmal gespenstische Fahrt.
„Komm, sieh den Hafen, das Meer, eine leuchtende Schneise…“ Marco Moreno eröffnet die Fahrt mit einem Gedicht von Walter H. Fritz. Während der Schiffsmotor leise und beruhigend im immer selben Rhythmus rattert, sitzt Moreno auf einer Stufe am Eingang der Barkasse. Neben ihm am Geländer der Treppe hängt eine Leselampe. Die braucht er auch. Moreno ist Mitglied der StromabLeser, einer kleinen privaten Gruppe, die sich ganz dem Hamburger Hafen mit seinen Geschichten und Gesichtern verschrieben hat.
Seit zehn Jahren bieten die StromabLeser literarische Hafenrundfahrten an. Dabei verbinden sie die verschiedenen Orte des Hafens mit Weltliteratur über Häfen allgemein. Während die Barkasse an Docks oder gigantisch wirkenden Frachtschiffen vorbeizieht, tragen die StromabLeser Texte vor, die sich stets auf das beziehen, was draußen zu sehen ist.
„Hafen nachtseits“ heißt die Fahrt an diesem Freitag. Wie es der Titel schon sagt, steht im Zentrum der Hafen bei Nacht mit all seinen Facetten. Vorgetragen werden Texte wie „Nachts auf der Lombardsbrücke“ von Hans E. Nossack oder „Meeresleuchten“ von Georg Forster. Während draußen die Dämmerung einsetzt, geht es am Roten Feuerschiff am Baumwall los. Von bekannten Orten wie dem Binnenhafen fährt das Schiff in jene entlegeneren Gewässer, die kaum einer kennt.
Ein Kontrast von Alt und Neu
Moreno, groß gewachsen und mit dunklem Haar, moderiert die Fahrt, weist stets links und rechts des Schiffes auf Wissenswertes hin und leitet die Texte ein. Dabei wird schnell deutlich, dass er und die anderen Mitglieder der StromabLeser sich auch kritisch mit den Entwicklungen am Hafen auseinandersetzen. Während die Barkasse an der Hafencity vorbeifährt, der Blick auf die Elphilharmonie sich eröffnet, spricht er über die glitzernden Neubauten, die dort in den letzten Jahren entstanden sind und die in Kontrast stehen zu den alten Hafengebäuden aus Backstein. Ein Kontrast, in dem sich Alt und Neu widerspiegeln, Vergangenheit und Gegenwart. „Die Politik tut viel für die Klientel in der Hafencity“, meint Moreno, ohne sich konkret über die erwähnte Klientel zu äußern. Draußen sind Privatboote und Touristenschiffe zu sehen, entfernt Häuser mit Luxuswohnungen.
An der Alsterschleuse vorbeifahrend erzählt Moreno, dass dies der historische Zugang zur Alster gewesen sei. „Hier ist der erste Hamburger Hafen entstanden.“ Die Stimmung auf der Barkasse ist ruhig, die Fahrtgäste hören fast andächtig zu. Vier StromabLeser sind heute an Bord, die abwechselnd Texte und Gedichte vortragen. Neben Moreno sind das Beatrix Holtmann, Peter Langlo und Reimer Dohrm. Die vier lesen nicht einfach nur, sie schauspielern fast schon, leben in Mimik und Ton die Texte mit, die sie vortragen. Sie schauen fragend, zweifelnd, empört oder fröhlich, ziehen die Augenbrauen hoch oder runzeln die Stirn.
Die Keimzelle des Hamburger Hafens
Schließlich ist im Hintergrund Hamburgs Lichterkulisse zu sehen, die Stadt mit Kirchturmspitzen, die sich schattenhaft am graublauen Himmel abzeichnen und der Fernsehturm mit rot leuchtender Spitze. Es geht in ruhigere und verlassene Gewässer: durch den Fährkanal, den Reiherstieg und Spreehafen, den Steinwerder Hafen. Vorbei an Hausbooten, an Industriegelände und Werften. Weit weg sind die Umrisse von rauchenden Fabrikschornsteinen zu sehen. Die Orte, die kaum ein Tourist und vermutlich auch nicht viele Hamburger je zu Gesicht bekommen, stehen in starkem Gegensatz zum sonst so quirligen und geschäftigen Hafenbetrieb. „Dabei gehören auch sie zur Keimzelle des Hamburger Hafens“, meint Moreno.
Manchmal, wenn draußen alles still ist, der Hafen verlassen und düster ist, scheint die Dunkelheit alles zu überlagern. Dann fühlt es sich gespenstisch an auf der Barkasse. Es ist eine ganz besondere Atmosphäre, die sich hier nachts einstellt. Manchmal entspannt und gelassen, manchmal unheimlich.
Nicht nur romantische Idylle
Gelesen wird nun „Das Totenschiff“ von B. Traven. Darin schildert Traven den Hafen aus Sicht eines Schwerarbeiters. „Wir wollen den Hafen nicht nur als romantische Idylle ansehen“, meint Beatrix Holtmann. „Es geht auch um die harten Arbeitsbedingungen auf Schiffen und am Hafen. Früher aber auch heute noch.“ Die StromabLeser fahren ganz bewusst durch industrielle Gebiete. Draußen sind Schiffscontainer zu sehen. Tausende aus aller Welt, die aufeinandergestapelt eine riesige Mauer zu bilden scheinen. Alles ist nun wieder hell erleuchtet. Das Licht spiegelt sich im Wasser, weiß, gelb oder orange. Ladekräne ragen in den Nachthimmel. All der Stahl und das Eisen lassen erahnen, wie rau die Arbeit hier manchmal sein kann. „… so dass ich nicht einmal die Augendeckel ganz schließen kann vor Müdigkeit“, sagt Travens Protagonist in der Erzählung.
Wie die meisten Schiffe ganz gleich welcher Coleur ist der Anfangspunkt auch zugleich das Ende der Fahrt. Häfen und Hafenstädte haben die Fantasie von Literaten weltweit beflügelt. Warum ließ sich auf dieser literarischen Hafenfahrt ziemlich gut nachfühlen. Als Aufbruchsort in neue Weiten inspirieren sie noch heute. In Hamburg und nachts vielleicht ganz besonders. Denn in Hamburg ist die Nacht nicht wie in anderen Städten, wie Wolfgang Borchert einst schrieb.
Fotos: Jonas Walzberg
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