Am Mittwochabend wurde in der Hamburgischen Bürgerschaft über die „Pille danach“ debattiert. Mit den Stimmen der SPD, Grünen und Linken für eine Rezeptfreiheit wurde ein deutliches Signal an die Bundesratsinitiative gesendet. Hat diese Erfolg, könnte die „Pille danach“ schon bald rezeptfrei in der Apotheke erhältlich sein.
Gleich in zwei Anträgen befasste sich die Hamburgische Bürgerschaft am Mittwoch mit der „Pille danach“. Sowohl die Fraktion der Grünen, als auch der SPD haben einen Antrag vorgelegt. In beiden Anträgen wird gefordert, dass der Senat sich im Bundesrat dafür einsetzen soll, dass die „Pille danach“ künftig rezeptfrei in der Apotheke erhältlich ist. Bereits heute ist die „Pille danach“ weltweit in 79 Ländern sowie in 28 europäischen Ländern rezeptfrei erhältlich. In den vergangenen Wochen gab es eine überregionale Diskussion über die „Pille danach“. Ausgangspunkt dafür ist die Situation einer vergewaltigten Frau in Köln, die von katholischen Einrichtungen abgewiesen worden sein soll, als sie die „Pille danach“ haben wollte. Auch in Hamburg ist es für betroffene Frauen nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr, einer Verhütungspanne oder sogar einer Vergewaltigung oft nicht einfach an die „Pille danach“ zu kommen. Die rot-grün regierten Bundesländer setzten sich nun in einer Bundesratsinitiative dafür ein, dass die „Pille danach“ rezeptfrei wird.
In der aktuellen Debatte geht es um die Rezeptfreiheit der „Pille danach“ auf der Basis des Wirtstoffs Levonorgestrel, einem synthetischen Hormon. Diese Pille hemmt den Eisprung und kann somit eine Schwangerschaft verhindern (siehe Infografik links). Die „Pille danach“ kann bis zu 72 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr oder einer Verhütungspanne eingenommen werden. Am wirksamsten ist sie jedoch in den ersten 24 Stunden. Wird die Pille in diesem Zeitraum eingenommen, können 95 Prozent der Schwangerschaften verhindert werden. Es handelt sich bei der Pille danach nicht um eine „Abtreibungspille“, sondern um eine „Verhütungspille“. Die Pille wirkt nicht, wenn eine Schwangerschaft bereits besteht, hat aber auch keine negativen Folgen auf eine bestehende Schwangerschaft für Mutter und Kind. „Die ‚Pille danach‘ ist keine Abtreibungspille“, sagt Heidrun Schmitt, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen Bürgerschaftsfraktion. „Mit der Rezeptpflicht verstreicht oft zu viel Zeit, um einer Schwangerschaft vorzubeugen“, sagt Schmitt am Mittwoch in der Bürgerschaft, „dabei müssen die betroffenen Frauen einen Hindernislauf absolvieren.“ Gerade nachts oder an Wochenende gehe so wertvolle Zeit verloren. „Die ‚Pille danach‘ muss rezeptfrei werden“, sagt auch Sabine Steppat, Abgeordnete der SPD-Fraktion. Das Medikament sei erprobt und die Anleitung auch für Jugendliche leicht verständlich. Kersten Artus (Die Linke) fordert: „Wir müssen mit Scheindebatten aufhören, die sich gegen Frauen und ihr Sexualverhalten richten. Wir hinken hinterher, das ist rückständig!“ Auch Senatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) spricht sich für die Rezeptfreiheit der „Pille danach“ aus. „Es ist völlig unverständlich, dass die Bundesrepublik in dieser Sache den anderen europäischen Ländern hinterherhinkt“, sagt die Leiterin der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz weiter. Gegen die Anträge und für eine Überweisung in den Gesundheitsausschuss sprachen sich die Abgeordneten der CDU und FDP aus. „Die ‚Pille danach‘ sollte nur in Verbindung einer ärztlichen Beratung eingenommen werden“, sagt Hjalmar Stemmann (CDU). Die Fraktionen der SPD, Grünen und Linken stimmten für die Anträge der Grünen und der SPD und sprachen sich somit dafür aus, eine Bundesratsinitiative zur Rezeptfreiheit zu unterstützen.
Die Weltgesundheitsorganisation fordert bereits seit 2004, die „Pille danach“ rezeptfrei zugänglich zu machen. Das Recht auf Verhütung und Nachverhütung gehört zu den sexuellen und reproduktiven Menschenrechten, die bereits 1994 festgelegt wurden. Das Europäische Parlament forderte 2002 dazu auf, das Medikament frei zugänglich zu machen. Auch das das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat sich schon 2004 dafür ausgesprochen, die „Pille danach“ aus der Rezeptpflicht zu entlassen. Dagegen positioniert sich insbesondere der Berufsverband der Frauenärzte in einem offenen Brief im Dezember 2012. Pro Familia, die Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung antwortet in einem Kommentar auf den offenen Brief des Berufsverbandes der Frauenärzte. Seit Jahren beschäftigt sich Pro Familia mit der „Pille danach“ und hat in Umfragen und Studien den Umgang mit dem Medikament evaluiert. Daraus geht hervor, dass die Rezeptpflicht den betroffenen Frauen und Mädchen den schnellen Zugang zu der Verhütungspille erschwert. „Gerade nachts und an Wochenende, wenn die Situation besonders häufig auftritt, entsteht ein Engpass“, berichtet eine Ärztin von Pro Famlia bei einer Informationsveranstaltung im Januar. Zu diesem Zeitpunkt hat die Gynäkologische Praxis oft nicht geöffnet oder kann spontan keinen Termin vergeben. Die betroffenen Frauen und Mädchen müssen auf Krankenhäuser und Notdienste zurückgreifen. Eine Studie von Pro Familia hat ergeben, dass die „Pille danach“ dort oft erst nach teuren Zusatzuntersuchungen, wie Schwangerschaftstests und Ultraschall, ausgegeben wird. Auch gibt es Fälle in denen die Verordnung verweigert oder die Patientinnen auf ihren Frauenarzt am nächsten Werktag vertröstet werden. Wertvolle Zeit geht dabei verloren. „Leider geschieht dies oft auch aufgrund fehlender Fachkenntnisse“, sagt eine Ärztin von Pro Familia. In ihrer Verzweiflung landen viele Frauen und Mädchen oft bei den Ärztinnen der Beratungsstelle und berichten von ihren Erfahrungen. Häufig erzählen Patientinnen davon, dass ihr Anliegen auf abschätzige Reaktionen des Klinikpersonals und der Ärztinnen und Ärzte gestoßen sei und man ihnen „unverantwortliches Handeln“ vorgeworfen worden sei.
Besonders hoch sind diese Zugangsbarrieren zur „Pille danach“ für Jugendliche. „Tatsächlich handelt es sich bei den meisten Patientinnen jedoch nicht um Teenies“, sagt ein Pro Familia Ärztin, „sehr oft handelt es sich um Frauen zwischen 30 und 40 Jahren.“ Von Kritikern wird oft angeführt, dass eine Rezeptfreiheit dazu führe, dass Frauen und Paare auf eine richtige Verhütungsmethode verzichten. Untersuchungen aus Schweden, England, der Schweiz und Frankreich zeigen jedoch, dass reguläre Verhütungsmittel deshalb nicht weniger angewendet werden. In Schweden ging nach der Einführung der Rezeptfreiheit die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche – insbesondere bei jungen Frauen – zurück. Darüber hinaus gibt es keinen bekannten kritischen Vorfall der sich im Zusammenhang mit der rezeptfreien Pille ereignet hat.
Die Situation in Hamburger Kliniken stellt sich in der Antwort des Senats auf eine schriftliche kleine Anfrage der Grünen Bürgerschaftsfraktion dar. In der Zentralen Notaufnahme des Universitätsklinikums Eppendorf wurde im vergangenen Jahr 366 Mal die „Pille danach“ ausgehändigt. Einbezogen wurden hierbei nur Fälle, in denen der Geschlechtsverkehr einvernehmlich stattgefunden hat. Hinzukommen etwa 70 Fälle in denen die „Pille danach“ nach einer Vergewaltigung ausgehändigt wurde. Für andere Krankenhäuser liegen nur Schätzwerte über die Anwendung der „Pille danach“ vor. So wird angenommen, dass die Pille in den Asklepios Kliniken in den vergangenen fünf Jahren etwa 60 Mal eingesetzt worden ist. Das Katholische Marienkrankenhaus hat dargelegt, dass „die reguläre Verschreibung der Pille danach keine Aufgabe der Zentralen Notaufnahme sein kann.“ Das Krankenhaus sehe die niedergelassenen Frauenärzte in der Pflicht die Rezepte auszustellen. Ausgenommen davon seien „Notfallbehandlungen“, um die sich das Krankenhaus in vollem Umfang kümmere.
Titelbild: By joho345 (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AApotheke.jpg
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