Am Freitagabend demonstrierten vor dem Museum der Arbeit in Barmbek rund 200 AktivistInnen für ein dauerhaftes Bleiberecht für die 300 obdachlosen libyschen Flüchtlinge in Hamburg. Weitestgehend unbeeindruckt von den Protesten redeten im Museum Bürgermeister Olaf Scholz und Johannes Kahrs, SPD-Bundestagsabgeordneter für Hamburg-Mitte, beim „Talk zur Wahl“.
Seit Wochen sind rund 300 libysche Flüchtlinge in Hamburg obdachlos. Geflohen vom Krieg in Libyen lebten sie fast zwei Jahre in Flüchtlingslager in Italien. Anfang 2013 schickte die italienische Regierung jedoch tausende Flüchtlinge fort, damit sie in anderen EU-Staaten unterkommen. In Hamburg wurden sie zunächst im Winternotprogramm für Obdachlose aufgenommen, das jedoch Mitte April endete. Seitdem leben die Flüchtlinge auf der Straße. Erst als die Flüchtlinge in der vergangenen Woche anfingen mit Protesten auf sich aufmerksam zu machen, äußerte sich auch die Politik zur aktuellen Situation. In der aktuellen Stunde der Bürgerschaft wurde am Mittwoch über die Lage der Flüchtlinge diskutiert und in Gesprächen der Sozialbehörde mit der evangelischen Nordkirche und der Diakonie nach einer Unterkunft für die Flüchtlinge gesucht. Keinesfalls geht es dabei jedoch um eine dauerhafte Unterbringung. Nur wenige Tage oder Wochen sollen die Flüchtlinge hier wohnen dürfen, bevor sie ihre Rückreise nach Italien antreten müssen. Doch das ist es nicht, was die Flüchtlinge selbst wollen. Dies machen sie in zahlreichen Redebeiträgen vor dem Museum der Arbeit deutlich. AktivistInnen übersetzen die Reden der Flüchtlinge ins Deutsche und Französische. „Wir haben nicht den NATO Krieg in Libyen überlebt, um auf Hamburgs Straßen zu sterben“ und „Olaf, lass die Heuchelei“ steht auf den Plakaten der Flüchtlinge und AktivistInnen. Als der Bürgermeister gegen 19:20 Uhr vor dem Museum der Arbeit vorfährt, tönen laute Pfiffe der DemonstrantInnen über den Platz.
Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) beginnt seine Rede mit dem Thema Integration. Ein wichtiger Schritt diese zu erreichen sei die deutsche Staatsbürgerschaft. „Die Einbürgerungsfeiern sind immer wieder bewegende Momente“, sagt Scholz. Auch erinnert der Bürgermeister an die Lage der Flüchtlinge in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. „Die Geschichte zeigt uns, wie wichtig es ist, etwas für Flüchtlinge zu tun“, sagt Scholz weiter, von draußen ist deutlich die Demonstration der libyschen Flüchtlinge zu hören. „Wenn Sie wahre Demokraten sind, dann kommen sie raus und reden mit uns“, sagt einer der Sprecher der Flüchtlinge in seinem Redebeitrag. Hinter den Museumsmauern kommt der Bürgermeister nun doch auf die aktuelle Situation der Flüchtlinge zu sprechen und kritisiert das Vorgehen Italiens. „Die rechtliche Lage ist eindeutig“, sagt Scholz. Da das Erstaufnahmeland der Flüchtlinge Italien sei, sei eine erneute Anerkennung als Flüchtlinge in Deutschland und der Beginn eines Asylverfahrens nicht mehr möglich. Italien habe sich bereits bereit erklärt, die Flüchtlinge wieder aufzunehmen. „Wir werden für eine Übergangslösung sorgen, wer in Hamburg Hilfe braucht, der erhält sie auch“, schließt der Bürgermeister das Thema ab. „Dann sagen Sie den Flüchtlingen doch selbst, was Sie tun. Kommen Sie runter und sprechen Sie mit Ihnen“, fordert eine Aktivistin im Saal den Bürgermeister auf. Im Folgenden Spricht Scholz von Mindestlohn, Jugendarbeitslosigkeit und Wohnungsbau, ein kurzer Sprint durch das Wahlkampfprogramm der SPD, kein Wort mehr zu den Flüchtlingen. Auch Johannes Kahrs, Bundestagsabgeordneter für Hamburg-Mitte, geht mit keinem Wort mehr auf die Situation der Flüchtlinge in seinem Wahlkreis ein.
Andere Politiker in Hamburg-Mitte finden da deutlichere Worte. „Wir fordern das Bezirksamt auf, endlich zu handeln“, sagt Andreas Gerhold, Fraktionsvorsitzender der Piraten in Hamburg-Mitte. „Es müssen unverzüglich Unterkünfte bereitgestellt und beim Senat für ein Bleiberecht gekämpft werden! Gängelungen durch den Bezirklichen Ordnungsdienst müssen sofort aufhören“, heißt es in einen Flugblatt der Bezirksfraktion der Piraten in Hamburg-Mitte, das sie auf der Demonstration am Freitag verteilen.
Nach einigen Diskussionen wird einer kleinen Delegation der Flüchtlinge gestattet zur Fragestunde mit Olaf Scholz und Johannes Kahrs den Saal zu betreten. Einer ihrer Sprecher erhält schließlich die Gelegenheit nachdrücklich die Situation der Flüchtlinge zu schildern. „In Italien war es nicht so, wie viele es sich vorstellen“, sagt er vor den 150 ZuschauerInnen im Saal. „Wir mussten zwei Jahre in Camps leben und hatten keine Perspektive für die Zukunft.“ Besonders kritisiert er, dass in den Medien über die 500 Euro diskutiert werde, die die Flüchtlinge erhalten haben sollen, damit sie Italien verlassen. „Längst nicht alle von uns haben dieses Geld erhalten“, sagt der Sprecher der Flüchtlinge weiter. „Viel bedeutsamer ist es doch, dass wir in einem demokratischen Staat wie Deutschland ohne Hilfe völlig alleingelassen werden“.
Den Vorwurf, dass es keine Hilfen für die Flüchtlinge gebe, weist Bürgermeister Olaf Scholz weit von sich und antwortet den Flüchtlingen auf Englisch: „Wer in Hamburg medizinische Versorgung benötigt, erhält sie auch, wer Hunger hat, bekommt essen und wer sich waschen will, wird die Möglichkeit erhalten zu duschen.“ Weiterhin macht Scholz deutlich, dass er keinerlei rechtliche Grundlage für ein Bleiberecht der Flüchtlinge in Deutschland und Hamburg sehe. „Es besteht keine Chance, dass Sie hier bleiben können, wir werden nur für ein paar Tage oder Wochen helfen können. Wir müssen sehr strikt sein“, so Scholz weiter. Diese Information sei den Flüchtlingen auch von den Hilfsorganisationen mitgeteilt worden. „Folgen Sie nicht denen, die Ihnen die falsche Illusion geben, dass eine Chance für Sie besteht, hier zu bleiben“, schließt der sozialdemokratische Bürgermeister seine Rede auf Englisch ab und erntet dafür den Applaus seines Publikums. Die kleine Delegation der Flüchtlinge verlässt schließlich den Saal und informiert bei einer Abschlusskundgebung ihre MitstreiterInnen über Worte des Bürgermeisters. Der „Talk zur Wahl“ geht zu Ende, die Gäste und PolitikerInnen treten ihre Heimreise an. Auch die Flüchtlinge brechen auf – wie jeden Abend suchen sie sich einen Schlafplatz auf den Straßen der Hansestadt Hamburg.
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